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Rede

Torsten Felstehausen - CDU wärmt Vorratsdatenspeicherung wieder auf

Torsten FelstehausenDaten- und VerbraucherschutzDigitalisierungRegierung und Hessischer Landtag

In seiner 138. Plenarsitzung am 29. Juni 2023 diskutierte der Hessische Landtag auf Antrag der CDU mal wieder über die Vorratsdatenspeicherung. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Herr Hering,

(Holger Bellino (CDU): Guter Mann!)

gestern diskutierten wir über die Straßenausbaubeiträge. Sie hatten der Opposition vorgeworfen, dieses Thema hier immer und immer wieder einzubringen. Ich muss Ihnen sagen: Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es mir wirklich ähnlich.

(Zurufe Thomas Hering, Holger Bellino und J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU))

„Täglich grüßt das Murmeltier“, könnte man sagen, wenn man sich die unglaubliche Zahl von EuGH-Urteilen zum Thema einmal anschaut. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 und der Europäische Gerichtshof im Jahr 2014 eine deutsche bzw. EU-Regelung zur anlasslosen Speicherung von Telefonverbindungsdaten und anderen Telekommunikationsdaten gekippt hatten, wurde 2015 von der Großen Koalition eine Neuregelung eingeführt.

Telefonverbindungsdaten und IP-Daten der Endbenutzer oder der besuchten Seiten sollten zehn Wochen lang gespeichert werden, die Standortdaten von Mobiltelefonen vier Wochen. Aber diese Neuregelung entsprach eben nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts und entsprach nicht den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs.

Weiterhin sollten Daten pauschal und flächendekend gespeichert werden. Wenn Sie, Herr Hering, hier gerade auf die Grundsätze des Rechtsstaates verwiesen haben, dann muss ich sagen, sie gelten auch in der Gesetzgebung und im Umgang mit der Vorratsdatenspeicherung. Noch deutlicher können die Urteile doch gar nicht ausfallen.

(Beifall DIE LINKE)

Im September 2022: das fünfte Urteil des EuGH. Auch dies machte deutlich, eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig. Aber das scheint die Kolleginnen und Kollegen der CDU hier nicht groß zu stören. Man könnte fast sagen, dass sie sich mittlerweile daran gewöhnt haben, von den obersten Gerichten auf den Deckel zu bekommen.

Heute wärmt die CDU in der Aktuellen Stunde ihren schon mehrfach gerichtlich gescheiterten Versuch nach Vorratsdatenspeicherung wieder auf und begründet es damit, dass die Sicherheit der hessischen Bürgerinnen und Bürger gefährdet sei. Da müssen Sie sich aber schon einmal entscheiden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in welche Richtung Sie eigentlich argumentieren wollen. Gestern begann Kollege Bauer seine Rede noch damit, dass Hessen das sicherste Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland sei.

(Zuruf Thomas Hering (CDU))

Was mich aber wirklich sauer macht, Herr Hering, ist, dass Sie die Einführung der Vorratsdatenspeicherung mit der Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern verknüpfen. Das Ausspielen von Kinderschutz gegen Grundrechte: Das ist tatsächlich perfide.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Thomas Hering (CDU))

Absichtlich verbinden Sie ohne sachlichen Grund die Forderung mit den Verbrechen an Kindern;

(Thomas Hering (CDU): Ohne sachlichen Grund?)

denn, wer eine anlasslose Grundrechtsverletzung kritisiert, soll sich nach Ihrer Argumentation, nach Ihrem System selbst dem Vorwurf aussetzen, Kinder nicht zu schützen. Herr Hering, ginge es Ihnen wirklich um die Interessen der Kinder, dann würden Sie einen massiven Ausbau der Prävention fordern; denn das ist doch die allerbeste Option, um Straftaten zu verhindern.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Dirk Bamberger (CDU))

Sie können sich für mehr Hilfe für die von Gewalt betroffenen Kindern einsetzen. Sie können z. B. zur Sensibilisierung der Menschen, die viel Kontakt zu Kindern haben, Präventionsprogramme auflegen. Ombudspersonen kämen infrage, insbesondere bei der Polizei, bei der kindgerechten Meldung von Vorfällen.

Ja, es stimmt: Der EuGH hat kleine Spielräume gelassen.

(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Große!)

Aber drei Voraussetzungen müssen dann eben auch gelten: Erstens muss die Überwachungsmaßnahme geeignet sein. Zweitens muss sie angemessen sein. Drittens muss sie verhältnismäßig sein. Wir können uns ja darüber streiten, ob sie angemessen ist.

Die Bundesregierung wurde 2021 gefragt, wie IP-Adressen im Bereich des Kindesmissbrauchs ermittelt werden. Die Antwort der Bundesregierung war: In 96 % der Fälle gibt es überhaupt kein Problem bei der Ermittlung der IP-Adressen und bei der Ermittlung der Verursacher dieser Straftaten.

(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Bullshit!)

– Das sind nicht meine Zahlen. Das sind die Zahlen der Bundesregierung. Vielleicht hat die etwas Verkehrtes erzählt, dann müssten Sie den Gegenbeweis antreten. – Dass Sie sich jetzt hierhin stellen und mit den üblichen Szenarien kommen – Kindesmissbrauch, internationaler Terrorismus, Clankriminalität –,

(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Das reicht doch wohl! Unfassbar!)

zeigt doch deutlich, in welche Richtung Sie denken und welches Staatsverständnis Sie dahinter haben.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Herr Abg. Felstehausen, Ihre Redezeit geht in Richtung Ende.

(Holger Bellino (CDU): Gut so!)

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Dann komme ich zum Ende, Frau Präsidentin. – Sie könnten doch ebenfalls fordern – auch das ist ein geeignetes Mittel zur Strafverfolgung –, dass alle Menschen ihre DNA präventiv abgeben. Es gibt Freiheitsrechte, die unveräußerlich sind, meine Damen und Herren, und daran muss sich auch die CDU gewöhnen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Holger Bellino (CDU): Kinderschutz z. B.! – Weitere Zurufe CDU)