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Rede

Saadet Sönmez - LINKE will Menschen ohne Krankenversicherungsschutz unterstützen

Saadet Sönmez
Saadet SönmezGesundheitMigration und Integration

Mit einem Gesetz wolleb wir zur Clearingstellen sowie einen Behandlungsfonds zur Unterstützung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz schaffen. Darüber diskutierte der Hessische Landtag in seiner 47. Plenarsitzung am 30. Juni 2020. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Stellen Sie sich vor, Sie sind krank, müssten eigentlich zum Arzt gehen, können das aber nicht tun, weil Sie keine Krankenversicherung haben. So geht es laut Statistischem Bundesamt rund 80.000 Menschen, die trotz Versicherungspflicht eben keine Versicherung haben und irgendwie durchs Raster gefallen sind. Andere Schätzungen gehen sogar von zehnmal so vielen aus. Das ist eigentlich auch nachvollziehbar; denn allein die Gruppe der rund 500.000 Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ist im Statistischen Bundesamt nicht erfasst. Eine weitere große Gruppe Betroffener sind EU-Ausländer, die zum Arbeiten hierhergekommen sind und hier dann arbeitslos geworden und womöglich in der Obdachlosigkeit geendet sind. Oder aber auch die, die hier unter prekären Bedingungen arbeiten. So gibt es viele Medienberichte von Werksvertragsarbeiterinnen und -arbeitern, wie im Beispiel der Firma Tönnies, die keine Krankenversicherung haben. Das muss man sich einmal vorstellen: Diese Menschen arbeiten teilweise 14 Stunden täglich, bekommen geringen Lohn, haben keinerlei Arbeitsschutz und im Krankheitsfall somit auch keine Krankenversicherung.

Meine Damen und Herren, für diese Menschen muss dringend eine Lösung her. Dieser Zustand ist unhaltbar.

(Beifall DIE LINKE)

Auch für andere Gruppen verschärft sich die Situation insbesondere durch die Corona-Krise noch weiter. Viele Selbstständige haben in den letzten Monaten enorme finanzielle Einbußen erlitten und wissen nun nicht mehr, wie sie ihre Versicherungsbeiträge bezahlen sollen. Wer Beitragsschulden von mehr als zwei Monatsbeiträgen hat, ist zwar noch versichert, bekommt aber nur einen sehr eingeschränkten Leistungsrahmen. Oftmals werden noch nicht einmal diese Leistungen erbracht, weil man befürchtet, auf seinen Kosten sitzen zu bleiben. Auch diese Betroffenen brauchen Unterstützung bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche und vor allem Wege heraus aus den Versicherungsschulden.

(Beifall DIE LINKE)

Ältere Menschen, die sich ihre private Krankenversicherung nicht mehr leisten können und denen der Weg zurück in die gesetzliche verbaut ist, brauchen Unterstützung, ebenso wie ihre Ehepartner, deren Gesundheitsschutz meist an die Versicherung des anderen gekoppelt ist. Wohnungslose sind besonders häufig von mangelndem Gesundheitsschutz betroffen.

Meine Damen und Herren, man könnte diese Liste jetzt weiterführen. Dieser Zustand, diese Situation ist schon lange bekannt. Es müssen endlich Lösungen her, und zwar für alle Betroffenen; denn Gesundheit ist ein Menschenrecht.

(Beifall DIE LINKE)

Die Landesregierung unternimmt auf diesem Gebiet aber leider nichts. Die Antwort auf unsere Anfrage im letzten Jahr ist trauriger Beleg für Ahnungs- und Tatenlosigkeit. So hat die Landesregierung keinerlei Erkenntnisse über die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung in Hessen und über Ursachen oder deren Auswirkungen. Als Anbieter von Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Krankenversicherung werden in der Antwort verschiedene Angebote von Wohlfahrtsverbänden, kommunalen Trägern und rein ehrenamtlich arbeitenden Trägern wie Medinetz aufgezählt. Keines dieser Angebote wird aber aus Landesmitteln finanziert. Meine Damen und Herren, das ist doch ein absolutes Armutszeugnis für diese Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der in Hessen lebenden Menschen liegt beim Land selbst und nicht bei engagierten Ehrenamtlern. Aber das ist noch nicht durchgedrungen. Laut Koalitionsvertrag scheint die Landesregierung sich dessen aber bewusst zu sein. Denn der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Landesregierung prüfen wolle, inwiefern ein Fonds eingerichtet werden könne, der eine anonyme Krankenbehandlung ermögliche. Das ist natürlich begrüßenswert, wir begrüßen das auch. Aber Absichtserklärungen allein reichen eben nicht aus. Jeder Monat, in dem nichts getan wird, ist einer zu viel angesichts der prekären Situation der davon betroffenen Menschen.

(Beifall DIE LINKE)

Da die Landesregierung bisher offensichtlich noch keine Anstrengungen unternommen hat, ihr Vorhaben umzusetzen, haben wir gedacht, wir nehmen Ihnen die Arbeit ab, und stellen deshalb nun unseren Gesetzentwurf vor. Im Vorfeld der Erstellung dieses Gesetzentwurfs haben wir einige Träger besucht, die sich um die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz kümmern. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich meine Hochachtung und meinen Dank an diese Menschen aussprechen, die tagtäglich eine sehr wertvolle Arbeit in diesem Land leisten.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Einer der Träger ist der Verein Armut und Gesundheit in Deutschland e. V. Er betreibt in Mainz eine Clearingstelle. Dort wird Menschen ohne Krankenversicherungsschutz geholfen, wieder Zugang zum Gesundheitssystem zu bekommen. Laut den Angaben des Vereins waren sie in 40 % der Fälle dabei erfolgreich, die Menschen wieder in die Regelversorgung zurückzuführen. Das ist doch ein großartiger Erfolg, und das wollen wir auch in Hessen erreichen.

Meine Damen und Herren, wir möchten daher in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt eine solche Clearingstelle, die sinnvollerweise bei karitativen Einrichtungen angesiedelt werden, da diese bereits mit den betroffenen Menschen arbeiten. Es wird auch Menschen geben, bei denen es nicht möglich ist, sie in die Regelversorgung zu vermitteln, oder bei denen der Prozess vielleicht etwas langwieriger ist. Um auch diesen Menschen zu helfen, sollen die Clearingstellen befugt werden, an Ärztinnen und Ärzte zu vermitteln. Sie werden auch befugt, in begrenztem Rahmen die entstehenden Behandlungskosten aus dem ebenfalls durch dieses Gesetz zu schaffenden Behandlungsfonds zu decken. Somit erhalten Betroffene kurzfristig und vor allem unbürokratisch die Möglichkeit, professionelle medizinische Behandlung zu erfahren.

(Beifall DIE LINKE)

Ferner ist geregelt, dass die Clearingstelle und die behandelnden Ärzte keinerlei Verpflichtung zur Übermittlung persönlicher Daten unterliegen. Dies ist insbesondere für die Gruppe der Illegalisierten von großer Bedeutung, da sie aus Angst vor der Abschiebung häufig keine medizinische Versorgung aufsuchen und Krankheiten somit unbehandelt bleiben und verschleppt werden.

Zur Verwaltung dieses Behandlungsfonds, für die Bewilligung größerer Summen und zur Beratung der kommunalen Clearingstellen soll darüber hinaus eine Landesclearingstelle etabliert werden. Die Landesclearingstelle soll darüber hinaus versuchen, bereits bewilligte und eingesetzte Mittel aus dem Fonds zurückzugewinnen, indem mit Krankenkassen und Sozialämtern Kostenübernahmen erzielt werden.

Wichtig ist mir, an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass die bisher geleistete Arbeit durch Wohlfahrtsverbände, Kommunen und Ehrenamtliche nicht überflüssig wird. Aufsuchende Projekte wie die Straßenambulanz z. B. wird es weiterhin geben müssen.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Sönmez.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Letzter Satz, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren, es ist ein guter Gesetzentwurf für die Betroffenen, und es ist vor allem ein Gesetz, das dem Land Hessen sehr gut zu Gesicht stünde. Deshalb nutzen Sie den von uns gestarteten Prozess, hören Sie in der Anhörung gut zu. Es wäre schade, wenn Sie diese Möglichkeit verstreichen ließen und sich für die Betroffenen weiterhin nichts ändern würde. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, Lisa Gnadl und Turgut Yüksel (SPD))