Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Petra Heimer - Hessen muss wirksame Schutzzonen für ungewollt Schwangere schaffen

Petra HeimerFrauenGesundheit

In seiner 131. Plenarsitzung am 22. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag den LINKE-Gesetzesentwurf zum Schutzzonengesetz. Dazu die Rede unserer frauen- und gleichstellungspolitischen Sprecherin Petra Heimer.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Schwangere in einer Konfliktsituation, die überlegen, einen Abbruch vornehmen zu lassen, oder die sich entschieden haben, einen Abbruch durchführen zu lassen, befinden sich in einer schwierigen und emotional sensiblen Situation. Keine Schwangere nimmt ein solches Thema auf die leichte Schulter.

Der Weg in eine Beratungsstelle, Praxis oder Klinik darf deshalb nicht zum Spießrutenlaufen werden. In dieser verletzlichen und intimen Situation muss jeglicher physische und psychische Druck ferngehalten werden. Deshalb sichert das Schwangerschaftskonfliktgesetz eine ergebnisoffene und anonyme Beratung zu.

Dieses Versprechen wird auch in Hessen verletzt. Die Belagerung der Beratungsstellen und Praxen stellt einen massiven Angriff auf die Grundrechte insbesondere der Frauen dar.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE und SPD)

Das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, das Recht auf Gesundheit und auch die Rechte der Ärztinnen und Ärzte, der Beraterinnen und Berater auf freie Ausübung ihres Berufes werden da wissentlich und willentlich verletzt. Das muss gegen die Versammlungsfreiheit abgewogen werden, auch unter Beachtung der Tatsache, dass der Gesetzgeber ungewollt Schwangeren eine Beratungspflicht auferlegt hat und sie gar keine andere Wahl haben, wenn sie einen Abbruch der Schwangerschaft in Erwägung ziehen.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat schon im Jahr 2018 vereinbart, an diesem unseligen Zustand etwas zu ändern. Leider müssen wir heute feststellen: Sie sind damit gescheitert.

Wirklich überraschend kam das nicht. Schon in der Anhörung zu unserem Gesetzentwurf im Jahr 2019 wurden Sie von den Juristinnen und Juristen darauf hingewiesen, dass man eine gesetzliche Grundlage braucht, um das Versammlungsrecht zu beschränken. Folgerichtig ist die Handreichung aus dem Hause Beuth vor zwei Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit gescheitert.

Nun zeigen insbesondere die GRÜNEN in Richtung des Bundes. Die Bundesfamilienministerin sei doch dabei, eine bundesgesetzliche Lösung zu entwickeln.

Das wäre erfreulich. Aber auch da haben Ihnen die Anzuhörenden des hessischen Innenministeriums und auch das Bundesfamilienministerium schriftlich etwas mitgeteilt. Ich zitiere aus einer Antwort aus dem Ministerium der Frau Paus auf eine schriftliche Frage der Bundestagsabgeordneten der Fraktion DIE LINKE, Heidi Reichinnek, vom September 2022:

Dabei ist zu beachten, dass die Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz sowohl im Polizei- und Ordnungsrecht als auch im Versammlungsrecht bei den Ländern liegt.

Genau so ist es. Seit der Föderalismusreform ist das Versammlungsrecht Ländersache. Der Bund besitzt da keine Kompetenz mehr. Sosehr ich mir wünsche, dass eine Regelung des Bundes kommt, so sehr müssen wir befürchten, dass eine solche Regelung ebenso erfolgreich beklagt und verworfen werden würde. Dann würde wieder unendlich viel Zeit verloren gehen, Zeit, die die Schwangeren aber nicht haben.

(Beifall DIE LINKE)

Am vergangenen Donnerstag hat sich das rot-rot-grün regierte Bremen auf den Weg gemacht. Es hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine vergleichbare Regelung zu der unseren enthält. Das erwarte ich auch von Hessen. Wir sollten nicht auf den Bund hoffen, wo in der Ampel nie Gewissheit herrscht, was am Ende am Ego von Herrn Lindner scheitert. Hessen sollte vielmehr selbst aktiv und mutig im Sinne der Frauenrechte vorangehen.

(Beifall DIE LINKE)

Unser grundlegend überarbeiteter Gesetzentwurf bietet Ihnen eine Chance dazu. Was können wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen? Wir fordern eine Schutzzone von 150 m um Beratungsstellen, Praxen und Kliniken mit Bezug auf die Schutzbestimmungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Ich möchte betonen: Unsere Schutzzonen sind keine Demonstrationsverbotszonen. Wir haben sehr fein justiert – thematisch, zeitlich, örtlich, selbst bezogen auf die Art der Versammlung. Mit diesem Gesetz werden ausschließlich stationäre Dauerkundgebungen verboten, die sich thematisch auf die Bereiche des Schwangerschaftskonfliktgesetzes beziehen, und auch nur, sofern sie während der Öffnungszeiten der Einrichtungen vor diesen stattfinden sollen. Der gesetzliche Schutzzweck ist klar umrissen und stellt eben keine allgemeine Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit dar.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben die juristischen Einwendungen aus der Anhörung 2019 eingehend geprüft und in unserem neuen Gesetzentwurf entsprechend eingearbeitet. Sie brauchen jetzt also gar nicht damit zu kommen, es handle sich um einen fast identischen Gesetzentwurf; denn dem ist nicht so.

Vor allem – und das ist viel entscheidender – hat sich die Ausgangslage seit 2019 drastisch verändert. Das Hauptargument gegen unseren Gesetzentwurf war damals, dass es mildere Mittel als eine gesetzliche Beschränkung des Versammlungsrechts geben würde. Die Urteile des Verwaltungsgerichts in Frankfurt und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs haben deutlich gemacht, dass dieses Argument nicht greift, und explizit eine gesetzliche Lösung eingefordert.

Ich appelliere insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN: Lassen Sie diese Chance nicht verstreichen. Ich weiß, dass es jeder Kollegin und vermutlich auch jedem Kollegen in Ihren Reihen wehtut, zu erleben, was sich da unter anderem vor der pro familia Bockenheim an 80 Tagen im Jahr abspielt. Ich glaube auch der Kollegin Martina Feldmayer, wenn sie vor der pro familia steht und eine Gesetzgebung fordert, die ein Aufsuchen der Beratungsstellen ohne Belästigungen ermöglichen soll. Da sind wir uns doch einig. Nur ist es dann eben auch Ihre Aufgabe, Ihrem Gewissen zu folgen und entsprechend abzustimmen.

(Beifall DIE LINKE)

Überzeugen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen bei der CDU. Erklären Sie es zu einer ethischen Gewissensentscheidung. Lassen Sie sich etwas einfallen. Die fundamentalen Grundrechte von Frauen sollten in unserer Zeit über jeder Koalitionsdisziplin stehen. Ich bin mir sicher, dass wir hier im Hause eine deutliche Mehrheit für das Anliegen unseres Gesetzentwurfes finden können. Nutzen wir sie, damit wir in Hessen dem Grundsatz „Mein Körper, meine Entscheidung“ ein deutliches Stück näherkommen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)