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Rede

Saadet Sönmez - Der ‚Aktionsplan Ukraine‘ entlarvt die Doppelstandards der Landesregierung

Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 104. Plenarsitzung am 12. Mai 2022 diskutierte der Hessische Landtag über den neuen Aktionsplan der Landesregierung zur Versorgung von ukrainischen Geflüchteten. Dazu die Rede unserer integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Während Innenminister Beuth noch letzten Herbst anlässlich unseres Antrags für eine schnelle Aufnahme von Menschen aus Afghanistan davon sprach, die Länder dürften bei der Schutzgewährung nicht in einen Überbietungswettbewerb verfallen, hat die Landesregierung nun offensichtlich erkannt, dass neue Maßstäbe bei der Versorgung von Geflüchteten zu setzen sind. Ich würde zu dieser Erkenntnis gratulieren, wenn nicht mit zweierlei Maß gemessen werden würde.

Während einerseits – das ist natürlich begrüßenswert – zumindest eine große Bereitschaft seitens der Landesregierung gezeigt wird, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen und ihnen eine gute Versorgung zu bieten, irren aber immer noch Flüchtlinge in den Wäldern an der polnischweißrussischen Grenze herum und werden weiterhin dem Elend ausgesetzt. Aktuell gibt es eine Meldung über einen 16-jährigen jemenitischen Flüchtling, der tagelang halbtot im Wald lag. Ich möchte daran erinnern, dass diese Menschen als „hybride Waffen“ bezeichnet wurden. Von all den anderen, die z. B. immer noch in den Meeren ertrinken, ist ganz zu schweigen.

Meine Damen und Herren, die Not dieser Menschen unterscheidet nichts, aber auch gar nichts von der Not der ukrainischen Flüchtlinge. Deshalb ist und bleibt unsere Forderung als LINKE: sichere Fluchtwege und menschenwürdige Aufnahme für alle, die vor Krieg und Elend fliehen müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber es geht noch weiter: Aus der Ukraine fliehen eben nicht nur ukrainische Staatsbürger, sondern auch Menschen ohne ukrainischen Pass. Auch diesen Menschen müssen dieselben Möglichkeiten geboten werden. Wenn es für diese Menschen ein Zurück geben kann, dann nicht in die sogenannten Herkunftsländer, wozu sie aber jetzt gedrängt werden, sondern, wenn sie es überhaupt bis hierher schaffen – das kommt erschwerend hinzu –, höchstens wieder ein Zurück in die Ukraine. Solange dies nicht möglich ist, sollte auch diesen Menschen ein Bleiberecht zugesprochen werden.

Natürlich begrüßen wir alle gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen, die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, schnell und unbürokratisch aufzunehmen und sie bestmöglich zu versorgen. Aber dafür ist Ihre Zustandsbeschreibung, die Sie „Aktionsplan“ nennen, nicht wirklich geeignet und hilfreich. Diesem sind, genau genommen, bestenfalls nur ein paar vage Versprechen zu entnehmen; der Rest ist, wie gesagt, eine Auflistung von schon Bestehendem, was aber, wie sich gezeigt hat, nicht ausreichend ist.

Sie wälzen wieder einmal vor allem die Verantwortung auf die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler ab, die schon an ihrem Limit sind. Das ist mitnichten nachhaltig und wird gewaltig schieflaufen, meine Damen und Herren der Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Da ist etwa die Rede davon, dass die sogenannten WIRVielfaltszentren, die übrigens als Allheilmittel für alles herhalten müssen, Ehrenamtliche noch besser koordinieren sollen oder dass engagierte Menschen aus migrantischen Organisationen zu ehrenamtlichen Integrationslotsinnen und -lotsen ausgebildet werden sollen. Laiendolmetscherinnen und -dolmetscher, die von den sowieso schon komplett überforderten Kommunen geschult werden sollen, haben Sie mit einem Kriterienkatalog beschert, aber dass ihre Aufwandsentschädigung oft nicht ausreicht, um die Fahrtkosten in den Flächenlandkreisen zu decken, scheint Sie bei Ihrem Aktionsplan bzw. Ihrer Beschreibung nicht zu interessieren.

Wenn diese Menschen dann alle schön brav ihre Freizeit geopfert haben, um die Versorgungs- und Integrationsarbeit zu leisten, für die eigentlich der Staat verantwortlich wäre, bekommen sie als Anerkennung bestenfalls noch einen Integrationspreis hinterhergeworfen; das war es aber auch schon. So steht es leider in vielen Teilen um die staatlich organisierte Wohlfahrt in unserem Lande. Das ist gerade in einem so reichen Land wie Hessen beschämend.

(Beifall DIE LINKE)

Ähnlich verantwortungslos gehen Sie mit all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Behörden, in den Kitas und Schulen um, indem Sie ihnen zusätzliche Aufgaben auferlegen, aber keine Strategie vorlegen, wie sie diese Aufgaben bewältigen können. Diese Kolleginnen und Kollegen sind jetzt schon an ihrem Limit.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Letzter Satz, Herr Präsident. – Lassen sie mich an dieser Stelle noch eines erwähnen: Viele der Lücken und Unterfinanzierungen in diesem Bereich sind seit Jahren bekannt. Die Wohlfahrtsverbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen unterbreiten Ihnen immer wieder und sehr geduldig, etwa im Rahmen der Integrationskonferenz, gute, solide Vorschläge für eine nachhaltige und bedarfsgerechte Ausgestaltung dieser Arbeit.

Wenn Sie schon nicht auf uns hören, hören Sie doch auf die Menschen aus der Praxis

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Sönmez, bitte.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

und stellen diese Arbeit auf einen soliden Boden. – Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, meine Damen und Herren.