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Rede

Rede zur Großen Anfrage der LINKEN: Pakt für den Nachmittag

Gabi Faulhaber
Gabi FaulhaberBildung

Rede von Gabi Faulhaber am 31. Mai 2017 im Hessischen Landtag

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Herr Kultusminister!

Zunächst einmal möchte ich kurz etwas zur Entstehungsgeschichte dieser Großen Anfrage sagen. Im Sommer vergangenen Jahres stellten wir eine ähnliche Anfrage, und zwar die Kleine Anfrage betreffend Kosten für den Pakt für den Nachmittag, Drucks. 19/3474. Auf diese Kleine Anfrage antworteten Sie, der Hessische Städtetag habe der Landesregierung mitgeteilt, es sei viel zu viel Aufwand, die Fragen zu beantworten.

Wohlgemerkt, wir reden über damals 122 Pakt-Schulen. Es war Ihnen zu viel Aufwand, beispielsweise zu beantworten, an wie vielen Pakt-Schulen mit der Teilnahme am Pakt erstmalig ein Mittagessen angeboten wird.

Ich bin eigentlich nicht nachtragend, aber so eine Schnoddrigkeit muss man sich auch als ungeliebte Oppositionsfraktion nicht zumuten lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil es so eine Überheblichkeit war, erwähne ich dieses Vorgehen des Kultusministeriums heute noch einmal.

Meine Damen und Herren, kommen wir zur Großen Anfrage, die nun wenigstens leidlich beantwortetet wurde. Viele Eltern melden uns zurück, dass es ganz erhebliche Mängel bei der Umsetzung des Pakts für den Nachmittag gibt. Vor Ort wurden teilweise gut funktionierende Strukturen und Kooperationen zerschlagen. Auch die Finanzierung wird bemängelt.

Bevor ich in die Tiefe gehe, möchte ich eines klarstellen: Dieser Pakt für den Nachmittag ist kein Schulangebot, mit dem sich Hessen der Ganztagsschule annähert, auch wenn Sie das gerne so darstellen, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen. Ich wiederhole: Der Pakt ist kein Ganztagsschulangebot.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit echter Ganztagsschule hat er in etwa so viel zu tun wie Spülwasser mit einem guten Rotwein. Der Pakt ist ein Betreuungsprogramm, ohne dass vom Ministerium ein pädagogisches Konzept entwickelt oder eingefordert würde. Dieser Pakt macht auch nichts entscheidend Neues. In allen Städten gab und gibt es ein vielfältiges Sammelsurium von Betreuungsangeboten, meist für Grundschulkinder. Ein solches Angebot gibt es oft schon seit Jahrzehnten.

Warum gibt es diese Betreuungsangebote? – Weil es fast keine echten Ganztagsschulen in Hessen gibt. Diese Betreuungen werden nun, insofern sie mit Pakt-Schulen kooperieren, unter dem Deckmantel „Pakt für den Nachmittag“ als wahnsinnig innovative Neuerung des Kultusministeriums verkauft.

Nun will ich konkret zu diesen Betreuungsangeboten kommen. Dass man dort nun offiziell erst ab

14:30 Uhr für die Betreuung zuständig ist, ist nicht unproblematisch. Das macht insbesondere dort Schwierigkeiten, wo bislang Hausaufgabenbetreuung und Mittagessen im Konzept der Betreuungseinrichtung eingebunden waren. Das wird nun an die Schulen verlagert. Viele gute Betreuungseinrichtungen konnten deshalb nicht weiter bestehen.

Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass Nachmittagsbetreuung in der Schule stattfindet. Es kommt aber noch ein anderes Problem hinzu, nämlich dass beim Pakt für den Nachmittag Qualitätsstandards nach SGB VIII vom Kultusministerium nicht eingefordert werden. Beispielsweise gibt es für Horte Standards bezüglich der Qualität des Personals. Es gibt Aus- und Weiterbildungsanforderungen und räumliche Grundvoraussetzungen. Das gilt aber nicht für die Pakt-Schulen. Vielerorts wurden nämlich zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betreuung beim Mittagessen und für die Hausaufgabenbetreuung eingestellt, die überhaupt keine pädagogische Ausbildung haben. Das ist doch wirklich ein Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Allerdings zeigt es sehr anschaulich, wie hoch der Pakt für den Nachmittag im Kultusministerium wirklich angesiedelt ist. Vom Namen her ist er ein Aushängeschild, doch auf der Kehrseite erblickt man ziemlich wenig.

Wenn es der Kultusminister noch nicht einmal für notwendig hält, Personal- und Qualitätsstandards für den Pakt festzulegen, was auf dem Verordnungswege durchaus möglich wäre, dann darf man sich nicht wundern, dass die Beantwortung der Großen Anfrage vor allem eines zeigt: Den Kultusminister kümmert es wenig, wie die tatsächliche Umsetzung vor Ort aussieht.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Genau!)

Nicht nur das: Auch die Kosten, die ja letztendlich von den Eltern getragen werden, sind Schwarz- Grün völlig egal. Anders lässt sich nicht erklären, dass mit der Einführung des Pakts de facto noch etwas eingeführt worden ist, nämlich ein Schulgeld. Dass das Land die Kosten für die Betreuung bis 14:30 Uhr übernimmt, ist schlichtweg unwahr. In über 10 % der teilnehmenden Schulen wird nämlich Geld für die Betreuung bis 14:30 Uhr erhoben, und dies nicht zu knapp. Die Kosten variieren zwischen 30 € und beinahe 60 € monatlich. Für schulische Betreuung bis 14:30 Uhr wohlgemerkt. So etwas kann und darf doch nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist noch nicht alles. Hinzu kommt das Geld für das Mittagessen, an dem in den meisten Schulen die Schülerinnen und Schüler verpflichtend teilnehmen müssen. Somit sind die Eltern verpflichtet, dafür zu zahlen. Die Kosten hierfür variieren zwischen 2,70 € und 5,50 € pro Mahlzeit. Das heißt, wenn es schlecht läuft, zahlen Eltern für die angeblich vom Land finanzierte Zeit bis 14.30 Uhr monatlich 170 €. Meine Damen und Herren, das ist harter Tobak.

(Beifall bei der LINKEN)

Hinzu kommen die Gebühren für die anschließende Nachmittagsbetreuung, die beispielsweise in Kriftel bis zu 218 € monatlich ausmachen können. Herr Kultusminister, das nennen Sie ein hervorragendes und ausgewogenes Ganztagsangebot? Bitte entschuldigen Sie die Wortwahl, aber das ist einfach lächerlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen ganz dringend echte Ganztagsschulen, Schulen, die gebunden oder teilgebunden über den Tag hinweg rhythmisierten Unterricht anbieten – mit einem, natürlich kostenfreien, Mittagessen für alle Schülerinnen und Schüler. Wir brauchen Schulen, die mit Sportvereinen und Musikschulen, mit Kreativwerkstätten, Bibliotheken und Betrieben kooperieren und einen ganzheitlichen pädagogischen Ansatz verfolgen und umsetzen. Dass es hessenweit nur zehn oder elf Ganztagsgrundschulen gibt, ist ein Armutszeugnis Ihrer jahrzehntelangen verfehlten Bildungspolitik, meine Damen und Herren der Regierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Beenden Sie endlich die Stagnation, und beginnen Sie mit einem offensiven Ganztagsschulausbau, statt Ressourcen in die Mogelpackung zu stecken, die der Pakt für den Nachmittag eindeutig ist.

Alle Studien zeigen, dass das Ganztagsschulmodell am ehesten geeignet ist, die Wechselbeziehung zwischen sozialer und finanzieller Herkunft und dem Bildungserfolg zu durchbrechen. Hinzu kommt natürlich, dass wir in einer Zeit leben, in der berufstätige Eltern die Regel und nicht die Ausnahme sind. Daher ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtiger denn je. Dazu gehört auch, die Kinder nicht nur „irgendwie“ betreut zu wissen, sondern dass sich eine moderne, pädagogisch gut durchdachte Institution um das Lernen und um die Erziehung kümmert, wie das echte Ganztagsschulen tun.

Investieren Sie hier, investieren Sie jetzt. Entwickeln Sie flächendeckende pädagogische Rahmenkonzepte statt wohlklingelnder Labels. Lassen Sie die Flickschusterei bleiben, die leider zum Aushängeschild der hessischen schwarz-grünen Bildungspolitik geworden ist.

(Beifall bei der LINKEN)