Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - Solidarität mit den Menschen in den Erdbebenregionen, Abschiebestopp in die Türkei!

Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 129. Plenarsitzung am 16. Februar 2023 diskutierte der Hessische Landtag unsere Aktuelle Stunde "Solidarität mit den Menschen in den Erdbebenregionen: Hessische Landesregierung muss Abschiebestopp in die Türkei erlassen!". Dazu die Rede von Saadet Sönmez, migrations- und integrationspolitische Sprecherin.

Danke sehr, Herr Präsident.

– „Zeynep hanım, korkma“ – das heißt: Frau Zeynep, haben Sie keine Angst, wir sind da.

Meine Damen und Herren, das sind drei Wörter, die einzigen drei Wörter, die ein Helfer namens Daniel bei den Bergungen gelernt hat und gesagt hat. Diese Wörter kursieren in den sozialen Medien, und es wird sich immer wieder bedankt bei Daniel. Ich möchte mich stellvertretend für alle Helferinnen und Helfer, die vor Ort sind oder die aus dem Ausland geholfen haben, ganz herzlich bei Daniel bedanken.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, das ist grenzüberschreitende, gelebte Solidarität. Noch einmal ein herzliches Dankeschön dafür an alle.

Herr Wagner hat noch am Dienstag hier am Rednerpult verkündet: Es wird keine Abschiebungen in die Krisenregion geben. – Herr Wagner, in die Krisenregion, in dieses Gebiet können Sie gar nicht abschieben, weil man die Flughäfen dort nicht anfliegen kann. Deshalb können Sie dorthin auch nicht abschieben.

In die Türkei wird aber weiterhin unbeirrt abgeschoben, auch aus Hessen, Herr Wagner. Das bestätigte das Innenministerium gestern auf eine Anfrage des Flüchtlingsrats. Man hat ihm gesagt, wo sie sich danach niederlassen, sei dann ihr Problem. – Also war Ihre Aussage am Dienstag vermutlich nichts anderes als Augenwischerei, Herr Wagner, und das ist unredlich.

(Beifall DIE LINKE – Mathias Wagner (Taunus)

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schüttelt den Kopf.)

Die Tatsache, dass sich im Moment drei Menschen für die Abschiebung in die Türkei in der Abschiebehafteinrichtung in Darmstadt befinden und zwei davon im Übrigen aus dem syrischen Grenzgebiet stammen, macht es noch deutlicher, dass es nichts anderes als Augenwischerei war. Denn, würden Sie es ernst meinen mit Ihrem viel beschworenen Mitgefühl, würden Sie einen formellen Abschiebestopp nach § 60a Aufenthaltsgesetz erlassen – das können Sie auf Landesebene tun – und die inhaftierten Menschen unverzüglich aus der Abschiebehaft entlassen. Das wäre die Konsequenz aus Ihren Ausführungen von diesem Rednerpult aus.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE)

Herr Wagner, es ist übrigens echt unredlich, den Menschen in dieser katastrophalen Situation nur diese Halbwahrheiten von diesem Rednerpult aus zu verkünden. Das ist wirklich unredlich und nicht angebracht.

Meine Damen und Herren, zu der erschreckenden Situation in den Erdbebengebieten in der Türkei und in Syrien wurde vorgestern zwar schon einiges gesagt. Aber lassen Sie mich noch einen der Punkte ergänzen, die unerwähnt blieben. Laut einem Artikel der „Berliner Zeitung“ fordern die christlichen Kirchen ein Ende der EU-Sanktionen gegen Syrien. Der Kirchenrat, der im Nahen Osten etwa 30 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, unter anderem auch Katholiken und Protestanten, vertritt, beklagt:

Die Sanktionen treffen seit Jahren die Bevölkerung schwer und nicht die herrschenden Gruppen. Wegen der Sanktionen kommt nun auch die Erdbebenhilfe nicht in Syrien an, …

Das gehört leider auch zur bitteren Wahrheit in der Region, und es liegt nun in der Hand der Bundesregierung und der EU, ob die ohnehin schon massiv leidende Bevölkerung in Syrien weiterhin leidet oder endlich erlöst wird.

Meine Damen und Herren, in der Debatte vorgestern wurde unter anderem vielfach auf die Einreiseerleichterungen für Erdbebenopfer aus der Türkei lobend verwiesen. Da stellt sich aber eine Frage: Erachtet es die Bundesregierung tatsächlich als eine Erleichterung bei den Anforderungen, die diesen Menschen für die Einreise auferlegt werden? Krankenversicherungsnachweis, biometrisches Foto, Wohnsitznachweis mit Historie, gültiger Pass usw. usf., ist das eine ernst gemeinte, schnelle, unbürokratische Hilfe?

(Elisabeth Kula (DIE LINKE): Das hat man auch alles beim Erdbeben dabei!) Ich würde sagen: Nein.

(Beifall DIE LINKE)

Abgesehen davon, dass es für die Menschen, deren ganzes Leben, deren ganze Existenz in Trümmern liegt, unmöglich sein wird, diese Dokumente beizubringen, gibt es noch die ohnehin schon heillose Situation der hiesigen Ausländerbehörden. Es wird schier unmöglich sein für die Angehörigen hierzulande, einen Termin bei der Ausländerbehörde zu bekommen, um eine Verpflichtungserklärung einzureichen, die ebenfalls zu den Anforderungen für ein Visum gehört, ganz zu schweigen von einem schnellen Termin. An diesen schnellen Termin werden sie vermutlich überhaupt nicht herankommen bei dieser Lage der Ausländerbehörden.

Meine Damen und Herren, deshalb unser Appell an die Bundesregierung: Überarbeiten Sie Ihr Konzept, passen Sie Ihre Regelungen den Umständen an, liebe Bundesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Frank Lortz:

Sie müssen zum Schluss kommen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Letzter Satz, Herr Präsident. – Für die Erdbebenopfer aus Syrien gibt es bisher gar keine Lösung, nur ein „viel Glück“ auf dem Weg in die nächste deutsche Botschaft in Amman, Beirut oder Istanbul. All das spricht wirklich nicht für eine erleichterte Einreisemöglichkeit. Es ist weit entfernt vom viel beschworenen Gebot der Menschlichkeit. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)