Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Polizeiliche Kriminalstatistik 2011: "Was nicht passt, wird passend gemacht"

Hermann Schaus

Zur Regierungserklärung betreffend "Sicherheit - Garant unserer Freiheit"

 

Zur Regierungserklärung des Hessischen Ministers des Innern und für Sport betreffend "Sicherheit - Garant unserer Freiheit"

 

Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Präsentation und Aussprache zur Kriminalitätsstatistik ist ein alljährlich wiederkehrendes Ritual: Die Regierung streicht Erfolge der Polizeiarbeit heraus, um sich selbst hoch zu jubeln. Was nicht passt, wird passend gemacht. Reale und ernsthafte Probleme in der Polizei werden ignoriert. Und die Statistik wird so gedeutet, wie man es parteipolitisch gerade braucht. Mit objektiver Auseinandersetzung mit der Kriminalität in Hessen hat das nichts zu tun.

So war es letztes Jahr und so ist es dieses Jahr wieder - mit einem Unterschied: Weil in gut drei Wochen Kommunalwahlen stattfinden, stellt die CDU ihr Lieblingsthema Innere Sicherheit in den Vordergrund und wir müssen Ihnen heute doppelt so lang zuhören. Das macht es aber nicht gerade besser.

Dennoch will ich anerkennen: Respekt, Herr Innenminister! Respekt, dass Sie sich zum Wahlkampf ausgerechnet ein Thema vornehmen, bei dem Sie selbst besonders im vergangenen Jahr jede Menge an Skandalen produziert haben. Das ist sehr mutig. Aber auf diese Skandale mit keinem Wort einzugehen und statt dessen die Opposition zu beschimpfen, nach dem Motto „ihr-wart-doch-schuld", ist allerdings dreist. Denn ein ehrlicher Rückblick des Herrn Innenministers auf das vergangene Jahr müsste mindestens enthalten: Eine Entschuldigung für die zahlreichen Skandale in der Polizeiführung und für den Wortbruch gegenüber den Polizistinnen und Polizisten bei der weiteren Arbeitszeitverlängerung.

Aber das sparen Sie sich einfach. Es ist geradezu peinlich, was Sie hier alles nicht gesagt haben.

Sie hätten nämlich auch sagen müssen:

  • Danke, Ihr hessischen Polizistinnen und Polizisten. Ihr wart letztes Jahr so großartig, dass wir Euch zwei Jahre länger arbeiten lassen. Und weil niemand mit 62 Jahren ernsthaft noch Verbrechern nachjagen kann, kürzen wir Euch faktisch die Pension weg.
  • Danke, ihr hessischen Polizistinnen und Polizisten. Ihr ward so großartig, dass ich Euch keine Besoldungserhöhung anbiete. Der Aufschwung ist da, aber auch die Gehälter der Beschäftigten sollen nicht steigen, weil wir ja schon jetzt für die Schuldenbremse bei euch sparen müssen.
  • Danke, ihr hessischen Polizistinnen und Polizisten. Ihr ward so großartig mit Millionen von Überstunden den Personalmangel auszugleichen. Ihr behaltet zur Belohnung auch weiterhin die längste Wochenarbeitszeit in Deutschland.

Ich fände es auch sehr interessant, wenn die hessischen Polizistinnen und Polizisten eine Statistik zur Arbeit der Landesregierung vorlegen würden. Dann sähe Ihre Regierungserklärung sicher ganz anders aus, denn der Unmut ist weiterhin riesengroß. Die hessischen Polizistinnen und Polizisten arbeiten trotz einer von Skandalen und Selbstvergessenheit beherrschten Landesregierung sehr gut, das ist unsere Analyse. Oder anders gesagt: Die Bürgerfreundlichkeit gehört zur Hessischen Landesregierung wie der Doktortitel zu Herrn Baron zu Guttenberg. Dass Sie Realitäten bewusst ausblenden, ist das eine. Aber sie haben der Opposition vorgeworfen, sie habe Zitat "Kübel an Dreck" ausgegossen. Und das ist unverschämt.

Herr Minister, ich habe letztes Jahr an dieser Stelle Aufklärung über eine ganze Reihe von Skandalen verlangt.

Ich stelle heute fest:

  • Der Landespolizeipräsident musste zurück treten.
  • Die Chefin des Landeskriminalamtes musste abberufen werden.
  • Der Fall Z. stellt sich vor Gericht ganz anders dar und der Polizeipräsident von Frankfurt musste sich öffentlich entschuldigen.
  • Wir haben noch Spannendes im Untersuchungsausschuss zur Polizeichef-Affäre aufzuklären, werden aber von der Regierungsmehrheit daran gehindert.
  • Und wir erwarten mit großer Spannung, was der Landesbeauftragte für die Polizei, der erst auf Druck der Opposition und der Öffentlichkeit eingerichtet wurde, zu Stande bringt.

Ich stelle fest: Ihr Abwiegeln und Vertuschen hat Ihnen nichts genutzt. Lernen Sie doch endlich daraus, statt die Opposition zu beschimpfen. Versuchen Sie doch einmal, bei der Aufklärung eigener Skandale so erfolgreich zu sein wie die Hessische Polizei. Da wünschte ich mir eine Aufklärungsquote von 58,2 Prozent!

Das hätte vermutlich den Rücktritt der halben Landesregierung zur Folge. Aber Wichtiges bleibt unaufgeklärt, so zum Beispiel warum in Gießen ein politischer Aktivist vier Tage lang inhaftiert wurde, obwohl die Polizei vorher wusste, dass er unschuldig ist. Oder, warum in Afghanistan ein deutscher Student in ein US-Militärgefängnis verschleppt wurde. Die Familie wirft den Hessischen Behörden vor, die Informationen geliefert zu haben, obwohl dem Mann in zwei staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren keine Verfehlung nachgewiesen werden konnte.

Sie, Herr Minister versprachen lückenlose Aufklärung haben sich aber unseren Nachfragen im Innenausschuss kategorisch verweigert. Warum wohl? Was gilt es da zu verbergen?

Herr Ministerpräsident: Sie waren über zehn Jahre Innenminister und alle wissen, dass diese Polizeistatistik ihr Vermächtnis ist. Ich habe kein Problem zuzugeben: Ja, die Polizei wurde unter Ihnen technisch besser ausgestattet. Ja, auch der Fuhrpark ist auf einem guten Stand.

Aber die Kehrseite der Medaille ist doch: Sie haben die Einführung des Digitalfunks, der ursprünglich für 2006 eingeplant war immer noch nicht zustande gebracht. Auch hierbei sind merkwürdige Personalentscheidungen im Ministerium zu beobachten.

Sie haben die schärfsten Sicherheitsgesetze der Republik auf den Weg gebracht und wurden wie kein anderer Innenminister öfter vom Bundesverfassungsgericht zurück gepfiffen. Sie haben eine Polizeiführung geschaffen, die offensichtlich Angst und Zwietracht gesät hat. Das gehört zu Ihrer Statistik dazu. Nun zu einigen Zahlen der Statistik und den politischen Schwerpunkten Ihrer Regierungserklärung.

Herr Minister, Sie sagen: "Die nackten Zahlen beweisen, dass Hessen eines der sichersten Bundesländer ist." Bei der Statistik gibt es aber keine "nackten Zahlen". Die Polizei-Statistiken der Länder werden in Deutschland nicht einheitlich erstellt. Die Vergleichbarkeit der Bundesländer ist alleine deshalb sehr schwierig. Einen Zusammenhang zwischen Fallzahlen, Täterzahlen und Verurteilungsraten kann man mit Ihrer Statistik nicht herstellen.

Ein Beispiel: Werden von einem Täter 20 Autos aufgebrochen und wird er geschnappt, sind das dann 20 gelöste Fälle? Und umgekehrt, wird er nicht geschnappt, ist das dann ein nicht gelöster Fall, weil man sie alle einem Täter zuschreibt?

Darüber hinaus ist eine Aussage, ob z. B. Autodiebstähle nun der technischen Entwicklung geschuldet sind, also Wegfahrsperren und Alarmanlagen, ob es weniger Täter gibt oder ob es der unmittelbaren Polizeiarbeit zu verdanken ist, lässt sich nicht statistisch erfassen.

Sie, Herr Minister Rhein sehen die Statistik nur durch eine propagandistische Brille, das haben wir heute erlebt. Und darauf will ich zum Schluss auch noch hinweisen.

Denn Erstens: Ein Drittel der gesamten Vermögensschäden in Hessen entsteht durch Wirtschaftskriminalität. Sie ist in 2010 rasant angestiegen. Zudem gibt es hierbei ein extrem hohes Dunkelfeld. Bekanntlich gibt es ja zum Beispiel viel zu wenig Steuerfahnder und wenig politisches Interesse an Korruptionsbekämpfung.

Business Crime Control schätzt den tatsächlichen Volkswirtschaftlichen Verlust durch Wirtschaftskriminalität in Deutschland auf 150 Milliarden Euro. Nach einer Studie von Price Waterhouse Cooper steht Deutschland in Sachen Korruption mit den Ost- und südeuropäischen Staaten auf einer Stufe. Trotzdem erscheint die Wirtschaftskriminalität bei ihnen gerade einmal als Fußnote. In ihrer Regierungserklärung haben sie das Thema komplett ausgeblendet. Da frage ich mich, warum?

Denn Zweitens: Wie in allen zurückliegenden Jahren steht für die Union der politische Extremismus und der Terrorismus ganz oben. Auch hier muss ich sie fragen, wie diese Prioritätensetzung zustande kommt.

Denn laut eigener Studie ist dieser Bereich mit über 30 Prozent extrem rückläufig. Trotzdem arbeiten sie sich nicht nur seitenweise daran ab, sondern sie kommen auch zu einer merkwürdigen Schwerpunktsetzung.

Für den Bereich Rechtsextremismus halten Sie fest, alles läuft bestens, weil Sie, Zitat: "ihnen keinen Spalt breit Platz machen". Kein Wort von den Aktivitäten in Wetzlar oder in der Wetterau. Fünfmal soviel Platz nimmt der Linksextremismus ein. Jeder Satz beinhaltet eine Warnung. Zitat: "Besonders besorgniserregend", „immer gewaltbereiter", „immer stärkere Vernetzung" usw...

Und Sie versuchen wieder einmal in unzulässiger Weise, Zusammenhänge zu Teilen unserer Partei herzustellen, nur weil Sie uns als politischen Gegner ausschalten wollen. Wir werden Ihnen auch bei den bevorstehenden Wahlen einen dicken roten Strich durch Ihre Rechnung machen.

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich (Frau Faeser hat schon darauf hingewiesen), dass in Ihrer eigenen Statistik dreimal so viele rechtsextremistische Straftaten ausgewiesen werden als linksextremistische. Zudem gab es im letzten Jahr eine ganze Reihe von Gewaltangriffen durch Rechtsextreme - unter anderem den mörderischen Brandanschlag auf das Haus eines Pastoralreferenten in Wetzlar. Die CDU hat sich ja bis heute dazu nicht erklärt. Ich denke, dies macht Ihre Beteuerungen, Sie wären auf dem rechten Auge nicht blind, wenig glaubhaft.

Aber das schlimmste, Herr Minister, ist Ihr Spiel mit der Angst der Menschen.

Ein Viertel Ihrer gesamten Rede verwenden Sie natürlich dann auf den militanten Islamismus. Mit Ihrer heutigen Aussage, dass auch unser Land unmittelbar vom islamistischen Terror bedroht sei und, Zitat: "Die Frage ist nicht, ob ein Anschlag erfolgt, sondern wann", schüren Sie wieder einmal in bekannter Manier, zu Wahlkampfzeiten, die Angst vor Terroranschlägen.

Lassen Sie mich zum Schluss deshalb klar erklären: Niemand von uns kann und darf terroristische Anschläge ausschließen. Es ist aber fahrlässig und schändlich, wenn aus wahltaktischen Gründen von einem amtierenden Innenminister die Ängste auch noch befeuert werden.