Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Rede zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (#FreeThemAll: Hessen steht weiter ein für Presse- und Meinungsfreiheit - Freilassung von Deniz Yücel kann nur der Anfang sein)

Jan Schalauske
Jan SchalauskeEuropa

Rede von Jan Schalauske im Hessischen Landtag am 1. März 2018

– Es gilt das gesprochene Wort –

Freude über Haftentlassung von Deniz Yücel – doch politische Verfolgung in der Türkei wird hemmungslos fortgesetzt

Landesregierung fehlt es an Engagement für oppositionelle Kräfte in unserer Partnerregion



Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Deniz Yücel ist endlich frei. Ich freue mich sehr, dass er am 16. Februar nach einem Jahr in willkürlicher Untersuchungshaft das Gefängnis verlassen konnte.
Für ihn selbst, für seine Familie, für alle Menschen, die sich für seine Freilassung und für Pressefreiheit in der Türkei eingesetzt haben, ist das eine gute Nachricht.
Ich wünsche Deniz Yücel, dass er sich von den Folgen der monatelangen Haft, schnell erholt und bald wieder seiner Arbeit als Journalist nachgehen kann.
Denn wir brauchen kritische Geister wie ihn! Wir brauchen sie in der Türkei, aber zweifelsohne auch hier. Wachsame Journalistinnen und Journalisten leisten einen wichtigen Beitrag zu demokratischen Verhältnisse.

Meine Damen und Herren, Deniz Yücel ist frei, aber die Gefängnisse in der Türkei sind voll.
An dem Tag, an dem Deniz Yücel endlich das Gefängnis verlassen konnte, wurden die Brüder Mehmet und Ahmet Altan – zwei in der Türkei renommierte Journalisten – sowie vier weitere Medienschaffende zu lebenslanger Haft verurteilt.

Wer in der heutigen Türkei kritisch über das Regime des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan berichtet, steht mit einem Bein schon im Gefängnis. Und er riskiert, über Jahre hinweg weggesperrt zu werden.
155 inhaftierte Medienvertreterinnen und Medienvertreter zählt die türkische Plattform für unabhängigen Journalismus „P24“. Sie wurden weggesperrt, nur weil sie ihrer Arbeit nachgegangen sind. Ganz zu schweigen von den unzähligen Menschen, die im Gefängnis sitzen und deren einziges "Verbrechen" darin besteht, eine andere Meinung als Erdogan zu haben.
So groß auch die Freude über die Freilassung von Deniz Yücel sein mag – sie kann nur eine Momentaufnahme sein.

Es darf keine normalen Beziehungen zu Ankara geben, solange das AKP-Regime Menschen aus politischen Gründen verfolgen und einsperren lässt!
Meine Damen und Herren, auch in Bursa, Hessens Partnerprovinz in der Türkei, sitzen Dutzende von Personen wegen ihrer oppositionellen Haltung zur Regierung in Haft.
Ömer Gül, der Pressereferent unserer Schwesterpartei HDP in Bursa, wurde vergangenes Jahr wegen seiner journalistischen Tätigkeit zu 4,5 Jahren Haft verurteilt.
Yüksel Akgün, der Vorsitzende der HDP in Bursa, sitzt wegen seiner politischen Äußerungen seit vier Monaten in Untersuchungshaft.

Am 6. März beginnt der Prozess gegen ihn. Es gibt Hinweise, dass Yüksel Akgün und andere aus politischen Gründen in Bursa inhaftierten gefoltert werden.
Wir haben Europaministerin Frau Lucia Puttrich gebeten, im Hinblick auf den baldigen Prozessauftakt sich für eine Freilassung des HDP-Vorsitzenden Yüksel Akgün einzusetzen.
Frau Puttrich hat uns gestern geantwortet. Sie bestätigt uns den Gerichtstermin und verweist im Übrigen auf die Zuständigkeit des Auswärtigen Amts.

Meine Damen und Herren, dieser Hinweis ist zutiefst unbefriedigend.
Diese Phase in der Türkei lässt sich, anders als es Frau Ministerin Puttrich einschätzt, nicht einfach aussitzen.

Und wenn eine Regierungsfraktion hier im Hause eine aktuelle Stunde veranstaltet, deren Titel suggeriert, dass Hessen sich in besonderem Maße für Presse- und Meinungsfreiheit einsetzen würde, dann erwarte ich von der Landesregierung deutlich mehr Engagement für oppositionelle Kräfte in unserer Partnerregion als sie es bisher tut!

Meine Damen und Herren, das Regime von Recep Tayyip Erdogan führt Krieg gegen Kurdinnen und Kurden im Osten des Landes und gegen Kurdinnen und Kurden in Syrien. Sie führt diesen Krieg mit Produkten nicht zuletzt aus deutschen Waffenschmieden, von denen sich nicht wenige in Hessen befinden.

Deniz Yücel hat wenige Wochen vor seiner Haftentlassung erklärt, dass er als Verhandlungsmasse für irgendwelche Waffendeals nicht zur Verfügung steht.

Obwohl die Äußerungen des türkischen Regierungschefs kurz nach der Freilassung von Deniz Yücel und eine Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage der LINKEN im Bundestag eine andere Sichtweise nahelegen, hoffe ich wirklich sehr, dass die Freiheit von Deniz Yücel nicht mit schmutzigen Waffengeschäften erkauft wurde.

Meine Damen und Herren, mit diesem Regime in Ankara, das die Menschenrechte missachtet, die Pressefreiheit mit Füßen tritt und Krieg gegen das kurdische Afrin führt, darf es überhaupt keine Rüstungsgeschäfte und keine militärische Zusammenarbeit mehr geben. Wir fordern einen sofortigen Stopp sämtlicher Waffenlieferungen in den NATO-Staat Türkei und einen schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr.