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Rede

Saadet Sönmez - Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung in Hessen umsetzen

Saadet SönmezGesundheitMigration und Integration

In seiner 107. Plenarsitzung am 2. Juni 2022 diskutierte der Hessische Landtag zu unserem Setzpunkt ‚Gesundheitsversorgung für alle sicherstellen'. Dazu die Rede unserer integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gesundheit ist ein Menschenrecht. Das ist in der Hessischen Verfassung, im Grundgesetz und in der Menschenrechtscharta verankert. Leider genießt nicht jede und jeder in Hessen dieses Recht, und die Verantwortung für diesen Missstand trägt, zumindest in Hessen, maßgeblich die Landesregierung.

Auch wenn Vertreterinnen und Vertreter von SchwarzGrün nicht müde werden, zu beteuern, dass alle Menschen in Hessen bereits jetzt Zugang zu einer optimalen Gesundheitsversorgung haben, stellt sich die Situation in der Realität ganz anders dar.

(Beifall DIE LINKE)

Das wurde Ihnen bei der Kundgebung der Medinetz-Gruppe vor dem Landtag eindrücklich aufgezeigt.

Jetzt muss man sich natürlich die Frage stellen bei so vielen Forderungen und so vielen Fakten, die Ihnen immer wieder präsentiert werden: Warum verschließen Sie immer noch die Augen vor der Realität, sehen nicht endlich den Ernst der Lage und schreiten zur Tat, meine Damen und Herren der Landesregierung?

(Beifall DIE LINKE)

Lösungsansätze liegen Ihnen bereits vor. So haben wir z. B. bereits im Jahre 2020 unseren Gesetzentwurf zur Einrichtung von Clearingstellen und eines Behandlungsfonds eingebracht. Eine solche durch Landesmittel finanzierte Struktur könnte vielen Menschen helfen, wieder den Weg in den regulären Krankenversicherungsstand zu finden. Allen anderen könnte durch einen anonymen Behandlungsschein ein niedrigschwelliger Zugang zur medizinischen Versorgung gewährt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Unseren Gesetzentwurf haben Sie abgelehnt. Sie haben aber nun seit fast zwei Jahren, außer bei jeder Gelegenheit den anonymen Behandlungsschein anzukündigen, aber eben nur anzukündigen, nichts anderes auf den Weg gebracht. Da muss man sich doch fragen: Wie lange brauchen Sie noch, um Ihre Ankündigung endlich wahr werden zu lassen, meine Damen und Herren der Landesregierung?

Die Engagierten, die die Betroffenen zumeist ehrenamtlich und mit wenigen Spendenmitteln versorgen, haben das Warten langsam satt. Die Medinetze reichten in der vergangenen Plenarwoche eine Petition ein, die die Einführung eines anonymen Behandlungsscheins und Clearingstellen fordert. Ich will Ihnen noch einmal die Frage stellen: Wie lange wollen Sie diese Menschen noch ignorieren, und wann wollen Sie endlich zur Tat schreiten?

(Beifall DIE LINKE)

Bei der Kundgebung zur Petitionsübergabe fanden die Rednerinnen und Redner der Medinetze und der anderen Wohlfahrtsorganisationen sehr klare Worte, nämlich: Niemand sollte in einem solch reichen Land wie Hessen an behandelbaren Krankheiten sterben müssen. – Leider sterben aber immer wieder Menschen, weil ihnen der Zugang zum Gesundheitssystem verwehrt bleibt. Dies wurde uns an einem tragischen Beispiel einer obdachlosen Frau vor Augen geführt. Diese obdachlose Frau starb an einer Entzündung am Ellenbogen. Warum? Weil nicht rechtzeitig interveniert wurde aufgrund des fehlenden Krankenversicherungsschutzes.

Herr Bocklet, wenn auf derselben Kundgebung behauptet wird, in Deutschland stirbt keiner aufgrund versagter medizinischer Versorgung, dann sagt er entweder die Unwahrheit, oder er hat das Problem grundsätzlich nicht verstanden.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Statt auf die Erfahrung der Menschen zu hören, die diese Arbeit aus einem humanitären Anspruch für uns erledigen, verspotten Sie sie auch noch, indem Sie immer das gleiche Argument gegen die Clearingstelle ins Feld führen, unversicherte Selbstständige würden das System missbrauchen, um ihren Geldbeutel zu entlasten. Ich meine, da muss man sich erstens fragen, was für ein Menschenbild Ihnen im Kopf herumspukt. Die zweite Frage wäre: Ist Ihnen die Situation dieser Menschen überhaupt bekannt, meine Damen und Herren der Landesregierung? Offenbar nicht, oder es ist Ihnen egal. Das kann auch sein.

Eine andere Gruppe, die aufgrund eines diskriminierenden Sondergesetzes nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung hat, sind Asylsuchende und Geduldete. In den ersten 18 Monaten steht ihnen nach Asylbewerberleistungsgesetz sowieso nur eingeschränkte medizinische Versorgung zu. Der Zugang dazu wird diesen Menschen in Hessen allerdings zusätzlich dadurch erschwert, weil zuvor ein Behandlungsschein beim Sozialamt beantragt werden muss. Dies ist besonders in Flächenlandkreisen ein großes Problem für die Betroffenen und führt leider hessenweit zu einer sehr uneinheitlichen Praxis. Das ist ein unhaltbarer Zustand, dem entgegengewirkt werden muss.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Dass es anders geht, das beweisen mittlerweile neun andere Bundesländer, die eine Gesundheitskarte für Geflüchtete eingeführt haben. 2015, muss man sagen, gab es auch in Hessen zaghafte Schritte in diese Richtung, was damals von Wohlfahrtsverbänden und der Landesärztekammer durchaus gelobt wurde. Aber leider ist es bei diesen zaghaften Bemühungen geblieben. Es ist nichts vorangetrieben worden. Die Schuldigen waren schnell gefunden: Die Kommunen als eigentliche Leistungserbringer wollten das nicht – so heißt es auch heute noch.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Landesregierung, wie etwa in Thüringen geschehen, den Kommunen die finanzielle und organisatorische Last hierfür abnehmen könnte, indem das Land einen Rahmenvertrag mit einer Krankenkasse abschließt und die Kosten vollumfänglich übernimmt.

(Beifall DIE LINKE)

Unter diesen Umständen ließen sich bestimmt auch die Kommunen überzeugen; denn am Ende spart eine elektronische Gesundheitskarte allen Beteiligten, sowohl Geflüchteten als auch Kommunen, Zeit, Geld und viel Mühe.

Ein weiterer Baustein in unserem Gesundheitssystem ist und bleibt die mangelnde Sprachmittlung. Es ist nicht nur so, dass Dolmetscherkosten im Rahmen des SGB V immer noch nicht übernommen werden. Unsere Landesregierung sieht in dem Bereich grundsätzlich auch keinen Handlungsbedarf.

In der Antwort auf einen Berichtsantrag von uns macht Herr Kai Klose deutlich, dass die pragmatische Lösung, nämlich das Heranziehen von muttersprachlichem Personal, das zufällig greifbar in der Nähe ist, auch dann, wenn es fachfremdes Personal ist, ausreicht, um die Sprachmittlung zu übernehmen.

Da kann man doch nur sagen: So kann man seine Untätigkeit natürlich auch schönreden, meine Damen und Herren der Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Im Zusammenhang mit der Ankunft von ukrainischen Geflüchteten war das Thema der psychosozialen Versorgung in aller Munde. Ja, es ist richtig: Menschen, die vor Krieg fliehen – und zwar egal, aus welchem Teil der Welt –, brauchen professionelle psychologische Versorgung. Doch vier sehr dünn ausgestattete psychosoziale Zentren in Hessen können diese Aufgabe nicht allein stemmen – und schon gar nicht mit der Angst im Nacken, dass ihre spärliche Projektfinanzierung jedes Jahr auslaufen könnte und sie somit ihre Beschäftigung nicht weiter ausüben könnten.

Der Bedarf an dieser wertvollen Arbeit wird auch nächstes und übernächstes und überübernächstes Jahr nicht plötzlich wegfallen. Sowohl die Betroffenen als auch die Mitarbeitenden benötigen also Strukturen, die bedarfsgerecht ausgebaut sind und deren Finanzierung auf längere Zeit ausgelegt ist.

(Beifall DIE LINKE)

Bei der Vorstellung des neuen Integrationsmonitors haben Sie, Herr Klose, noch kürzlich verkündet, dass Hessen das Flächenland mit dem größten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund sei. Das hat Sie wohl auch freudig gestimmt.

Zur Wertschätzung von Diversität gehört es aber auch, Strukturen zu schaffen, die allen Menschen gerecht werden, wirklich allen Menschen. Herr Klose, Sie könnten ja mit der Gesundheitsversorgung einmal anfangen. Andere Vorschläge liegen Ihnen auch vor, wie man die Integration besser gestalten könnte, z. B. von den Arbeitsgruppen, die in der Integrationskonferenz zusammengekommen sind.

Da gab es auch eine Arbeitsgruppe für die Gesundheitsversorgung. Die könnten Sie einmal zu Rate ziehen – und durchaus auch unseren Antrag, den wir eingebracht haben. So könnten Sie einmal mit der Gesundheitsversorgung anfangen und sich dann in weiteren Schritten das zu Gemüte führen, was Ihnen bei den Integrationskonferenzen vorgeschlagen wurde, um die Diversität in diesem Land Hessen auch wirklich wertzuschätzen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)