Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez zur Innenpolitik im Landeshaushalt 2022

Saadet SönmezHaushalt und FinanzenInnenpolitik

In seiner 91. Plenarsitzung am 09. Dezember 2021 diskutierte der Hessische Landtag zum Landeshaushalt 2022. Dazu die Rede unserer migrations- und integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Danke sehr, Herr Präsident. Ich werde mich bemühen, mich kurzzufassen. Ich hoffe, es gelingt mir auch. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Während die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes volllaufen, die Belegungszahlen sich im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt haben, sieht die Landesregierung weniger Geld und weniger Personal für die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden vor. Dass die Einrichtungen so volllaufen, hängt natürlich auch damit zusammen, weil eben nicht auf die Kommunen umverteilt wird. Wer sich jetzt aber fragt, wie diese Rechnung aufgehen soll, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen immer weiter volllaufen, aber eingespart werden soll, der muss eben einmal in den Einzelplan 03 schauen. Dort findet man die Antwort der Landesregierung auf diese rechnerische Frage, nämlich: mit aller Kraft abschieben. Die Abschiebehafteinrichtung in Darmstadt ist in den wenigen Jahren ihres Bestandes bereits zur drittgrößten bundesweit geworden. Mittlerweile werden dort auch ganze Familien inhaftiert, so wie z. B. eine pakistanische Familie im Sommer dieses Jahres, die sich übrigens nichts hat zuschulden kommen lassen. Sonst heißt es immer, es werden dort Gefährder und Verbrecher inhaftiert. Ganz im Gegenteil, diese Familie war vorbildlich integriert, meine Damen und Herren. Es ist bemängelt worden, dass sie zu klein sei und aufgestockt werden müsse. Ich will hier nur einmal anmerken: Jeder 13. Insasse in dieser Hafteinrichtung – das waren nur die offiziellen Zahlen, diejenigen, die sich auch wehren konnten – war zu Unrecht in dieser Abschiebehafteinrichtung inhaftiert. So viel zum Thema, man müsse sie vergrößern. 6,3 Millionen € kostet das Ding jedes Jahr. Was für eine Verschwendung von Ressourcen – kann man da doch nur sagen –, die an anderer Stelle viel sinnvoller hätten eingesetzt werden können. Zum Beispiel können seit nunmehr über einem Jahr keine Einbürgerungsanträge mehr bearbeitet werden, weil Personal für Corona-bedingte Angelegenheiten anderweitig eingesetzt werden muss. Es erscheint auch nicht so, als hätten Sie vor, da Abhilfe zu schaffen; denn im zweiten Jahr in Folge müssen Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber weiterhin bis zu zwölf Monate warten, bis ihr Antrag überhaupt in die Hand genommen und angeschaut wird. Das ist doch echt ein Skandal, meine Damen und Herren. (Beifall DIE LINKE) Demgegenüber funktionieren aber Abschiebungen, wie gesagt, ganz gut. Da soll im kommenden Jahr weiter aufgestockt werden. Wer denkt, es kann nicht grotesker werden, sollte sich die Formulierung auf Seite 9 des Einzelplans 03 ansehen. Dort steht allen Ernstes drin, dass Mehrkosten von bis zu 1 Million € für die Förderung der sogenannten „freiwilligen Rückkehr“ zulasten des Produkts Flüchtlingsbetreuung und -integration aus Einzelplan 08 herausgenommen werden können, um für die freiwillige Rückkehr eingesetzt zu werden. Also, das ist echt grotesk. Das heißt, Sie nehmen von dem wenigen Geld, das Sie für Integration angedacht und dafür deklariert haben, etwas weg, um die Rückführungsmaßnahmen damit zu fördern. Das ist schon seltsam. (Beifall DIE LINKE) Ich würde sagen, deutlicher kann diese Landesregierung ihre Prioritätensetzung, was das angeht, nicht machen, meine Damen und Herren. Ein weiterer Punkt, bei dem eingespart wird, ist der Bereich der Sprachförderung und der Bereich der Ausbildungsplatzförderung. Hier streicht die Landesregierung gleich 300.000 €. Ich meine, das ist eigentlich auch verständlich, wenn man nach Ihrem Prinzip denkt. Wenn man nämlich ausbildungswilligen Geduldeten die nötige Arbeitsgenehmigung verweigert – darin sind die hessischen Regierungspräsidien bundesweit Vorreiter, das muss man hier auch einmal erwähnen –, dann kann man sie auch nicht ausbilden. In der Öffentlichkeit wird es dann immer so dargestellt, als hätte es in diesem Bereich zu wenig Nachfrage von Betroffenen und von Betrieben gegeben. Angesichts des Fachkräftemangels, z. B. in der Pflege, aber auch in vielen anderen Bereichen, ist das meiner Meinung nach absurd, meine Damen und Herren. (Beifall DIE LINKE) Ich würde vorschlagen, statt Hessen zu einem Labor für die massenhafte rechtswidrige Erteilung der sogenannten Duldung light samt Arbeitsverboten zu machen, sollten Sie eine Ausbildungsoffensive starten. Dazu gehören nun einmal auch berufsvorbereitende Sprachkurse, an denen Sie jetzt aber, wie gesagt, sparen wollen. Meine Damen und Herren, nach wie vor ist die psychosoziale und medizinische Versorgung der Menschen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen, die der Flüchtlinge im Speziellen äußerst unzureichend. Weiterhin macht sich der Bedarf an Fachdolmetschern und Sprachmittlern in diesen Bereichen bemerkbar, aber auch hier weigern Sie sich, angemessene Finanzierung und Förderung auf den Weg zu bringen. Meine Damen und Herren, zivilgesellschaftliche Organisationen und Vereine leisten vielerorts essenzielle Arbeit – sei es in der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten, in der Rechtsberatung von Neuankommenden und Migrantinnen und Migranten oder eben im Sinne ihrer Interessenvertretung und gesellschaftlicher Partizipation. Diese Arbeit garantiert uns eben nicht nur, dass Menschen zu ihren Grundrechten kommen, sondern fördert letztendlich auch den Zusammenhalt und die Demokratie in unserer Gesellschaft. Die meisten dieser Organisationen – ich spreche hier z. B. von Psychosozialzentren für Geflüchtete, der Diakonie, der agah und dem Flüchtlingsrat – bekommen, wenn überhaupt, nur eine unzureichende Förderung oder gar keine von Hessen. Obendrein ist diese zum Teil auch noch befristet. Das heißt für diese Psychosozialzentren und für diese Organisationen, dass sie jedes Jahr befristet Personal einstellen müssen und nur jährlich planen können, welche Ausstattung und welche Personalstärke sie in ihren Einrichtungen haben können. Das geht so nicht. Das gewährleistet keine gute Arbeit in diesem Bereich, meine Damen und Herren. (Beifall DIE LINKE) Die agah bekommt z. B. seit Jahren immer die gleiche Summe. Es wird um keinen Cent erhöht, trotz steigender Kosten und trotz des Bedarfs an mehr Personal, damit sie ihre Arbeit wirklich gut und sinnvoll verrichten können. Das geht so auch nicht, meine Damen und Herren. Zur Aufhebung all dieser Missstände haben wir Anträge eingereicht. Schauen Sie sich die an. Es sind sinnvolle Anträge. Versuchen Sie zumindest das eine oder andere umzusetzen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall DIE LINKE)