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Rede

Saadet Sönmez - Schwarzgrünes Landesaufnahmeprogramm ist unzureichend

Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 117. Plenarsitzung am 13. Oktober 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum hessischen Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Afghanistan. Dazu die Rede unserer migrations- und integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Nach Angaben der Weltbank ist die Wirtschaftsleistung Afghanistans seit August 2021 um 20 bis 30 % gesunken. Die Importe sind um ungefähr 40 % zurückgegangen. Rund 70 % der afghanischen Haushalte sind nicht in der Lage, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu finanzieren. Das Welternährungsprogramm der UNO nimmt an, dass die Hälfte der Bevölkerung unter einer akuten Unterversorgung mit Nahrungsmitteln leidet.

Die Verantwortung für diesen Zustand liegt auch bei den Ländern, die in Afghanistan Krieg geführt haben, also auch bei Deutschland. Damit ist das Bundesland Hessen selbstverständlich in der humanitären Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass die im Ausland eingefrorenen Gelder der afghanischen Bevölkerung für humanitäre Zwecke, für die afghanische Bevölkerung eingesetzt werden und dass wir Menschen von dort – ob sie nun ehemalige Ortskräfte waren oder nicht – in unserem Bundesland aufnehmen.

(Beifall DIE LINKE)

Nun haben wir über eine Pressemitteilung von Herrn Wagner die erfreuliche Nachricht erhalten, dass die Landesregierung zumindest einer dieser Pflichten nachkommen möchte. Das ist gut, das begrüßen wir. Als wir aber vor einem Jahr ein Landesaufnahmeprogramm gefordert haben, wurde uns gesagt, man könne auf der Landesebene die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan nicht beschließen; dafür müsse Herr Beuth nach Kabul fliegen und mit den Taliban verhandeln.

Meine Damen und Herren, wir wussten damals bereits, dass es möglich, richtig und wichtig ist, ein Landesaufnahmeprogramm aufzulegen, und wir sehen, es funktioniert.

(Beifall DIE LINKE)

Man könnte jetzt „Besser spät als nie“ sagen, wenn von Ihrem Handeln keine Menschenleben abhängen würden. Sie kündigen jetzt ein Landesaufnahmeprogramm an und teilen mit, dass Sie sich – das hat Herr Bocklet bestätigt – an anderen Bundesländern orientiert haben, z. B. an dem Bremer Modell. Wenn das so ist, dann haben Sie es aber nicht richtig übernommen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch, 1 : 1, und es sogar noch besser gemacht!)

Zumindest haben Sie Teile davon ignoriert; denn beim Bremer Modell gibt es keine Obergrenze, Herr Wagner. Sie haben aber sehr wohl eine Obergrenze von 1.000 Menschen angekündigt und deren Einführung jetzt nochmals bestätigt. Als zusätzliche Komponente haben Sie zwar die Übernahme der Flugkosten erwähnt, aber das, was die meisten der hier lebenden Menschen betrifft, dass sie nämlich der Auflage zur Abgabe der Verpflichtungserklärung nicht nachkommen und diese damit nicht erfüllen können, haben Sie außer Acht gelassen. Das macht nämlich den Löwenanteil der Kosten aus.

(Beifall DIE LINKE – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das macht Thüringen so, das macht Bremen so, das machen alle anderen so!)

Lebensrettung ist also – wie so vieles – wieder einmal vom Geldbeutel abhängig.

Ferner scheint es so zu sein – wir haben ja nur eine Pressemitteilung vorliegen, können also in vielerlei Hinsicht nur mutmaßen –, dass nur Verwandte von hier lebenden Afghanen, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Niederlassungserlaubnis sind – –

Vizepräsidentin Karin Müller:

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg. Wagner zu?

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Nein, das tue ich nicht. Er kann sich gerne im Anschluss äußern.

Es scheint so zu sein, dass eben nur die genannten Personen antragsberechtigt sind. Das schließen wir aus der Pressemitteilung. Wie gesagt, wir haben nichts anderes vorliegen.

Das ist vor dem Hintergrund der fehlerhaften Entscheidungspraxis des BAMF, speziell bezüglich Asylbewerbern aus Afghanistan, echt zynisch. Viele Menschen müssen aus diesem Grund in Deutschland über Jahre hinweg mit Duldungen ausharren. – Herr Wagner, Sie brauchen gar nicht so skeptisch zu schauen. – Im Jahre 2021 wurden 82 % aller von den Gerichten überprüften – wohlgemerkt: nur die von den Gerichten überprüften – Bescheide des BAMF aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit aufgehoben. Das zeigt auch die Herangehensweise in unserem Land, wenn es um Abschiebungen geht.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren der Fraktion der GRÜNEN, es sind mindestens 32 Menschen – das ist die Zahl, die uns bekannt ist – zu Tode gekommen, die eine Aufnahmezusage hatten, weil die Aufnahmeverfahren, sprich: die Visumsvergabe bei den deutschen Botschaften in Pakistan und Indien, über ein Jahr dauerten. Die deutschen Auslandsvertretungen unterstehen Ihrer Parteikollegin, Außenministerin Baerbock. Vielleicht hat sie das ja noch nicht mitbekommen.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Sönmez, Sie müssen zum Schluss kommen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Machen Sie sie bitte darauf aufmerksam, dass zumindest in Pakistan und in Indien dringend Personal für die Bearbeitung der Visumsvergaben benötigt wird. Dann würden die Menschen rechtzeitig, bevor sie zu Tode kommen, zu ihrem Recht auf ein Visum kommen.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)