Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Zum Gesetzentwurf der FDP zur Schulempfehlung

Barbara Cárdenas
Barbara Cárdenas

– Es gilt das gesprochene Wort –


Herr Präsident,
meine Damen und Herren!

Vorweg: Wir lehnen diesen Gesetzesvorschlag ab.

Aber dennoch sind wir dankbar, dass die Kolleginnen und Kollegen diesen Entwurf eingebracht haben. Er ist völlig inakzeptabel, natürlich, aber er gibt erneut Gelegenheit, einen Blick auf dieses verunglückte Schulsystem zu werfen.

Schon in der schriftlichen Anhörung wurde deutlich: Es herrscht große Unzufriedenheit. Nicht etwa mit den bisherigen Kriterien, nach denen die Schülerinnen und Schüler für die weiterführenden Schulen ausgewählt werden, was im Übrigen in der tatsächlichen Praxis ganz anders aussieht, sondern mit dem Vorgang der Auslese an sich.

Es ist nämlich so, dass Schulen längst nicht nur nach den vier im Schulgesetz verankerten Kriterien auswählen – und dass es an vielen Schulen schon Vorabauswahlverfahren gibt. Das heißt, noch bevor das eigentliche Schulwahlverfahren im Frühjahr startet, haben viele Schulen ihre Schülerauswahl schon längst getroffen, haben Bewerbungsschreiben entgegen genommen und persönliche Gespräche geführt. Wohl gemerkt: Vor Beginn des eigentlichen Auswahlverfahrens!

Aber das ist eine andere Baustelle, die wir demnächst angehen werden.

Die FDP hat diesen Antrag aufgrund der katastrophalen Schulsituation in Frankfurt eingebracht. Nun, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen eines sagen: Katastrophal sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die zu solchen Problemen führen. Lassen Sie mich bitte aus der Anhörung Ilse Marie Krauth, Vorsitzende des Hessischen Grundschulverbands, zitieren:

„Ohne die Kompetenz der Grundschulkolleginnen in Frage stellen zu wollen, ist die nach Paragraph 77, Absatz 3 von der Klassenkonferenz beschlossene Empfehlung für den gewählten Bildungsgang nur bedingt geeignet, Aussagen über den weiteren Schulerfolg zu treffen.

Der frühe Zeitpunkt, zu dem diese Eignung ausgesprochen werden muss, erlaubt vielfach keine tragfähige Prognose. Der vorliegende Gesetzentwurf verschärft die Selektion, die – bedingt durch ein „Begabungsgerechtes gegliedertes Schulsystem“ – ohnehin schon besteht.“

Wohlgemerkt: Dies ist die Stellungnahme des Grundschulverbands, also der unmittelbar Betroffenen und unmittelbar Beteiligten.

Und auch wenn Herr Greilich im Ausschuss behauptet hat, es hätte ein einstimmiges Votum FÜR diesen Gesetzentwurf gegeben, so möchte ich hier mal kurz aufzählen, wer sich unter anderem noch dagegen ausgesprochen hat:

  • Die GEW, Also die sogenannte Lehrergewerkschaft
  • Die Landesschülervertretung
  • Der Landeselternbund
  • Die ‚agah', also die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen und der Ganztagsschulverband.

Das alles sind die unmittelbar Betroffenen und Beteiligten, es sind diejenigen, die dieses Schulsystem tragen und leben. Davon abgesehen, dass sich damit der Gesetzentwurf sowieso erledigt haben sollte, wirft diese vehemente Ablehnung nicht nur Fragen, sondern vor allem Handlungsbedarf auf.

Und eines möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen: Mir ist der Elternwille da nicht das wichtigste, Eltern wollen immer das Beste für ihre Kinder! Mir ist viel wichtiger, dass wir diese ganzen Probleme überwinden könnten, wenn wir diese mittlerweile völlig ausgeuferte hierarchische Mehrgliedrigkeit auf ein klares gemeinsames Lernen bis zur 10.Klasse zurückführen könnten.

Der Grundschulverband sagt, es kann zu so einem frühen Zeitpunkt keine Prognose gestellt werden. Der Ganztagsschulverband betont die Notwendigkeit der individuellen Förderung einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers. Ich persönlich kann Ihnen als Psychologin bestätigen, dass das Auseinanderreißen eines Klassenverbandes nach der vierten Klasse für viele der Kinder der größte und beängstigendste Schritt ist, den niemand freiwillig gehen würde.

Schließen wir uns endlich unseren europäischen Nachbarn an: Diese frühe Auslese muss überwunden werden, gemeinsames Lernen von der ersten bis zur zehnten Klasse muss endlich nicht nur an Privatschulen ermöglicht werden.

Damit würden wir nicht nur den Kindern und Jugendlichen gerecht, wir würden auch einen ganz entscheidenden Schritt hin zu einem inklusiven Schulsystem machen. Probleme wie die Verfügbarkeit von Gymnasialplätzen oder wie hier in Wiesbaden an Plätzen auf einer IGS würden damit endgültig der Vergangenheit angehören.

Ich finde es schrecklich, dass Schülerinnen und Schüler während der gesamten vierten Klasse darum bangen, einen Platz auf ihrer Wunschschule zu bekommen. Dass im Herbst schon Bewerbungsschreiben an weiterführende Schulen herausgehen und von den dortigen Leiterinnen und Leitern Bewerbungsgespräche geführt werden. Das kann doch nicht Praxis in einem angeblich gerechten und sozialen Schulsystem sein.

Also: Dieser Gesetzentwurf nimmt in Kauf, dass die eh schon nicht tragbare Situation noch weiter verschärft wird. Wir werden ihn zurückweisen, aber möchten eindringlich darum bitten, ihn als Anstoß zum Umdenken zu nehmen.

Vielen Dank!