Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Rede von Marjana Schott zum Antrag der LINKEN „Gute Arbeit in hessischen Krankenhäusern“

Marjana Schott
Marjana SchottGesundheit

Rede zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE. Erhöhung der Pauschalen und Abschaffung der Elternbeiträge in der frühkindlichen Bildung

Rede von Marjana Schott am 22. Februar 2017

– Es gilt das gesprochene Wort –

„Gute Arbeit in hessischen Krankenhäusern“ Drucksache 19/4527

Sehr geehrte Damen und Herren,
haben Sie eine gute Mittagspause gehabt? Ich hoffe, Sie konnten etwas Leckeres essen und sich auch ein klein wenig erholen. Dann geht es Ihnen besser als vielen Beschäftigten in hessischen Kliniken. Die Hälfte der Beschäftigten im Gesundheitswesen gibt an, dass häufig die Pausen ausfallen lassen müssen. Deshalb haben sie gestern bundesweit in Mittagspausen-Aktionen darauf aufmerksam gemacht. Heute schon Pause gemacht? – so heißt die Aktion von Verdi, um die Beschäftigten zu ermutigen für ihre Rechte und ihre Entlastung einzutreten. Eine Ermutigung, die immer mehr Feuer fängt, wie wir in der Charité in Berlin, in den saarländischen Krankenhäusern, aber auch in Hessen sehen können. In Darmstadt sind die Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen unterwegs gewesen und haben nachgefragt, wie viele Pausen in den letzten fünf Schichten gemacht werden konnten. Ein Arzt kreuzt die Null an, die Pflegerin sagt, dass sie zwar ihr Brötchen essen, aber nicht die Station verlassen könne. Bei Vitos sind die Kolleg*innen vor die Klinik und haben auf ihre Situation mit einem riesigen Überstundenberg aufmerksam gemacht, in Frankfurt gab es Musik und Äpfel vor der Uniklinik für die engagierten Klinikmitarbeiter*innen.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund für unseren Antrag „Gute Arbeit in hessischen Krankenhäusern“, den wir heute vorlegen.

Gerade wenn demnächst wieder einer der 365 Frauentage im Jahr stattfindet, sollten wir unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf die Arbeitsbedingungen in den Branchen richten, in denen besonders Frauen ihren Lebensunterhalt verdienen. Wenn Frauenbeschäftigung in der Branche überproportional ist, verhalten sich Arbeitsbedingungen und Einkommen dazu umgekehrt proportional. Weniger dramatisch ist es in den Verwaltungen, aber im Einzelhandel, in den sozialen Berufen, im Reinigungsgewerbe, in der Produktion von Textilien, wenn wir uns dies weltweit anschauen, in der industriell geprägten Landwirtschaft – hier finden wir gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, hohen Arbeitsdruck, geringe gesellschaftliche Anerkennung. Immerhin hat der Landtag im letzten Jahr den Willen bekräftigt, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und bestehende Hindernisse und Nachteile zu beseitigen.“ Heute kann die Landesregierung zeigen, ob sie bereit ist, die Arbeitssituation von den 70 Prozent weiblichen Beschäftigten in den Krankenhäusern zu verbessern, selbstverständlich werden die männlichen Mitarbeiter nicht zurückgelassen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
es scheint ziemlich viele Notfälle in der Uniklinik Frankfurt zu geben. Anders können wir uns die Antworten des Wissenschaftsministers auf unseren dringlichen Berichtsantrag in der letzten Woche nicht erklären. Die Anzahl der Überstunden, die er nannte, fallen bereits in einer einzelnen Station an, die 57 nicht realisierten Pausen 2016 reklamieren bereits einzelne Beschäftigte jeweils für sich. Bei den Überstunden, den nicht genommenen Pausen werden Notfälle nicht mitgezählt. Ich möchte aber den Paragraf 4 zitieren, da ich den Eindruck habe, dass das Arbeitszeitgesetz nicht mehr allen präsent ist und ständig verletzt wird. Paragraf vier lautet: „Die Arbeit ist durch im voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen. … Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.“

Und Pause ist Pause und sie ist durch kein Brötchen am Arbeitsplatz zu ersetzen.

Natürlich kann man aus den Zeiterfassungsprogrammen herauslesen, wie oft die Arbeitszeit länger als zehn Stunden gedauert hat. Das muss man aber wollen. Bezeichnend ist, dass die Uniklinik Frankfurt in den letzten zwei Jahren von der Aufsichtsbehörde im Regierungspräsidium nicht kontrolliert wurde, während andere Kliniken häufiger Besuch bekommen. Diese Kontrollen sind auch notwendig, um die Arbeitszeit in den Kliniken nicht ausufern zu lassen. Es sind bedenkliche Entwicklungen, wenn die Beschäftigten schon keine Überlastungsanzeigen schreiben, weil dieser Vorgang so viel Zeit kostet, die dann für die eigentliche Arbeit fehlt. Es ist bezeichnend, wenn die Gewerkschaftsgruppen in den Kliniken darüber informieren, dass die normale Besetzung im Tagdienst inzwischen dem Standard des Wochenenddienstes entspricht. Oder dass in einigen Kliniken die Auszubildenden als Springer auf den Stationen eingesetzt werden. Das gilt ja für alle Krankenhäuser, wobei private Kliniken noch mehr Personal einsparen als die öffentlich-rechtlichen und die gemeinnützigen.

Bekannt ist die Misere ja schon länger. Nicht ohne Grund hat die Landesregierung 2014 ein Gutachten zur Situation der Pflege in hessischen Akutkrankenhäusern in Auftrag gegeben. Sie konnte in diesem Gutachten nachlesen, dass die Arbeitssituation der Pflege auf den Stationen entscheidend durch das Phänomen der "nicht mehr kompensierbaren Arbeitsspitzen", geprägt wird. „Das Phänomen beschreibt, dass es auf den Stationen aus verschiedenen Gründen wiederholt zu kurzfristigem, erhöhtem Arbeitsanfall kommt, der durch das vorhandene Personal nicht ausreichend ausgeglichen und bewältigt werden kann.“ Da diese „Arbeitsspitzen“ mit mehr Personal gelöst werden, müssen die Pflegekräfte, aber auch andere Beschäftigte in den Kliniken Einschränkungen in der Tätigkeit vornehmen. Von den 22 Pflegetätigkeiten, die im letzten Dienst nötig gewesen wären, aber aus Zeitmangel nicht durchgeführt werden konnten, gaben die Pflegefachkräfte an, zu 78 Prozent die Zuwendung/Patientengespräche versäumt zu haben, gefolgt von ausreichender Beobachtung verwirrter Patient/innen (57 Prozent), Beratung und Mobilisierung von Patientinnen und Patienten sowie Beratung von Angehörigen (mehr als 50 Prozent).

Die Pflegekräfte machten in der qualitativen Studie ihre Unzufriedenheit und Frustration mit der beruflichen Situation zu über 60 Prozent deutlich, dass sie mit den körperlichen Anforderungen bzw. zu fast 50 Prozent mit den psychischen Anforderungen sehr oder eher unzufrieden seien.
Jetzt gibt es aber durchaus Lösungen. Der aktuelle Zustand des Gesundheitswesens ist kein alternativloser Zustand. Er bedarf einer unbedingten Änderung. Es geht um die Gesundheit der Beschäftigten, es geht aber um unser aller Gesundheit, wenn man selbst oder Angehörige stationärer Versorgung bedürfen. Und da wollen wir keinen multiresistenten Keim fangen, weil die Beschäftigten keine Zeit für die Hand- und Bettenhygiene hatten, da wollen wir persönliche und individuelle Zuwendung haben, auch wenn wir nicht privat versichert sind, dann wollen wir nicht in die Situation kommen, uns selbst um den verwirrten Bettnachbarn zu kümmern, weil das Pflegepersonal keine Zeit hat, dann wollen wir eine gute Behandlung haben. Dies will der Patient, die Patientin, dies wollen aber auch die Beschäftigten in den Kliniken. Und ich denke hier ausnahmsweise für alle im Hause sprechen zu dürfen, wenn ich mich bei den Beschäftigten in den hessischen Kliniken für ihre engagierte Arbeit, ihren hohen Einsatz und ihr Engagement sehr herzlich bedanke.

Es gibt Lösungen. Durchaus ist die Personalbemessung in den Kliniken ein gangbarer Weg für eine bessere Ausstattung in der Pflege, der Hygiene, der Technik, des ärztlichen Dienstes und der Verwaltung. Wissen Sie, was Connecticut, Kalifornien, New York, Texas, Queensland; Tasmania, Japan, Südkorea, Taiwan und Belgien gemeinsam haben? Sie und einige mehr haben alle Vorgaben zur Mindestbesetzung nach dem Zahlenverhältnis Pflegefachperson zu Patientin/Patient gemacht. Die Wissenschaftler der Studie „Nurse-to-Patient Ratios“ betonten, dass Deutschland dabei hinterherhinkt. Die internationale Pflege-Vergleichsstudie RN4CAST aus dem Jahr 2012 hat festgestellt, dass in den USA durchschnittlich 5,3 Patienten auf eine Pflegefachkraft kommen, in den Niederlanden sieben, in Schweden 7,7 und in der Schweiz 7,9. In Deutschland sind es im Schnitt 13 Patientinnen und Patienten. Aber doch, seit Anfang des Jahres gibt es in Deutschland auch eine Personalbemessung und zwar in der Neonatologie, der Frühchenstation, hier hat der Gemeinsame Bundesausschuss das Verhältnis 1:1 festgelegt, allerdings ohne sich Gedanken zu machen, wo die speziell qualifizierten Pflegekräfte herkommen sollen, mit dem Ergebnis, dass es bis Ende 2018 in den meisten Kliniken eine Übergangslösung geben muss.

So ausgeschlossen ist es aber nicht, dass auch Deutschland in dieser Frage noch aufholen kann. Immerhin wurde bei der Charité in Berlin ein Haustarifvertrag mit Personalbemessungsquoten abgeschlossen. Immerhin wird aktuell im Saarland versprochen, in den „neuen Krankenhausplan Vorgaben für eine Mindestausstattung von Pflegekräften und Ärzten in den Krankenhäusern aufzunehmen - das Saarland wäre dann eines der ersten Bundesländer, die in der Krankenhausplanung solche verpflichtenden Vorgaben zur Besetzung von Pflegestellen machen“, so die Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer von der CDU. Stimmt, in NRW gibt es eine Regelung für Intensivstationen. Es soll eine Bundesratsinitiative aus dem Saarland kommen, „um bessere Personalstandards gesetzlich abzusichern, die von den Krankenkassen dann auch entsprechend bezahlt werden müssen.“

Dies sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin von der SPD, Anke Rehlinger. Da ist es doch nur gut, dass Hessen den Landeskrankenhausplan noch nicht erstellt hat, wenn auch der Minister vor einem Jahr zusagte, dass „der neue Krankenhausplan bis zum Jahresende von der Landesregierung beschlossen werden soll“. Jetzt haben Sie Herr Grüttner noch Zeit, um Vorgaben für die Personalbemessung einzupflegen, sich im Bundesrat für eine Personalmindestverordnung stark zu machen und für die bessere Finanzierung der Krankenhäuser zu sorgen. Erste Erfahrungen in der Umsetzung sollten bereits bei dem Universitätsklinikum Frankfurt gegangen werden. Die Beschäftigten wie die Patientinnen und Patienten verdienen dies allemal.