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Rede

Torsten Felstehausen: Diskussion über Kriminalstatistik im luftleeren Raum: Gefährdung durch militante Rechte endlich ernst nehmen

Torsten FelstehausenAntifaschismusInnenpolitik

In seiner 97. Plenarsitzung am 23. Februar 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Kriminalstatistik 2021. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bauer, ich war etwas irritiert über Ihre Rede, weil Sie hier so oft von der Kriminalstatistik gesprochen haben. Herr Bauer, liegt Ihnen diese eigentlich inzwischen vor? Uns liegen bisher eine Pressemitteilung des Innenministers und eine dazugehörende PowerPoint-Präsentation vor.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Es ist leider jedes Jahr das Gleiche; und wir haben es im letzten Jahr schon kritisiert.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einfach auf die Internetseite gehen! Da kann man das herunterladen! – Zuruf Alexander Bauer (CDU))

– Nein, kann man nicht. Da kann man die PowerPoint-Präsentation herunterladen, aber nicht die Kriminalstatistik; und das ist ein Teil des Problems. – Wir haben es im letzten Jahr kritisiert und machen das in diesem Jahr wieder. Wir reden hier über eine Kriminalstatistik, die der Innenminister eben nicht veröffentlicht hat, sondern wir reden über seine Pressemitteilung und über eine dazugehörende PowerPoint-Präsentation. Niemand kann eigentlich wirklich nachvollziehen, was in der Kriminalstatistik steht. Schlicht und ergreifend ist sie nicht vorgelegt worden.

(Beifall DIE LINKE)

Das wäre meine erste Bitte an den Innenminister. Es wäre doch deutlich seriöser über die Statistik zu diskutieren, wenn Sie sie auch vorgelegt hätten und wir alle sie nachvollziehen könnten. Das haben wir Ihnen im letzten Jahr gesagt. Wir bleiben dabei: Wir führen hier eine Debatte für die Galerie. Herr Minister, wenn Ihnen das Thema wirklich wichtig wäre, würden Sie so nicht verfahren.

(Beifall DIE LINKE)

Als Zweites muss man bei der Kriminalstatistik natürlich auch sagen: Es geht um eine Eingangsstatistik. Auch das sagen wir jedes Jahr. Erfasst wird nämlich in dieser Kriminalstatistik nur, wie viele Straftaten angezeigt und wie viele Verdächtige durch die Polizei zugeordnet wurden. Wir reden leider nicht darüber, wie viele Tatverdächtige am Ende wirklich überführt und letztendlich von einem Gericht verurteilt wurden. Aber nur dann wüssten wir halbwegs, wie gut unser Rechtssystem wirklich funktioniert. Wir sprechen also heute über Quantität der Ermittlungen, aber nicht über das eigentlich Wichtige, nämlich über die Qualität der Arbeit unserer Polizei, weil uns dazu keine Daten vorliegen.

Deshalb sagen wir auch jedes Jahr wieder, dass es eine Verlaufsstatistik braucht, damit klar erkennbar wird: Was wurde mit den Tatverdächtigen? Wurden daraus Verfahren? Wurden daraus vielleicht abgeschlossene Verfahren? Wurden Täter nach der Ermittlungsarbeit der Polizei eigentlich überführt und verurteilt? Das ginge eben nur, wenn wir auch die Justiz einbeziehen würden; aber das passiert leider nicht. Deshalb wissen wir eigentlich sehr wenig über den tatsächlichen Verlauf der Kriminalität. Wir wissen etwas über die Anzahl der Fälle, die die Polizei aufnimmt, aber nicht, was daraus geworden ist. Herr Minister, das „Aufklärung“ zu nennen, ist nicht nur irreführend, das ist wissentlich falsch.

(Beifall DIE LINKE)

Was wir als LINKE immer fordern, sind Dunkelfeldstudien. Herr Bauer, Sie haben es angesprochen. Es geht darum, dass bestimmte Deliktsfelder aufgehellt werden. Wir wissen zu wenig über das Dunkelfeld von Straftaten, die begangen wurden, aber aus Scham oder Angst vor Repression gar nicht zur Anzeige gelangen. Das betrifft z. B. Betrug, häusliche Gewalt oder Missbrauch. Aus der Forschung haben wir Anhaltspunkte, aber wir haben keine systematischen Methoden in Hessen, damit die Sicherheitsbehörden solche Felder tatsächlich aufhellen. Herr Minister, da fragt es sich natürlich: Warum haben wir das eigentlich nicht?

(Beifall DIE LINKE und Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Warum haben wir keine Studien zur tatsächlichen Dimension von häuslicher Gewalt, keine Studien zur tatsächlichen Dimension von Mobbing oder Bedrohungen? All das könnten wir wissen, und wir könnten es auch in die Diskussion einbeziehen, aber uns liegen keine Daten dazu vor. Das halten wir für grob fahrlässig.

Deshalb, Herr Minister: Reden Sie doch bitte nicht immer von Aufklärungsquoten. Aufgeklärt ist da zunächst gar nichts. Es sind erst einmal nur die Fälle, die die Polizei aufnimmt. Meine Damen und Herren, das ist eine Frage, über die man vortrefflich streiten kann. Das Thema Aufklärung – so haben wir als LINKE den Eindruck – ist ohnehin nicht das Fachgebiet dieses Ministers.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)

Dann noch ein ganz wichtiger Punkt, warum die von der CDU beantragte Debatte so schwer in der Luft hängt: Die Corona-Pandemie wirkt sich natürlich stark auf die Polizei und die Kriminalstatistik aus. Zum einen sind Einsatzkräfte selbst enormen Gefährdungen ausgesetzt, zum anderen haben sich die Kriminalitätsfelder deutlich verschoben. Herr Bauer, Sie haben es richtig angesprochen. Wenn z. B. Menschen zu Hause sind, gibt es weniger Wohnungseinbrüche. Das ist vollkommen logisch. Es hat nicht das Geringste mit einer anderen Polizeiarbeit zu tun, wenn dort die Fälle zurückgehen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Onlinedelikte. Auch das ist relativ erklärbar, und auch das hat nichts mit Polizeiarbeit zu tun – nicht im Geringsten. Insofern herrscht bei der Betrachtung der Kriminalität weiterhin eine absolute Sondersituation; und es ist schon sehr merkwürdig, dass der Minister diese Tatsachen umschifft.

Aber damit komme ich zu einem Punkt, an dem wir uns eigentlich einig sind – tatsächlich auch mit dem Minister –: Hessen ist, was die Kriminalität angeht, ein sehr sicheres Bundesland; und Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt – zum Glück, muss man sagen. Das ist gut so, und das ist auch, das will ich ebenfalls sagen

(Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

  • hört mir doch einmal zu –, der täglichen Arbeit der Poli-zei vor Ort zu verdanken. Das muss man sehr deutlich sagen.

(Beifall DIE LINKE, CDU, BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN und vereinzelt SPD)

  • Vielen Dank, dass Sie an dieser Stelle applaudieren.

Aber es gibt insbesondere einen Bereich, der nicht nur seit der Pressemitteilung des Ministers sehr bedrohlich wirkt. Wir haben seit Jahren eine massive Zunahme von rechtem Hass und rechter Hetze. Darüber hinaus haben wir es mit offenem rechten Terror zu tun, vor allem in Hessen. Schon wieder läuft ein Verfahren, das der Generalbundesanwalt an sich ziehen musste, wegen möglichen rechten Terrors made in Hessen, Stichwort: Spangenberg.

Wir haben natürlich mit teils massiven Straftaten in Verbindung mit der Corona-Pandemie zu tun. Da rede ich nicht über die vielen Tausend Ordnungswidrigkeiten, sondern es geht um schwerste Straftaten. Es geht um Straftaten wie Bedrohung und Brandstiftung und eben um den Mord von Idar-Oberstein.

Da dieses Spektrum vor allem durch die extreme Rechte dominiert wird, verwundert uns schon der angebliche Rückgang der „politisch motivierten Kriminalität rechts“, wie es der Innenminister konstatierte. Es macht wenig Sinn, eine drastische Zunahme der Kriminalität festzustellen, diese dann aber als „politisch nicht zuzuordnen“ zu bezeichnen.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich spielen dabei auch die massiven Angriffe auf die Presse, auf ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker, auf Menschen, die ihre Maske korrekt tragen, und auf Polizei und Rettungskräfte eine Rolle. Als LINKE haben wir immer deutlich gesagt: Ein Sonderstrafrecht für Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte wird nicht dazu führen, dass diese Angriffe zurückgehen. – Auch Sachverständige haben es von Beginn der Debatte an bezweifelt. Der Minister reitet an dieser Stelle ein totes Pferd, wenn er erneut eine Verschärfung des Strafrechts fordert – nach dem Motto: Viel hilft viel. – Nein, meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten uns lieber den Ursachen zuwenden.

(Beifall DIE LINKE und Gerald Kummer (SPD))

Diese Ursachen bestehen für DIE LINKE immer noch in den sozialen Ursachen dieser Gesellschaft. Kriminalität, Devianz und aggressives Verhalten haben Ursachen. Diesen sozialen Ursachen endlich zu begegnen, statt die Polizei zum Prellbock zu machen, würde wirklich weiterhelfen.

(Beifall DIE LINKE)

Zuletzt hat schlicht und ergreifend auch das Bild der Polizei unter der Führung stark gelitten. Herr Minister, für die Skandale innerhalb der Polizei trugen und tragen Sie eine Hauptverantwortung.

(Beifall DIE LINKE und Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Wir sind davon überzeugt: Ein neues Leitbild der Polizei, so, wie es von der Sonderkommission gefordert wurde, und eine offene Aufklärung der vielen Skandale wären ein Segen für die ganze Polizei in Hessen. Das würde die Polizei in Hessen auch motivieren, weiterhin einen guten Dienst zu verrichten.

(Beifall DIE LINKE und Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Herr Minister, ich kann nur appellieren: An dieser Stelle sollten Sie sich einmal profilieren. Hier sollten Sie sich hervortun, anstatt immer wieder mit Schaufensteranträgen zu erscheinen. Das hilft uns nicht weiter. Das klärt nicht auf. Wir müssen die Polizei tatsächlich stärken, aber das ist Ihr Job. An der Stelle haben Sie bisher versagt. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))