Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Gesetz zur vollständigen Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen - 29.10.2019 - 23. Plenarsitzung
00:25 Jürgen Frömmrich, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
01:14 Dirk Gaw, AfD-Fraktion
09:23 Hermann Schaus, Fraktion DIE LINKE
13:39 Stefan Müller, Fraktion der Freien Demokraten
15:55 Markus Hofmann, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
18:55 Günter Rudolph, SPD-Fraltion
26:14 Alexander Bauer, CDU-Fraktion
32:25 Staatsminister Peter Beuth, Hessischer Minister des Innern und für Sport
34:22 Günter Rudolph, SPD-Fraktion
38:26 Hermann Schaus, Fraktion DIE LINKE

Zweite Lesung Gesetzentwurf Fraktion der AfD Gesetz zur vollständigen Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen für hessische kommunale Straßen

Hermann Schaus

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich habe schon in der letzten Diskussion darauf hingewiesen, dass wir seit dem Jahr 2018 insgesamt neunmal, mit der heutigen Diskussion zehnmal über Straßenbeiträge im Hessischen Landtag diskutiert haben. Leider ist keine Abschaffung in Sicht.

Nun haben Herr Gaw und die AfD einen weiteren Gesetzentwurf eingebracht, zunächst als dringlich, wobei die Dringlichkeit nicht gegeben war, weil es längst zwei Gesetzentwürfe von SPD und LINKEN im Verfahren gab. Heute haben Sie, wie ich finde, an die Adresse der SPD noch einmal appelliert und davon gesprochen – ich darf Sie zitieren, ich habe es mitgeschrieben –, die SPD stimme deshalb Ihrem Gesetzentwurf nicht zu, weil er von Ihnen komme, und das zeige kein demokratisches Verständnis.

(Zurufe AfD)

Herr Gaw, das war Ihre Aussage. Ich will nur einmal auf Folgendes hinweisen: Es gab zwei Gesetzentwürfe. Dem der SPD-Fraktion haben Sie im Verfahren zugestimmt. Dem der Fraktion DIE LINKE haben Sie im Verfahren nicht zugestimmt. Dazu kann ich auch sagen: Sie haben ihm in diesem Fall nicht zugestimmt, weil er von uns kam. Das zeigt kein demokratisches Verständnis. Darin sind wir uns einig.

(Beifall DIE LINKE)

Seit Januar dieses Jahres diskutieren wir das. Sie hatten zu jeder Zeit die Möglichkeit, Ihren Gesetzentwurf einzubringen oder sich aktiv an der umfänglichen Anhörung zu beteiligen. Ich kann mich nicht erinnern, dass das mit den Expertinnen und Experten stattgefunden hat.

Was Sie hier machen, ist Trittbrettfahrerei. Was Sie hier machen, ist Show. Das ist der Worte nicht wert, die darüber gewechselt werden. Sie wollen alibimäßig nach außen etwas darstellen. Offensichtlich haben Sie Druck von Ihren Kommunalpolitikerinnen und -politikern bekommen, weil Sie das Thema verschlafen haben, das seit Januar 2019 hier diskutiert wird. Deshalb diskutieren wir darüber. Deshalb wurde dieser Gesetzentwurf eingebracht.

Mir bleibt an dieser Stelle nur, etwas zu sagen. Ich zitiere Michail Gorbatschow.

(Zuruf AfD: Das zitiert jetzt der Falsche!)

Er hat am 6. Oktober 1989 in Ostberlin im Fernsehen gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Das habe ich in Ihre Richtung gesagt.

(Zuruf AfD: Sie bestrafen jetzt die Bürger, indem Sie dagegen stimmen!)

In seinen Memoiren hat er dieses Zitat noch einmal konkretisiert. Zwei Tage später schreibt er, dass er in einem Vieraugengespräch mit Honecker diesen Satz gesagt hat.

(Robert Lambrou (AfD): Jetzt sind wir bei einem ganz anderen Thema! – Weitere Zurufe)

– Meine Güte, das scheinen Reizworte für Sie zu sein.

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Ich erbitte ein bisschen mehr Ruhe für den Redner.

Hermann Schaus (DIE LINKE):

Herr Präsident, vielen Dank. – Ich will nur sagen: Gorbatschow sagt: Ich habe diesen historischen Satz gesagt. Aber ich habe einen Satz vorangestellt. – Dieser Satz richtet sich an die Koalition. Er heißt:

Das Leben verlangt mutige Entscheidungen.

Hinsichtlich der Straßenausbaubeiträge hat die Koalition leider keine mutigen Entscheidungen getroffen. Das müssen wir hier feststellen. Deswegen werden wir als DIE LINKE das Thema weiterhin vehement und mit Konsequenz angehen. Wir haben hier dazu den ersten Gesetzentwurf eingebracht. Wir werden hier den nächsten Gesetzentwurf einbringen und die Diskussion weiterführen.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE)

 

Vizepräsidentin Karin Müller:
Vielen Dank. – Als Nächster hat sich Abg. Schaus von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reden wir jetzt zum elften Mal zu Straßenbeiträgen?)

Hermann Schaus (DIE LINKE):

Mathias, es ist noch dieselbe Debatte. Es ist immer noch die elfte Debatte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wollte mich eigentlich nicht mehr zu Wort melden.

(Zuruf CDU: Das wäre besser!)

Aber, Herr Minister, Sie haben es einfach provoziert. Es schwingt ja in der gesamten Diskussion, die wir hatten, immer die Betrachtung der Finanzsituation der Kommunen durch die Koalitionsfraktionen mit; aber da ist keine Differenzierung drin.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Es mag sein, dass alle Kommunen in Hessen 500 Millionen € Überschuss haben. Ich weiß es nicht. Aber selbst wenn ich das unterstelle und annehme, dass Sie recht haben, so gibt es doch reiche Kommunen und Städte und arme Kommunen und Städte. Ich habe schon mehrmals an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die jetzige gesetzliche Regelung

(Zuruf Holger Bellino (CDU))

immer die ländlichen Kommunen mit vielen örtlichen Straßen, mit langen Wegen und mit wenig Geld in der Kasse trifft. Das ist doch der Punkt.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Insofern kann ich die Finanzsituation, die in Frankfurt, Wiesbaden oder Eschborn besteht – die im Übrigen auch in der Vergangenheit nie Straßenbeiträge erhoben haben – und die auch in Ihre Überlegungen des Überschusses einfließt, nicht berücksichtigen. Ebenso kann ich in diesem Zusammenhang nicht das immer wiederholte Argument berücksichtigen, es gebe über 3 Millionen Hessinnen und Hessen, die mittlerweile nicht mehr davon betroffen seien. In diesen 3 Millionen sind z. B. auch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Wetzlar, in der ich wohne, mit enthalten. Wetzlar hat die Straßenbeiträge  abgeschafft. Dort gab es die ersten Auseinandersetzungen, dort sind die ersten Bürgerinitiativen entstanden. In Münchholzhausen, in einem Stadtteil mit 2.000 Einwohnern, sind 500 Leute zu einer Demonstration gegen die Straßenausbaubeiträge auf die Straße gegangen.

(Robert Lambrou (AfD): Hört, hört!)

Sie haben es dann erreicht, dass die Kommune die Straßenbeiträge abgeschafft hat. Aber zu welchem Preis?

Das ist der entscheidende Punkt. Denn gleichzeitig hat die Stadt Wetzlar mit dem Argument, die Straßenbeiträge abzuschaffen, die Grundsteuer B um 170 Punkte erhöht. Das ist die Realität. Dadurch zwingen Sie die Kommunen, die das Geld nicht in der Kasse haben, eine Umverteilung über die Grundsteuer B zulasten aller Bürgerinnen und Bürger durchzuführen. Das ist und bleibt unsozial.

Die Straßenbeiträge müssen deshalb abgeschafft werden, meine Damen und Herren.

(Beifall Die LINKE und SPD)