Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Rede zur aktuellen Stunde der LINKEN „offene Haftbefehle gegen Neonazis“

Hermann Schaus

- unkorrigiertes Redemanuskript - es gilt das gesprochene Wort! -

Herr Präsident / Frau Präsidentin,
meine sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem unsere Fraktion vor einigen Wochen mit einem Berichtsantrag nach offenen Haftbefehlen gegen polizeibekannte Neonazis in Hessen fragte,  kam das unglaubliche ans Tageslicht. Die Landesregierung musste einräumen, dass sich in Hessen 17 verurteilte Neonazis, gegen die 22 Haftbefehle vorliegen, ihrer Verhaftung entzogen haben.

Diese Straftäter, die unter anderem wegen schweren Straftaten wie, gefährliche Körperverletzung, Erpressung, schweren Raubs oder räuberischem Diebstahl rechtskräftig  verurteilt wurden, sind schon seit längerem untergetaucht. In einem Fall sogar seit 2006.

Die Frage drängt sich förmlich auf:

  • Wie konnte das geschehen?
  • Wer ist für diese Versäumnisse verantwortlich und welche Unterstützungsstrukturen unter den Neonazis gibt es, die ein solch langjähriges Untertauchen erst ermöglichen?

Wir fragten auch, ob es aus der Vergangenheit noch mehr als diese - jetzt erst bekannten Fälle - gibt? Aber dazu konnten wir keine Auskunft erhalten, weil es bisher keine bundesweit einheitlichen Kriterien für solche Erhebungen gab. Die wurden nämlich erst jetzt, zwei Jahre nach den NSU-Morden, bundesweit mit den Ländern vereinbart.

Mit anderen Worten, es kann sogar noch viel mehr untergetauschte Neonazis geben, aber nichts genaues, weis man nicht. Die untergetauchten Personen standen also zuvor nicht unter besonderer Beobachtung durch den Verfassungsschutz und ich frage, warum eigentlich nicht? In dem gleichen Bericht wird dann aber beschwichtigend vom Landesamt für Verfassungsschutz darauf hingewiesen, dass die Zahl der Neonazis seit 2000 kontinuierlich zurückgegangen sei.

Das soll heißen: Trotz der mindestens 17 untergetauchten Personen haben wir alles im Griff, also kein Grund zur Beunruhigung. Oder wie es der frühere Innenminister Bouffier schon 2008 behauptete: Um Hessen machen die Neonazis einen weiten Bogen. Und das sollen wir alle glauben?
Solcherlei verharmlosender Aussagen zum rechtsextremen Umfeld kennen wir zur genüge. Gestimmt haben sie leider nie!

Über 2 Jahre nach Bekanntwerden des Nazi-Terrors durch den sogenannten NSU muss man sich wieder fragen: Sind Behörden und Politik nicht Willens oder nicht in der Lage, militante Nazis zu erkennen und zu verfolgen. Schon im letzten Jahr hat DIE LINKE aufgedeckt, dass militante Nazis aus hessischen Gefängnissen heraus völlig ungestört ein Netzwerk betreiben konnten. Die Landesregierung behauptete damals zunächst auch es gäbe keine Neonazi-Strukturen in Hessischen Gefängnissen.

Aber das Gegenteil war der Fall. Man hatte irgendwie übersehen, dass einschlägig vorbestrafte Häftlinge mit Nazi-Tatoos und Hakenkreuz-Ringen, die teilweise im Gefängnis sogar als NSU-Zeugen vernommen wurden, eben keine „normalen“ Gefangenen sind, Die weiter aktiv waren.

Der Hessische Rundfunk titelte damals: „Neonazi-Szene blüht in Hessen“

RTL: „Nazi-Mafia im Gefängnis“.

Das ZDF: „Stille Post aus dem Knast – die Justiz hat nichts gelernt“.

Die vorliegenden Antworten zu unserem jüngsten Berichtsantrag sind wieder erschütternd. So behauptet der Verfassungsschutz selbst jetzt noch weiter, es gäbe in Hessen nur lose organisierte Gruppen, die regional agierten. Das Mobilisierungspotential der Szene sei eher gering und
Dass „zu dem zum Untertauchen notwendigen Unterstützerkreis dieser Personen (…) keine belastbaren Aussagen getroffen werden“ (können).

Meine Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Ein Verfassungsschutz, der die rechte Gefahr permanent herunterspielt, der zulässt, dass verurteilte Straftäter über Jahre untertauchen können, ja, der bis vor einigen Monaten noch gar nicht gemerkt hat, dass diese Neonazis untergetaucht sind, der ist gänzlich überflüssig. Ich fordere hier und heute die Landesregierung auf mit Hochdruck diesen Fällen nachzugehen und die Fahndung nach Ihnen endlich zu intensivieren. Das ist das Mindeste was jetzt getan werden muss!