Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Torsten Felstehausen – „allein da, wo man Menschen in Hessen fragt, kommt kaum etwas an: Funklöcher, Verbindungsabbrüche, kein Glasfaser, stockender Breitbandausbau in der Fläche"

Torsten FelstehausenDigitalisierungInnenpolitikMedienpolitik

In seiner 140. Plenarsitzung am 19. Juli 2023 diskutierte der Hessische Landtag über den Setzpunkt der CDU – einen gemeinsam mit der Grünen-Fraktion verfassten Entschließungsantrag „Fortschreibung der hessischen Gigabitstrategie bringt Ausbau der digitalen Infrastruktur weiter voran“. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Besucherinnen und Besucher!

Woran kann man eigentlich erkennen, dass der Wahlkampf beginnt? Na ja, die Regierungsfraktionen bringen einen Entschließungsantrag für ein Ressort ein, dem sie selbst in der praktischen Arbeit kaum Bedeutung beimessen und das sie bisher systematisch von allen wichtigen strategischen Entscheidungen außen vor gelassen haben.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Aber jetzt, so kurz vor der Wahl, muss der Lack ein bisschen aufpoliert und ein Werbeprospekt in Form des Entschließungsantrags entworfen werden, um das fast fünfjährige Versagen zu kaschieren.

(Holger Bellino (CDU): Sie wären froh, wenn Sie das könnten!)

– Na ja, Herr Bellino, Sie können es offensichtlich nicht. – Als Erstes lobt man sich für eine konsequente Umsetzung der Gigabitstrategie.

(Holger Bellino (CDU): Nur kein Neid!)

Aber, bitte, für was denn sonst? Wollen Sie sich etwa für eine inkonsequente Umsetzung loben? Das sind doch Worthülsen, die Sie hier produzieren.

(Beifall DIE LINKE – Holger Bellino (CDU): Das sind doch Wortspielereien, was Sie hier machen!)

Diese Worte hören wir von Ihnen seit vier Jahren. Dort, wo man die Menschen in Hessen fragt, kommt kaum etwas an. Funklöcher, Verbindungsabbrüche, keine Glasfaser, stockender Breitbandausbau in der Fläche – das ist doch die traurige Wahrheit, die wir hier immer wieder feststellen. Vielleicht nicht in Frankfurt oder Offenbach, aber dort, wo die Menschen zu Hause sind – denn 60 % der Menschen in Hessen leben im ländlichen Raum –, ist dies überwiegend traurige Realität. Aber dafür gibt es jetzt – ja, Frau Sinemus sei Dank – die Digitale Dorflinde. Dort können sich all diejenigen Menschen versammeln, die zu Hause keinen Anschluss haben. Ja, das mag im Sommer ganz schön sein.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Ansonsten wird in Ihrem Antrag angekündigt. Sie kündigen an, sich für den Ausbau der europäischen Satellitenkommunikation einsetzen zu wollen. Das ist eine wunderbare Sache.

(Holger Bellino (CDU): Ja, eine gute Sache!)

Nur, wenn Sie einmal schauen, was sich dort in den letzten Jahren getan hat, frage ich Sie: Meinen Sie denn wirklich, dass Hessen dort einen relevanten Platz hat, dass es zu einem relevanten Player werden könnte? Das ist doch völlig überzogen.

(Zuruf CDU: Das ist nichts Neues!)

Ich frage mich auch, wie denn dazu Ihre Initiativen aussehen würden. Aber dazu kommt nur Schweigen. Nein, nicht ganz, okay. Am 13.09.2022 haben Sie einen Antrag eingereicht, der wie folgt hieß – jetzt höre man genau hin –: „Raumfahrt in Hessen stärken, Raumfahrtstandort Hessen sichern“.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ja, das war erst einmal der Antrag, aber mehr haben wir dazu nicht gehört. – Was ist eigentlich aus dem hessischen Raumfahrtkoordinator und der hessischen Raumfahrtstrategie geworden? Ich habe einmal ein bisschen recherchiert: Inzwischen gab es genau zwei Konferenzen. Daran hat eine niedrige dreistellige Zahl von Personen teilgenommen; das war es dann auch. Major Tom würde zu diesem Vorstoß sagen: „völlig losgelöst“.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Als Nächstes stellen Sie in Ihrem Antrag fest, dass der Hessische Landtag ein Gesetz verabschiedet habe, das den temporären Mobilfunkausbau beschleunige und wonach Masten innerhalb von 24 Monaten baugenehmigungsfrei aufgestellt werden dürften. Meine Damen und Herren, wenn Sie jedes Gesetz, das der Hessische Landtag verabschiedet, nach einem halben Jahr mit einem Antrag hervorheben und loben wollen, dann wird mir wirklich angst und bange um die Länge der Tagesordnung; denn dann kommt es immer wieder hoch.

(Holger Bellino (CDU): Nicht mehr lange!)

Dabei bekommen wir Ihre Entschließungsanträge schon jetzt jährlich auf den Tisch, und seit Beginn der Legislaturperiode sind die Inhalte vollkommen austauschbar; nur kommt in der Fläche eben nichts an. Eine kurze Auswahl Ihrer Ankündigungen:

26.03.2019: „Hessen schließt Funklöcher“. 03.11.2020: „Gigabitstrategie & Digitalpakt Schule: Land ist zuverlässiger Partner der Kommunen“. 2021 überraschten Sie uns gleich mit zwei Anträgen. Diese hießen: „Ausbau digitaler Infrastruktur wird in Hessen konsequent und mit Rekordmitteln vorangetrieben“, und danach hieß es: „Digitales Hessen – wo Zukunft zuhause ist“. 2022 kam dann die Überraschung in Ihrem Antrag: „Neuer Mobilfunkpakt unterzeichnet: Hessen weiter Vorreiter im Mobilfunkausbau“. 2023: „Leistungsfähige Breitband- und Mobilfunkinfrastruktur weiter ausbauen“. Und heute haben wir eben diesen Antrag.

(Holger Bellino (CDU): Da sind Sie überfordert!)

Meine Damen und Herren, es ist schön, dass Sie hier immer wieder mit diesen Anträgen kommen.

(Holger Bellino (CDU): Ja!)

Aber gemessen werden Sie nicht an der Menge der Anträge, die Sie hier im Parlament einbringen und mit welchen Sie Ihr Versagen schönreden wollen; gemessen werden Sie daran, was tatsächlich draußen im Land passiert. Da hat Herr Stirböck völlig recht: Dort gibt es nicht nur weiße Löcher, dort gibt es in vielen Bereichen einfach eine desaströse Bilanz, die wir Ihnen hier vorhalten müssen.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Holger Bellino (CDU))

Ich meine mit „desaströser Bilanz“ – das habe ich gestern recherchiert, als ich den Breitbandatlas abgerufen habe; dieser ist ein objektiver Maßstab dafür, wo Hessen tatsächlich steht –: Bei der Verfügbarkeit von Gigabitanschlüssen in Privathaushalten liegt Hessen auf Platz 10. Bei der Verfügbarkeit von Gigabitanschlüssen in Schulen liegt Hessen auf Platz 9. Jetzt wurde gerade gesagt: Wir sind ganz toll, wir haben so viele Schulen gigabitfähig gemacht. – Ja, meine Damen und Herren, genau das ist das Problem in Bezug auf Ihr Verständnis; denn es stellt sich die Frage, was am Ende ankommt, ob wir in den Schulen am Ende tatsächlich 1.000 MBit/s haben oder nicht. Das ist die Frage, die Sie sich stellen müssen. Dazu sagt der Breitbandatlas: Hessen ist da weit hinten.

Bei der Verfügbarkeit von Mobilfunk nach 5G-Standard ist Hessen mit 43 % ganz hinten. Wenn man mit der Bahn mobil unterwegs ist, dann liegt Hessen auf Platz 13; denn nur 35 % der Fläche ist im schienengebundenen Verkehr tatsächlich mit 5G erschlossen. Gleiches gilt übrigens auch für Autobahnen und andere Verkehrsstraßen. Kein noch so optimistischer Entschließungsantrag kann diese Zahlen widerlegen; denn das sind die Kenngrößen, an denen wir Sie messen. Dazu muss man sagen: Ihr Entschließungsantrag ist wirklich nicht mehr als Lobhudelei.

Dabei ist für uns als LINKE die Problemstellung völlig klar, darauf haben wir Sie immer wieder hingewiesen: Ihr Festhalten an einem sogenannten „marktgetriebenen“ Ausbau scheitert vor allem im ländlichen Raum. Dort, wo keine Rendite zu erwarten ist und es sich für den Telekommunikationsanbieter eben nicht lohnt, geht der Ausbau bestenfalls im Schneckentempo voran. Dort gibt es Ankündigungen und sogar Verträge, aber damit sichern sich die Konzerne oftmals nur vor der lästigen Konkurrenz ab, ohne tatsächlich zu liefern. Deshalb braucht es starke Kommunen, die in die Lage versetzt werden, selbst aktiv zu werden. Aber die Schuldenbremse und das Verbot der wirtschaftlichen Betätigung bremsen die Kommunen aus.

(Beifall DIE LINKE)

Dabei bräuchte es diesen Ausbau besonders im ländlichen Raum. Wenn wir die Überhitzung des Wohnungsmarkts in den Zentren bremsen und nicht immer mehr Pendler haben wollen, brauchen wir gute Kommunikationsverbindungen, damit man auch zu Hause arbeiten kann. Wenn wir gute Bildung haben wollen, werden wir in Zukunft auf Internet und KI nicht verzichten können. Aber mit Ihrer Strategie hängen Sie die Menschen im Odenwald, im Werra-Meißner-Kreis oder im Vogelsberg ab.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dieser Antrag wird das Kapitel „Digitalministerium in Hessen“ beenden. Ein Ministerium ohne Kompetenzen, eine Ministerin für magische Mobilfunkmasten und Ankündigungen brauchen wir sicherlich nicht. Wenn versucht wird, mit diesem Antrag den Lack kurz vor dem Wahlkampf noch einmal aufzupolieren, kann ich nur sagen: Diese Strategie ist genauso wie Ihre Gigabitstrategie gescheitert. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)