Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Torsten Felstehausen - Die Landesregierung wird ihrer digitalpolitischen Verantwortung nicht gerecht

Torsten FelstehausenDigitalisierung

In seiner 103. Plenarsitzung am 11. Mai 2022 diskutierte der Hessische Landtag über die Digitalisierung im ländlichen Raum. Dazu die Rede unseres Parlamentarischen Geschäftsführers und digitalpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Honka, zunächst einmal auch von mir herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Anlässlich eines Geburtstags kann man sich viel wünschen. Das haben Sie in Ihrer Rede auch getan. Entscheidend ist aber am Ende nicht, was ich mir gewünscht habe – die Erfahrung haben wir alle als Kinder gemacht –, sondern das, was nachher tatsächlich auf dem Geburtstagstisch liegt. Darum soll es heute in meiner Rede gehen. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegt manchmal leider eine große Strecke, und das führt immer wieder zu Enttäuschungen.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU)

Mit diesem Antrag liegt uns wieder einmal eine Zielbeschreibung vor: eine neue, schöne Digitalwelt. Kaum ein Stichwort fehlt in diesem Antrag; ich bin ihn einmal durchgegangen. Sie sprechen von der „flächendeckenden Schaffung digitaler Strukturen“, der „finanziellen Unterstützung wichtiger Digitalisierungsprojekte“, den „Themenfeldern digitale Verwaltung“, dem E-Government, den Chancen der Digitalisierung, dem, und jetzt kommt es noch besser, „Erfolg der hessischen Digitalisierungsoffensive“ und last, but not least – man höre – vom „Ankerpunkt der Digitalisierung des ländlichen Raumes“. Mein Gott, da gab es wirklich einen Wortgenerator, in den man den Begriff „Digitalisierung“ eingegeben hat, und dann ist das alles geliefert worden. Das wurde anschließend in diesem Antrag zusammengefasst.

Wenn man das liest, könnte man meinen, Sie seien tatsächlich endlich aufgewacht und hätten begriffen, dass wir im Vergleich mit den meisten europäischen Ländern weit abgeschlagen sind, und das – Herr Stirböck hat es gerade ausgeführt – in fast allen Bereichen der Digitalisierung: bei der Versorgung der Fläche mit schnellem Internet, beim Mobilfunkausbau, bei der Digitalisierung der Verwaltung auf allen Ebenen, bei der Förderung von Schlüsseltechnologien, wie künstliche Intelligenz und Data-Mining, und auch bei den Hochleistungsrechnern. Dazu kommen wir heute Nachmittag noch einmal.

Zwei Jahre Corona-Krise haben uns doch deutlich gezeigt, wo wir digitalpolitisch stehen. Ich habe den Eindruck, Sie klammern sich immer noch krampfhaft an Ihr Faxgerät. Sie wollen und können es nicht loslassen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber ich sage Ihnen: Ein Intel-Aufkleber auf einem Faxgerät macht aus diesem Faxgerät noch keinen Computer. Da muss etwas mehr kommen.

Jetzt kommt wieder ein Jubelantrag, in dem Sie mit vielen Worten Ihr Zielbild beschreiben. Aber, meine Damen und Herren, was ich vermisse, sind konkrete Ergebnisse. Können Sie sicherstellen, dass über das E-Government-Gesetz, das bereits vor neun Jahren verbindlich beschlossen wurde und Rechtskraft besaß, tatsächlich bis Ende des Jahres alle Dienstleistungen der öffentlichen Hand digitalisiert sind und dass die medienbruchfreie Bearbeitung von Anträgen möglich ist? Ich glaube, wenn wir realistisch sind, müssen wir gemeinsam sagen: Nein, an dieser Stelle werden wir scheitern. – An dieser Stelle scheitert die Hessische Landesregierung. Der Zug ist abgefahren.

Meine Damen und Herren, ich könnte Ihren Antrag jetzt Punkt für Punkt durchgehen, aufzeigen, wo sich Wunsch und Wirklichkeit widersprechen, und die Entfernung zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der Maßeinheit „1 Sinemus“ definieren. Aber ich möchte einen ganz anderen Punkt aufgreifen, damit verstanden wird, worüber wir eigentlich sprechen und an welcher Stelle wir stehen.

Bundestag und Bundesrat diskutieren derzeit erstmals über das Recht auf Internet, also über den individuellen Rechtsanspruch auf digitale Teilhabe. Es geht um die Frage, ob alle Einwohnerinnen und Einwohner Hessens tatsächlich einen Zugang zum schnellen Internet bekommen und ob dies auch einklagbar umgesetzt wird.

Hessen ist mit seiner schwarz-grünen Mehrheit eines der Länder, die schon heute festgelegt haben, dass sie der vorgelegten Regelung zustimmen werden. Was sieht diese Regelung vor? Diese Regelung sieht vor, dass es einen Rechtsanspruch auf 10 MBit/s im Download und 1,7 MBit/s im Upload gibt. Das soll zukünftig die Mindestgröße des Datendurchsatzes sein, auf die man sich verlassen kann, von Bad Karlshafen bis in den Odenwald.

Wissen Sie eigentlich, was Sie da beschließen, wo Sie da zustimmen? Diese Messgröße pro Haushalt gilt eben pro Haushalt, egal wie viele Familienmitglieder da sind, egal wie viele Menschen im Homeoffice sind, egal wie viele Menschen Homeschooling machen – von Netflix und Co. ganz zu schweigen. 10 MBit/s Download: Das ist das, was Sie als Standard definieren wollen. Wenn ich mir jetzt anschaue, was alles in Ihrem Antrag steht, stelle ist fest, dass all das damit nicht zu realisieren ist.

Ich möchte diesen Beschluss – weil mich einige etwas fragend anschauen – über den Begriff „10 MBit/s“ in die analoge Welt übersetzen. Das, was Sie hier eigentlich machen, wäre so, als wenn Sie allen Menschen in Hessen blumig versprechen, dass es bald überall fließendes Wasser geben würde. In Ihren Anträgen beschreiben Sie dann, dass jedes Haus eine Dusche, einen Wasseranschluss und eine Badewanne haben könnte. Sie beschreiben das Bild von Springbrunnen und Swimmingpools. Aber in Wirklichkeit ist die Wasserleitung, die Sie verlegen, dann doch nur wenige Millimeter dünn. Der Wasserhahn tröpfelt beim Aufdrehen, und für das Füllen der Badewanne braucht man eine Woche. Das ist das, was Sie hier tatsächlich auf den Tisch legen und dem Sie zustimmen. Da hilft es eben nicht, dann über Springbrunnen zu reden. Sie müssen da an die Basics ran. Da geht der Anspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit sehr weit auseinander.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)

Meine Damen und Herren, all Ihre Bilder, all Ihre Buzzwords setzen schnelles und flächendeckendes Internet voraus. Dort versagen Sie, weil Sie nicht begriffen haben, was die Grundlagen dafür sind. Die Teilhabe an Digitalisierung ist längst Bestandteil der Daseinsvorsorge. Es handelt sich eben nicht mehr um Luxus, Spielerei oder Nice-to-have. Die Verfügbarkeit von schnellem Internet – flächendeckend, gerade in den ländlichen Bereichen – ist inzwischen mit anderen Feldern der Daseinsvorsorge wie Energie und Wasser gleichzusetzen.

Genau dort – Herr Stirböck, da haben wir einen Dissens – funktioniert Marktwirtschaft eben nicht. Unternehmen, die auf Quartalsbilanzen setzen und in Kategorien von Dividenden denken, können kein Interesse daran haben, in unattraktiven Marktsegmenten tätig zu werden.

(Zuruf Manfred Pentz (CDU))

Wo es sich lohnt, wird investiert; der Rest bleibt liegen. Das ist die Realität in Hessen. In Hessen ist dieser Bereich, dieser Rest besonders groß. 60 % der Einwohnerinnen und Einwohner wohnen im sogenannten ländlichen Bereich. Sie lassen hessenweit das Cherry Picking der Netzanbieter zu. Der sogenannte marktgetriebene Ausbau des schnellen Internets führt dazu, dass wir dieses Land, dass wir Hessen spalten in schnell und langsam, in gute und schlechte Wohngebiete, in gute und schlechte Gewerbegebiete und letztendlich in online und offline. Wenn Sie tatsächlich 10 MBit/s Download zur Messgröße machen, dann können Sie es lassen. Das ist keine relevante Größe mehr, mit der heute irgendein Gewerbetreibender, irgendein Haushalt tatsächlich etwas anfangen kann.

(Beifall DIE LINKE)

Solange Sie diese Schwäche nicht überwinden, solange Sie nicht sicherstellen, dass alle Hessinnen und Hessen einen schnellen Zugang zum Internet haben, ist die Diskussion über Ihre Schaufensteranträge mit all diesen Buzzwords, die Sie aufzeigen, reine Zeitverschwendung.

Als LINKE sagen wir sehr klar: Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben. Sorgen Sie dafür, dass dieses Land nicht weiter in Stadt und Land zerfällt. Stoppen Sie die digitale Spaltung, und werden Sie Ihrer Verantwortung als Landesregierung im digitalen Bereich endlich gerecht. Das ist jetzt der Punkt, an dem Sie Farbe bekennen müssen, und nicht mit tollen Wörtern und nicht mit Schaufensteranträgen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)