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Rede

Rede zu den Abschiebungen nach Afghanistan

Gabi Faulhaber
Gabi FaulhaberMigration und Integration

Rede von Gabi Faulhaber am 14. Dezember 2016 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –


Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
lassen sie uns über westliche Werte sprechen. Über christliche Werte. Bald ist Weihnachten, das christliche Fest der Liebe. Frieden auf Erden heißt die Weihnachtsbotschaft.
Und wir hören sie gern. Per sé gehören so Christen zu den friedlichen Menschen.

Doch die Realität sieht vollkommen anders aus, meine Damen und Herren!

Ohne mit der Wimper zu zucken, bereitet die Bundesregierung in der Vorweihnachts-zeit die Abschiebung von 13 000 afghanischen Flüchtlingen vor. Ich habe nicht von Ihnen gehört, meine Damen und Herren, dass Sie sich gegen diese Abschiebungen ausgesprochen hätten! Ich habe noch nicht von Ihnen gehört, dass Sie sich wenigstens gegen Winter-abschiebungen ausgesprochen hätten!

Wie vereinbaren Sie ihr friedvolles Weihnachtsfest mit diesen Abschiebungen in ein Kriegsgebiet?  Wie vereinbaren Sie die Verdopplung der deutschen Waffenexporte und die Verlängerung des Militäreinsatzes in Afghanistan mit der weihnachtlichen Friedensbotschaft? Vor Gott sind alle Menschen gleich?!
Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst?! Fehlanzeige!

Meine Damen und Herren,
das Thema Abschiebungen hat inzwischen zur zentralen Frage in der deutschen Flüchtlingspolitik entwickelt. Eine „nationale Kraftanstrengung“ bei Massenabschiebungen fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ein freundliches Gesicht gegenüber Menschen in Notsituation wollte sie noch letztes Jahr zeigen. Aber nun zeigt Deutschland sein hässliches Gesicht.
Seit heute schiebt die Bundesregierung Geflüchtete zurück in ein Land, das vom jahrzehntelangen Krieg völlig zerstört ist.

In ein Land, in dem, Taliban, Warlords und Besatzungstruppen die Bevölkerung terrorisieren. Die Innenminister der Länder liefern sich regelrecht einen Wettkampf um die höchsten Abschiebezahlen.
Für rund 2 Millionen Euro lässt sich die Bundesregierung von McKinsey Tipps geben, wie Massenabschiebungen effizienter organisiert werden können. Immer hemmungsloser werden die Vorschläge zur Abschreckung von Flüchtlingen- besonders aus den Reihen der Union. Aushungern z.B. mit der Kürzung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Abschiebungen von Kranken,
von schwangeren Frauen, Kindern, Internierungslager für Asylsuchende in Nordafrika – die Liste der Schäbigkeiten kennt keine Grenzen.

Menschliche Schicksale interessieren in der öffentlichen Debatte kaum noch.

Meine Damen und Herren, es beunruhigt mich zutiefst, mit welcher Bedenkenlosigkeit, ja mit welcher Skrupellosigkeit solche Forderungen aufgestellt und die Abschiebungen von Tausenden von Menschen eingefordert werden. Oder sollte ich lieber ‚Deportationen‘ sagen? Das wäre eigentlich angebracht!

Diese inhumane Politik beunruhigt bei Weitem nicht nur Linke! In einer gemeinsamen Kasseler Erklärung haben die evangelische Kirche Hessen Nassau und die Diakonie einen Abschiebestopp für Menschen aus Afghanistan gefordert.

Sie sagen: „Eine Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit nicht zumutbar. Die Sicherheitslage ist prekär und unvorhersehbar und hat sich in den letzten Wochen weiter dramatisch verschlechtert.“

Gleichlautendende Kritik kommt von pro asyl und dem hessischen Flüchtlingsrat.
Kritik kommt auch aus der SPD, deren Regierungsmitglieder diese Politik ja mitmachen.

Der Sprecher für Menschenrechte in der SPD-Bundestagsfraktion, Frank Schwabe, sagte gestern:
„Die Sicherheitslage ist anhaltend prekär. Und jederzeit kann sich die Lage verschlechtern. Der jüngste Angriff auf das deutsche Konsulat in Masar-e-Sharif zeigt, dass es keine sicheren Bereiche im Land gibt.“
Der Leiter des afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrums in Berlin sagt: „Es gibt überhaupt keine sicheren Gebiete in Afghanistan, die Sicherheit in Afghanistan ist Fiktion.“

Meine Damen und Herren, es ist ja nicht so, dass die Bundesregierung nicht wüsste, was in Afghanistan los ist. Das Auswärtige Amt schreibt auf seiner Website, ich zitiere:
„Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt.“

Die medizinische Versorgung sei auch in Notfällen völlig unzureichend. Der Aufenthalt im Land bleibe gefährlich. Es bestehe ein großes Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Über 1.600 Tote und mehr als 3.500 Verletzte unter der afghanischen Zivilbevölkerung im ersten Halbjahr 2016, sprechen eine deutliche Sprache: Afghanistan ist nicht sicher! Wir sagen: Hören Sie endlich auf, Märchen zu erzählen! Es gibt keine sicheren Fluchtalternativen in Afghanistan. Setzen Sie das schmutzige Rückführungsabkommen, das Anfang Oktober mit der afghanischen Regierung vereinbart wurde, nicht um!
Denn wer unter diesen Umständen Menschen nach Afghanistan abschiebt, handelt nicht nur verantwortungslos, er setzt das Leben der Betroffenen bewusst aufs Spiel. Es ist doch so, dass heute die Taliban ein größeres Gebiet kontrollieren als zu Beginn der NATO-Interventionen im Jahr 2001. Der Bundeswehreinsatz wurde ausgeweitet, damit die Taliban nicht die Provinzstädte des Nordens übernehmen. Und selbst in der afghanischen Hauptstadt traut sich Bundesinnenminister de Maiziere nur mit Stahlhelm und kugelsicherer Weste aus dem Flugzeug.

Hinzu kommt, meine Damen und Herren, dass die zurückgeschobenen Menschen in den afghanischen Winter und in die Obdachlosigkeit geschickt werden. Dass Menschen und auch Kinder in Flüchtlingslagern erfrieren – solche Nachrichten erreichen uns immer wieder. Und sowieso stellt die Abschiebung von Kindern eine besondere Härte dar: Doch nur selten wird bei Abschiebungen das Kindeswohl und die seelische Gesundheit von Kindern beachtet. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt die UNICEF-Studie „Stilles Leid“. Man fragt sich: gelten für afghanische Kinder keine Kinderrechte?

Deshalb: Hessen muss jetzt seine Handlungsspielräume nutzen und Abschiebungen zumindest für die drei Wintermonate aussetzen. Das ist rechtlich möglich, und es ist humanitär geboten! Wir wissen selbstverständlich, dass zentrale Entscheidungen auf dem Gebiet der Asylpolitik in Berlin getroffen werden und die Möglichkeiten der Länder, hierauf Einfluss zu nehmen, begrenzt sind. Gleichwohl sind Handlungsspielräume vorhanden. Die Landesregierung kann – wenn sie denn möchte – Abschiebungen für drei Monate aussetzen. Diese Möglichkeit wird ihr durch das Aufenthaltsgesetz eingeräumt. Und sie kann auch, im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium, Geflüchteten humanitäre Aufenthaltstitel gewähren.

Es sind die Länder, auf die Bundesinnenminister Thomas de Maiziere angewiesen ist, um seine Politik der Massenabschiebungen umzusetzen. Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Thüringen etwa, beteiligen sich nicht an den Abschiebungen nach Afghanistan. Ein solches Signal, meine Damen und Herren, wünschen wir uns auch von Hessen. Ich höre leider auch von den Damen und Herren der Grünen hier in der Landesregierung nichts in Sachen Humanität. Während das Geschrei der Grünen nach Menschenrechten sehr groß ist, wenn es darum geht, Militäreinsätze der Bundeswehr zu legitimieren, ist das Leben afghanischer Flüchtlinge offensichtlich zweitrangig. Oder wie soll ich das bewerten? In Ihrem heutigen dringlichen Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von Grünen und CDU, behaupten Sie, jeder Einzelfall würde sorgfältig und sensibel geprüft. Die rechtlichen Hindernisse würden abgewogen. Dabei ist bekannt geworden, dass nicht bei allen Menschen, die ab heute abgeschoben werden sollen, das Verfahren rechtlich abgeschlossen ist.

Da ist sie wieder, die Mär von den sogenannten "humanen" beziehungsweise "sorgfältigen Einzelfallprüfungen" durch die Ausländerbehörden. Das führen Vertreterinnen und Vertretern der Regierungsfraktionen ja immer wieder an, wenn wir für bestimmte Zielländer oder für bestimmte Personengruppen einen generellen Abschiebestopp fordern. Dann behauptet der Kollege Marcus Bocklet, es sei nicht notwendig, Abschiebungen generell auszusetzen, weil Ausländerbehörden mögliche Härtesituationen im Zielland ja ohnehin berücksichtigen würden.

Da möchte ich doch eins klarstellen: Ziellandsbezogene Abschiebehindernisse, also etwa eine drohende Obdachlosigkeit, können nach rechtskräftigen Abschiebeentscheidungen des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration durch die Ausländerbehörden nicht mehr berücksichtigt werden. Nach einer unanfechtbaren Entscheidung des Bamf verbleibt als einzige Möglichkeit, um Menschen vor besonderen Härtesituationen im Zielland zu bewahren, nur die Anordnung eines Abschiebestopps durch die Landesregierung. Hören Sie also auf, mit Nebelkerzen zu werfen. Drücken Sie sich nicht vor Ihrer humanitären Verantwortung! Setzen Sie endlich Humanität und Menschenrechte in den Mittelpunkt hessischer Flüchtlingspolitik.

Meine Damen und Herren,
diese inhumane Politik hat noch einen anderen Aspekt als den der Nächstenliebe.
Diese Politik befördert den Rassismus und spaltet die Gesellschaft. Sie ist ein Beitrag zur moralischen Verrohung der Gesellschaft. Noch mehr Flüchtlingsheime werden brennen. Und es wird letztlich auch der CDU nichts nützen, wenn sie nach rechts rückt. Wer die Positionen von AfD, Pegida und anderen Hasspredigern kopiert, macht die Rechtsextremen nur noch stärker.