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Rede

Rede zum Antrag der SPD „Geburtshilfe in Hessen sicherstellen – Hebammenmangel beseitigen“

Marjana Schott
Marjana SchottFrauenFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

Rede von Marjana Schott am 26. Januar 2017

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen und Herren,
kennen Sie die Landkarte der Unterversorgung?

Im Raum Wiesbaden haben 271, im Raum Frankfurt 777 Frauen keine Wochenbettbetreuung durch eine Hebamme oder einen Entbindungspfleger gefunden. In Karben finden 8 Frauen keine Schwangerenvorsorge, in Dieburg sind es vier Frauen, die keinen Platz für eine Beleggeburt finden. In Darmstadt bleiben neun Frauen ohne Schwangerenvorsorge. In Griesheim sind es drei, die keinen Platz im Hebammenkurs finden. Das sind aber nur einige der Frauen, die sich voller Verzweiflung in die Landkarte der Unterversorgung des Hebammenverbandes eingetragen haben. Wie viele werdende Eltern sich bereits um eine Schwangerenvorsorge, Geburtshilfe und Nachsorge bemühen und zig Adressen abtelefonieren, das wissen wir nicht, hören aber ständig die Klagen.

Eine Lokalzeitung zitiert vor fünf Tagen die Sprecherin der örtlichen Gliederung des Deutschen Hebammenverbandes, die Eltern empfiehlt sich bereits sofort zu Schwangerschaftsbeginn um eine Hebamme zu bemühen, in der 20. Woche haben zumindest in diesem Landkreis die Eltern kaum noch eine Chance, jemanden zu finden. Hoffentlich wissen dies alle werdenden Eltern.

Bei der Landesregierung und auch der Bundesregierung kommt diese Kritik nicht an. Der Hessische Sozialminister ist der Meinung, dass Hebamme ein freier Beruf ist und dass die Landesregierung nichts damit zu tun hat, ob Eltern eine Hebamme für ihre Schwangerschaftsvorsorge, Geburtshilfe oder Nachsorge finden. Der Antrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen zeigt, dass auch die Regierungsfraktionen dies nicht anders sehen. Bei Beschwerden werden Eltern auf die Geburtshilfe eines Krankenhauses in ihrer Umgebung verwiesen, das schon irgendwie das Kind auf die Welt bringen wird. Natürlich ist in Hessen jedes Kind auf die Welt gekommen. Das reicht uns aber nicht als Qualitätskriterium.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat aktuell für die Gynäkologie Qualitätskriterien verabschiedet. Diese beziehen sich aber nicht auf das Zahlenverhältnis zwischen Hebamme und Geburten. Es ist doch ein Unterschied, ob eine Hebamme oder ein Entbindungspfleger sich um eine Frau und eine Geburt kümmern kann oder um mehrere gleichzeitig. Dies wäre ein Qualitätskriterium, das dazu führen würde die Arbeit der Geburtshelfer*innen höher zu schätzen, Eltern und Kinder besser zu schützen.  
Geschlossen wurden in den letzten sechs Jahren 12 geburtshilfliche Stationen in Hessen. Damit sind längere Wege verbunden, die Landesregierung sieht Fahrtzeiten bis zu 45 Minuten als zumutbar an. In 45 Minuten kann eine Geburt auch schon vorbei sein. Als Geburtsort tragen wir dann beispielsweise die A 66 ein. Ich möchte nicht, dass wir in eine solche Situation wie in Schleswig-Holstein kommen, wo Frauen zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin in ein Boarding-Haus ziehen und hoffen, dass der Vater rechtzeitig zur Geburt sein kann.

Aber selbst die weniger werdenden Geburtskliniken haben Probleme heute Hebammen oder Entbindungspfleger zu finden. Der Beruf, der für viele Berufung war, ist aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen sehr unattraktiv geworden.

Die mageren Einkommen und die hohen Haftpflichtprämien machen es schwer, ein Auskommen zu haben. Die freiberuflichen Hebammen rechnen vor, dass sie einen Stundenlohn zwischen 7 Euro 50 und 8 Euro 50 erzielen, also unter dem Mindestlohn. Dafür müssen sie rund um die Uhr erreichbar sein. Dies führt dazu, dass immer mehr ihre freiberufliche Tätigkeit oder gleich ganz ihren Beruf aufgeben.

Wir meinen aber, die Versorgung mit Hebammenleistungen gehört zur Grundversorgung der Bevölkerung. Sie muss wohnortnah erfolgen, zum Beispiel über Versorgungszentren, Hebammenstützpunkte, über Kooperationen. Wir wollen den Hebammenberuf nicht nur erhalten, sondern aufwerten. Hebammen sollen, wie in den Niederlanden, erste und wichtigste Ansprechpartnerinnen für Schwangere sein.

Die Bedingungen sollen eine Eins-zu-eins-Betreuung in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett gewährleisten. Die Vergütung der Hebammen muss sich selbstverständlich daran orientieren, sie muss so sein, dass die Kolleginnen und wenigen Kollegen auch davon mit ihrer Familie leben können.
Für die Haftpflichtproblematik liegt seit Jahren ein guter, umsetzungsfähiger Vorschlag der LINKEN für einen steuerfinanzierten Haftungsfonds auf dem Tisch. Vielleicht kann der Sozialminister ja mal diesbezüglich seine guten Beziehungen zu Minister Gröhe spielen lassen.

Den Vorschlag, den die SPD heute zur Diskussion stellt, ist ein erster Schritt auf dem Weg, dass sich die Landesregierung dieses Themas annimmt und nach einer Analyse auch ein Konzept für eine gute Geburtshilfe erstellt. Immerhin steigen in den letzten Jahren die Geburtenzahlen auch in Hessen an. Es werden so viele Kinder geboren wie das letzte Mal im Jahr 2000. Das reicht zwar noch nicht, um die Sterberate auszugleichen. Gemeinsam mit der Zuwanderung kann sich aber durchaus der demografische Wandel verändern. Wir sollten unseren Teil dazu beitragen, dass Eltern und auch potentielle Eltern das Gefühl bekommen, dass ihre Kinder in diesem Bundesland willkommen sind – und das von Anfang an.