Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Selbst der sauberste Diesel ist nicht klimafreundlich"

Thorsten Felstehausen
Torsten FelstehausenUmwelt- und KlimaschutzVerkehr

Sachliche Debatte über Luftschadstoffe und die Verhinderung von Fahrverboten (Dringlicher Antrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ds. 20/130)

 

 

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Vielleicht können wir einmal mit der Debatte weitermachen!)

Es scheint noch etwas Bedarf nach Aufmerksamkeit da zu sein.

(Vizepräsidentin Karin Müller:Es ist alles gut, reden Sie weiter)

Gut. Die FDP-Fraktion fordert, keine faulen Kompromisse einzugehen. Diese Forderung haben die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE mit großer Zustimmung zur Kenntnis genommen. Aber schon in der Analyse und erst recht in der Ableitung der erforderlichen Maßnahmen liegen wir diametral auseinander. Zwar hält auch DIE LINKE Fahrverbote für falsch, dennoch nicht für unverhältnismäßig.

(Unruhe – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ich würde gern den Redner hören!)

Es hat sich ein bisschen beruhigt. – Zwar hält auch DIE LINKE Fahrverbote für falsch, dennoch nicht für unverhältnismäßig. Denn wir müssen uns fragen, in welchen Verhältnissen wir leben. Bis auf wenige Unbeirrbare, auf die ich nicht weiter eingehen möchte, leugnet niemand mehr, dass wir uns auf eine globale Klimakatastrophe zubewegen. Wir haben es heute Morgen diskutiert. Das ist eine Katastrophe, für deren Verhinderung sich jetzt das letzte Zeitfenster schließt. Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass der motorisierte Individualverkehr einen erheblichen Anteil am CO2-Ausstoß hat. Darüber hinaus ist er für die Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastung in unseren Städten verantwortlich. Weltweit wurde zur Gefährdung der Gesundheit durch Stickstoffdioxid geforscht. Von der Europäischen Union wurden dann unter Abwägung genau dieser Forschungsergebnisse Grenzwerte festgelegt. Es sind Grenzwerte, von denen  wenige Wissenschaftler sagen, dass sie sogar noch zu hoch angesetzt seien. Diese Grenzwerte sollen sicherstellen, dass die Gesundheit der Menschen nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Sie müssen so bemessen sein, dass auch Kinder, alte  kranke Menschen in unseren Städten ohne Gesundheitsgefahr leben und überleben können. Die Automobilindustrie hatte zehn Jahre Zeit, moderne Motorenkonzepte zu entwickeln, neue Katalysatoren und Abgasrückführungssysteme auf den Markt zu bringen, um endlich genau diese Grenzwerte einzuhalten. Was ist in diesen zehn Jahren passiert? – Es ist kaum etwas geschehen. Gegenteil ist sogar der Fall. Die Automobilindustrie hat die Zeit genutzt, die Software zu manipulieren und Messwerte zu fälschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, das ist doch der eigentliche Skandal.

(Beifall DIE LINKE)

In Ihrem Antrag sehen Sie im Zusammenhang mit den Fahrverboten die persönliche Freiheit der Autofahrer in . Sie sprechen sogar von Enteignung. Liebe Mitglieder der FDP-Fraktion, es gibt kein Recht auf Gesundheitsschädigung anderer. Sie verwechseln hier den Begriff Freiheit mit dem Begriff Verantwortung.

(Beifall DIE LINKE)

Eine Enteignung entsteht nicht durch drohende Fahrverbote, sondern durch die Handlungsunfähigkeit – oder, genauer gesagt: Handlungsunwilligkeit – des Bundesverkehrsministers. Es sind die deutschen Autohersteller, die ihre Kunden betrogen haben, die Öffentlichkeit belogen und den Ruf der deutschen Automobilindustrie weltweit massiv geschädigt haben. Die Zeche dieser kriminellen Machenschaften zahlen jetzt die Autobesitzer mit dem Wertverlust ihrer Fahrzeuge, die Beschäftigten an den Standorten mit einem Arbeitsplatzabbau und die Einwohnerinnen und Einwohner der Städte mit ihrer Gesundheit. Mit Ihrem Antrag, liebe FDP-Fraktion, wollen Sie die Verursacher, die Täter zu Opfern machen; denn nicht die Deutsche Umwelthilfe ist verantwortlich für die Situation, nein, sie deckt nur das wahre Maß der Belastungen auf.

(Beifall DIE LINKE)

Damit verbunden ist die berechtigte Forderung, diese Belastung mindestens auf das gesetzliche Maß zu reduzieren. Hierfür hatten die Verantwortlichen zehn Jahre Zeit, und in den zehn Jahren ist zu wenig passiert, um die Grenzwerte tatsächlich zu erreichen. In diesen zehn Jahren wurde blind auf die Lügen der Automobilindustrie vertraut. Aber vielleicht hat das Stillhalten der politisch Verantwortlichen auch etwas damit zu tun, dass das Wegschauen und das Dulden der Manipulationen finanziell versüßt wurden: Mehr als 17 Millionen € hat die Automobilindustrie nach Recherchen der Organisation Lobby Control in den vergangenen acht Jahren an die CDU, an die FDP, an die SPD und auch an die GRÜNEN gespendet. Jetzt haben deutsche Gerichte entschieden, dass endlich gehandelt werden muss – und dies eben nicht nur auf dem Papier und in wohlfeilen Parlamentsreden, sondern vor Ort auf der Straße; dort müssen die Belastungen nachweisbar gesenkt werden. Dabei steht es den betroffenen Kommunen frei, welchen Weg sie einschlagen wollen: Temporeduzierungen, Streckensperrungen, Förderung der E-Mobilität, Ausbau des ÖPNV und des Radwegenetzes. All diese Optionen gehören auf den Tisch, wenn es um eine Reduzierung von Schadstoffen in den belasteten Gebieten geht, und eben nicht nur die Optionen, die die Landesregierung mittragen will. Die Blockade der schwarz-grünen Landesregierung, alle Maßnahmen – und damit auch den Nulltarif – in die Luftreinhaltepläne aufzunehmen, hat genau diese Klagen noch befördert.

(Beifall DIE LINKE)

Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass der Verkehr immer weiter zunimmt. Immer mehr Autos werden zugelassen, auch Autos, die über eine höhere Motorleistung verfügen. Die über eine höhere Motorleistung verfügen. Die SUVs überschwemmen unsere Innenstädte und vergiften unsere Luft. Und selbst der sauberste Diesel ist nicht klimafreundlich. Deshalb ist für DIE LINKE klar: Ein „Weiter so“ kann es nicht geben.

(Beifall DIE LINKE)

Dass jetzt eine durchsichtige Diskussion um die Grenzwerte geführt werden soll, zeigt doch die Hilflosigkeit der Akteure. Lediglich 100 von knapp 4.000 Fachärzten und Wissenschaftlern unterstützen die Meinung eines 2013 in Ruhestand gegangenen Professors. Oder, anders ausgedrückt: 3.900 Wissenschaftler haben sich nicht der Meinung Prof. Köhlers angeschlossen und weisen dessen Theorie, es gebe gar keine Toten durch Feinstaub und NOx, als das aus, was es eigentlich ist, nämlich eine wissenschaftliche Minderheitenmeinung. Ja, es gibt auch Theorien, die Mondlandung habe gar nicht stattgefunden, der Mord an Kennedy sei von der Mafia durchgeführt worden, oder die Evolutionstheorie sei eine Irrlehre. Aber nicht jede noch so absurde Meinung ist es tatsächlich wert, hier im Parlament als Begründung für einen Antrag herzuhalten.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben im Zusammenhang mit dem Auto eine Vielzahl von Grenzwerten – Grenzwerte, die das Zusammenleben unterschiedlicher Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer ermöglichen sollen, ohne Einzelne über Gebühr zu gefährden oder zu belasten. Niemand in diesem Haus käme auf die Idee, einen Grenzwert für Blutalkohol ernsthaft infrage zu stellen; und an Tagen, an denen wir so gerne gemeinsam feiern, wird die Einhaltung dieser Grenzwerte sogar umso häufiger und intensiver von der Polizei überprüft – und das ist gut, weil es genau diejenigen schützt, die es verdient haben, nämlich die schwächeren Verkehrsteilnehmer.

(Beifall DIE LINKE)

Niemand käme auf die Idee, im Zusammenhang mit der 0,5-Promille-Grenze von einem Angriff auf Freiheit oder gar von Enteignung zu sprechen. Hier fordern wir eine klare Kante und entschlossenes Handeln. Genau das sollten wir eben auch bei den Grenzwerten machen, wenn es um Feinstaub und Stickstoffdioxid geht.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren von der FDP, wenn Sie wirklich Fahrverbote verhindern wollen, dann hören Sie endlich auf, der Automobilindustrie nach dem Mund zu reden.

(Widerspruch Freie Demokraten)

Setzen Sie sich für eine Mobilitätswende ein, die wirklich hilft und die wirkungsvoll ist. Dazu gehört ein besserer ÖPNV auf dem Land und in der Stadt. Dazu gehören ein sozial gerechter ÖPNV, der für alle bezahlbar ist, der Ausbau der Radweginfrastruktur, der Ausbau der Elektromobilität als Teil des ÖPNV. Und dazu gehört natürlich auch eine Stadt- und eine Raumplanung, die Verkehr zu vermeiden helfen; denn darum muss es gehen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Sie in diesen Punkten keine faulen Kompromisse fordern würden, dann wäre DIE LINKE tatsächlich an Ihrer Seite. Mit Ihrem Antrag aber begünstigen Sie die Betrüger und ermöglichen es, dass den Einwohnerinnen und Einwohnern unserer Städte weiter schwerer Schaden zugefügt wird – und, ich glaube, das kann nicht im Interesse der Sache sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)