Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Torsten Felstehausen zu Drohungen und Gewalt in der ‚Zivilgesellschaft‘

Torsten FelstehausenAntifaschismusInnenpolitik

In seiner 87. Plenarsitzung am 10. November 2021 diskutierte der Hessische Landtag über Drohungen und Gewalt von Rechts gegen kommunalpolitisch und zivilgesellschaftlich Aktive. Dazu die Rede unseres Parlamentarischen Geschäftsführers und innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge und die damit fast zwei Jahre geführte Debatte sind aus Sicht der LINKEN geradezu ein Sinnbild dafür, dass wir im Kampf gegen Hass, Drohungen und Gewalt nicht vorankommen. Sie zeigen auch, warum wir nicht vorankommen. Vorneweg: In dem Antrag der SPD stehen viele richtige Dinge; und diesen können wir zustimmen. Auch im Antrag von CDU und GRÜNEN stehen zumindest nicht viele falsche Dinge. Bis auf einen Satz könnten wir diesem auch zustimmen, aber an diesem einen Satz wird das ganze Problem deutlich. Er lautet nämlich: Der Landtag stellt fest, dass sichtbare Vertreter des Staates häufig als Erstes von Gewalt betroffen sind. Gestern war der 9. November, und wir haben nicht nur hier an die Reichspogromnacht erinnert, die zum Holocaust und schließlich zu der industriellen Vernichtung von über sechs Millionen europäischen Juden geführt hat, sondern wir haben auch darauf hinweisen müssen, dass jüdische Kultur und jüdisches Leben in Deutschland wieder akut bedroht sind, so sehr, dass Jüdinnen und Juden täglich Angst haben müssen. 2.300 antisemitische Straftaten in Deutschland sind im Jahr 2020 schon erschreckend, trotzdem sind sie nur die Spitze eines Eisberges. In Halle hatten wir durch einen fanatisierten Nazi, einen Rassisten und Antisemiten einen Terroranschlag auf die dortige Synagoge mit zwei Toten. Auf sogenannten Querdenker-Demonstrationen wurde sich antisemitischer Stereotypen und durch den sogenannten Ehrenvorsitzenden der AfD wird sich der Holocaust-Verharmlosung bedient. Meine Damen und Herren, erzählen Sie den Jüdinnen und Juden in Deutschland doch bitte einmal, dass es die sichtbaren Vertreter des Staates sind, die als Erstes von Gewalt betroffen sind. Diese werden dafür wenig Verständnis haben, weil Kippatragen in der Öffentlichkeit in Deutschland im Jahr 2021 faktisch kaum noch möglich ist. Oder reden wir über Menschen, die erkennbar eine Migrationsgeschichte haben, die allein wegen ihres Namens oder ihrer Hautfarbe nicht nur bei der Wohnungssuche oder im Beruf schwere Nachteile erleben müssen, sondern immer wieder Diskriminierung erfahren, bis hin zu Gewalt, sowie täglich Rassismus. Diese leben mit der Angst, dass sie wie in Hanau ihr Leben oder ihre Familien und Freunde verlieren, nur weil Rassisten im psychopathischen Endstadium meinen, Menschen mit anderer Herkunft hinrichten zu müssen. Erzählen Sie doch bitte der Community der Migranten in Deutschland, dass es eigentlich die sichtbaren Vertreter des Staates sind, die als Erstes von Gewalt betroffen sind. Sie werden dafür wenig Verständnis haben. Reden wir über die Opfer von NSU-2.0-Drohungen, die keine sichtbaren Vertreter des Staates waren, aber sich antifaschistisch engagierten. Reden wir über den Studenten – es ist gerade angesprochen worden – an der Tankstelle in Idar-Oberstein, der kein sichtbarer Vertreter des Staates war, aber auf die Maskenpflicht, die wir hier vereinbart haben, hingewiesen hat; und schweigen wir bei einer solchen Debatte doch umgekehrt bitte nicht über die sichtbaren Vertreter des Staates, die ihrerseits leider Rassisten in Uniform sind. Nein, es geht hier nicht um einen Generalverdacht; es geht um über 100 Verfahren gegen Polizeibeamte allein in Hessen, inklusive einer SEK-Einheit. Ist es wirklich richtig, zu behaupten, dass die sichtbaren Vertreter des Staates zuvorderst Opfer von Drohungen, Hass und Gewalt sind? Als LINKE haben wir seit vielen Jahren auf die massiven Drohungen, auf Hass, Hetze und Gewalt hingewiesen. Richtig ist auch: Diese betrifft sehr viele kommunalpolitisch Aktive wie ehrenamtliche Rettungskräfte sowie Polizei- und Justizbeschäftigte, bis hin zu Mandats- und Funktionsträgern hier im Hause. Richtig ist auch: Sie alle haben unsere Solidarität und Unterstützung verdient. (Beifall DIE LINKE) Wer einmal einen Blick in die offiziellen Statistiken oder in die sozialen Medien geworfen, wer die Angriffe auf den Bürgermeister in Tröglitz, gegen die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, den ehemaligen Landrat Pipa im Main-Kinzig-Kreis und zuletzt natürlich gegen Dr. Walter Lübcke nicht ignoriert hat, der weiß doch, wie groß und stellenweise tödlich der Hass und die Hetze aus Teilen der Gesellschaft sind. Das Problem, das in dieser Debatte erneut deutlich wird, ist: Es wird politisch überhaupt nicht adressiert, woher denn all dieser Hass, die Hetze und die Gewalt überwiegend kommen. Da selbst der sogenannte Verfassungsschutz zehn Jahre nach dem Auffliegen des NSU endlich erkannt hat, dass von der radikalen und militanten Rechten das größte Problem für die Sicherheit in unserem Land ausgeht, stellt sich die Frage: Wie schaffen es SPD, CDU, GRÜNE und FDP, dieses Problem in ihren Anträgen nicht klar zu benennen? Damit hier keine künstlichen Missverständnisse erzeugt werden: Natürlich speisen sich Hass, Hetze und Gewalt aus deutlich mehr Quellen als „nur“ den radikalen Rechten. Zu reden ist über soziale Ausgrenzung und Verrohung. Hierzu macht DIE LINKE seit Jahren sehr konkrete Vorschläge. Zu reden ist über geschlossene Milieus, die sich vom Staat abgewandt haben. Auch hierzu macht DIE LINKE seit vielen Jahren konkrete Vorschläge, nachzulesen in diversen Maßnahmenpaketen sowie in unseren Haushaltsanträgen, womit wir sowohl in Hessen als auch im Bund genau dies immer wieder gefordert haben. Ohne aber die radikale und militante Rechte zu erwähnen, lässt sich das Ausmaß der Verrohung der politischen Kultur, der Drohungen und der Gewalt nicht erklären. (Beifall DIE LINKE) Nach fast zwei Jahren Debatte um das genannte Thema kann ich daher nur feststellen: Man kann, wie dies im Antrag von CDU, GRÜNEN und FDP geschieht, Gewalt zum x-ten Mal ächten und auf Programme gegen Extremismus verweisen. Daran ist nichts falsch. Man kann darüber hinaus wie im SPD-Antrag zum x-ten Mal weitere, richtige Maßnahmen fordern, von Demokratieerziehung bis zur Dunkelfeld-Studie. Auch das ist alles richtig und unterstützenswert. Aber man muss eben auch einmal feststellen, dass wir seit dem Auffliegen des NSU vor zehn Jahren kein Erkenntnisproblem mehr haben, sondern ein Umsetzungsproblem, meine Damen und Herren. (Beifall DIE LINKE) Dieses haben wir eben auch, weil der Landtag und die Regierung es nicht schaffen, eine klare Brandmauer nach rechts außen zu ziehen und die sozialen Ursachen für diesen Hass und diese Hetze endlich konsequent anzupacken. Hierzu macht DIE LINKE seit Jahren gute Vorschläge; und ich kann Sie nur einladen: Lassen Sie uns gemeinsam schauen, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Lassen Sie uns schauen, welche Gesetze verschärft werden müssen. Aber wir werden mit allen Gesetzesverschärfungen und mit aller Repression nichts erreichen, wenn wir nicht auch die sozialen Ursachen von Hass und Hetze konsequent angehen und an dieser Schraube genauso konsequent drehen und hierauf unseren Fokus wenden. – Vielen Dank. (Beifall DIE LINKE)