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Rede

Torsten Felstehausen: Höchste Zeit für flächendeckende Digitalstrategie statt einzelner Leuchtturmprojekte

Torsten FelstehausenDigitalisierung

In seiner 80. Plenarsitzung am 07. Juli 2021 debattierte der Hessische Landtag zur Digitalstrategie 2030 des Hessischen Digitalministeriums. Dazu die Rede unseres digitalpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Entschließungsantrag „Digitales Hessen – Wo Zukunft zuhause ist“ wollen die die Regierung tragenden Fraktionen nach der Hälfte der Legislaturperiode eine Bilanz ihrer digitalen politischen Bemühungen vorlegen. Anhand von acht Punkten – von denen einige leider doppelt vorkommen – werden blühende digitale Landschaften in Hessen gezeichnet.

Leider stellt der Entschließungsantrag aber nicht das vor, was erreicht worden ist. Vielmehr enthält er nur das, was vor zweieinhalb Jahren im Koalitionsvertrag niedergeschrieben worden ist. Er formuliert nur das, was Sie zu tun beabsichtigen und wohin die Reise gehen soll. Es fehlt völlig das, was Sie bisher umgesetzt haben. Man könnte daher sagen: Sie haben sich stets bemüht.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich möchte auf ein paar Aspekte eingehen. Im Punkt 2 des Entschließungsantrags gehen Sie auf die Bemühungen ein, den ländlichen Raum zu digitalisieren. Seit Jahren hören wir hier im Landtag Jubelchöre: Gigabit-Anschlüsse, ein flächendeckendes Netz für den Mobilfunk, WLAN in öffentlichen Einrichtungen, alles super. Wenn man sich aber die Mühe macht, vor Ort zu gehen, stellt man fest: Netzabbrüche, Funklöcher, Glasfasernetze im ländlichen Raum vielfach nicht vorhanden, werden nicht einmal angeboten. Selbst von einem 50-MBit/s-Anschluss können viele Hessen im ländlichen Raum nur träumen. Das ist die Realität.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren von den die Regierung tragenden Fraktionen, fahren Sie doch einmal mit dem Auto – nein, viel besser: mit der Bahn – durch Hessen. Dann werden Sie feststellen, in welchem Zustand unsere digitale Infrastruktur ist, und dann wird Ihr digitales Kartenhaus relativ schnell zusammenbrechen.

In Punkt 3 des Entschließungsantrags loben Sie sich über den grünen Klee für die Digitalisierung im Bildungswesen. Ich kann nur sagen: Schön, dass Papier geduldig ist, sonst würde es schon beim Ausdrucken und vor dem Verteilen in unsere Fächer rot. Völlig unklar ist die Zuständigkeit, wenn es um die Digitalisierung von Schulen und Universitäten geht. Wir haben zwar seit 2019 ein Digitalisierungsministerium, aber alle wesentlichen Entscheidungen werden – ohne Koordination – in ganz anderen Häusern getroffen. Was dabei herauskommt, sieht man bei der Umsetzung des Digitalpakts Schule. In diesem Rahmen werden die Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten versorgt. Das haben Sie zwar gemacht, aber es ist völlig unklar, wie die Schülerinnen und Schüler einen Zugang zum Netz bekommen. Wie sollen sie im ländlichen Raum Laptops und Tablets nutzen, wenn kein WLAN in der Schule vorhanden ist, wenn kein Breitbandanschluss verfügbar ist und wenn man bei der Nutzung des Mobilfunks immer wieder feststellen muss, dass man an dem Ort keinen Netzempfang hat?

Sie haben es im Jahre 2021 geschafft – ich betone: 2021 –, die Lehrerinnen und Lehrer mit E-Mail-Adressen zu versorgen. Sie haben es aber versäumt, zugleich flächendeckend allen die Geräte bereitzustellen, mit denen man EMails senden und empfangen kann.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Dazu kann ich nur sagen: herzlich willkommen im Neuland.

Ein viertes Beispiel: Sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern in Hessen weismachen, die Verwaltung werde nun endlich digitalisiert. Man hört da viele Absichtserklärungen, aber keine Aussage über den Istzustand. Die Bürgerinnen und Bürger können doch, wenn sie an die Orte gehen, an denen der Amtsschimmel nach wie vor analog wiehert, tagtäglich mitbekommen, wie die Arbeit in den Rathäusern nach wie vor erledigt wird. Das E-Government-Gesetz fordert eine flächendeckende Einführung der elektronischen Aktenführung. Das bedeutet die Anwendung digitaler Fachverfahren und einer medienbruchfreien Antragsverarbeitung sowie die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern über E-Mails, Apps und digitale Schnittstellen. Hierzu gibt es bestenfalls Pilotversuche, bestenfalls Leuchtturmprojekte, die aber niemals in der Fläche ankommen.

Wenn Sie hier etwas zu berichten haben, dann sind es, wie gesagt, Dinge, die Sie irgendwo und einmalig ausprobieren. Wenn wir aber die Bürgerinnen und Bürger fragen, was sie von der Digitalstrategie, von der Digitalisierung der Rathäuser erfahren, dann hört man: Es sieht bei uns aus wie im Jahr 1970; bisher hat sich daran nichts geändert.

Herr Honka, Sie haben gerade vorgeschlagen, Chatbots in Rathäusern einzuführen. Schauen wir uns einmal die Technologie von Chatbots an. Was machen die eigentlich? – Bei der Antwort bin ich schnell wieder bei Ihnen, bei Ihrer Rede und auch bei der Digitalstrategie. Chatbots sammeln Satzbestandteile, setzen sie auf Anforderung neu zusammen. So kam mir auch Ihre Rede vor. Was Chatbots nicht können, ist, etwas Neues zu schaffen. Sie wiederholen ausschließlich das bisher Bekannte. Vielleicht haben Sie ja Chatbots in der CDU-Fraktion bereits eingeführt. Bei Ihrer Rede hatte ich nämlich ein bisschen den Eindruck, die habe ein Chatbot geschrieben.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Was noch viel schlimmer ist als Ihre maßlose Lobhudelei: Sie sind völlig frei von Selbstkritik und Reflexion.

(Zurufe CDU)

– Das gilt nicht nur für den; das ist völlig richtig. – Vor allem dort, wo dringend Handlungsbedarf besteht, hören wir von Ihnen nichts, nur beredtes Schweigen.

Ich möchte Ihnen drei Punkte nennen, die für uns als LINKE wirklich wichtig wären:

Erstens. Wo sind Ihre Initiativen, wenn es darum geht, die neuen Beschäftigungsformen der Plattformökonomie endlich zu regulieren? Zehntausende Menschen arbeiten in diesem Bereich in Hessen als Clickworker, als Verfügungsmasse in der Cloud. Sozialversicherung, Mindestlohn und Arbeitnehmerrechte sind hier absolute Fremdwörter. Hier hätten wir von Ihnen einmal ein Wort dazu erwartet, wie Sie mit diesem Bereich zukünftig umgehen wollen, der für immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich relevant ist.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Zweitens – das schließt sich daran an –: Wo sind, bitte schön, Ihre Initiativen, wenn es darum geht, die Arbeitsbedingungen bei der Transformation in die digitale Welt, bei „Industrie 4.0“, bei „Dienstleistung 4.0“ menschengerecht zu gestalten? Das würde voraussetzen, die Rechte der Beschäftigten zu stärken, die Möglichkeiten der Mitbestimmung bei Digitalisierungsprozessen und bei Standortentscheidungen endlich vernünftig auszubauen und ein Recht auf Fortbildung einzuführen, damit auch Menschen, die nicht als Digital Natives aufgewachsen sind, eine Chance haben, daran teilzuhaben. Zu alldem: Fehlanzeige, kein Wort dazu.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Drittens. Wo bleiben Ihre Initiativen, wenn es um den Datenschutz und um den Schutz der Privatsphäre geht? Wenn man davon etwas aus dem Bereich der Regierungskoalition hört, dann bestenfalls von Innenminister Peter Beuth, der mit dem Hessen-Trojaner, mit Palantir, mit einer Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchungen den gläsernen Bürger schaffen will und der die Eingriffsrechte des Verfassungsschutzes und der Polizei immer weiter ausbaut. Aber auch hier: in Ihrem Entschließungsantrag kein Wort zu bürgerlichen Freiheitsrechten, nichts dazu, wie die Daten der Menschen tatsächlich geschützt werden können.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir stehen als LINKE für eine Digitalisierungspolitik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die Frage darf doch nicht sein, was Profit bringt. Die Frage muss doch sein: Was nützt den Menschen? Wir brauchen eine Digitalisierungspolitik und eine Digitalisierungsstrategie, die die individuellen Freiheitsrechte in den Mittelpunkt stellt, die die Nutzer vor Überwachung schützt, die den technischen Fortschritt für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen nutzt und sich dafür einsetzt. Aber von alldem findet sich in der Vorlage der die Regierung tragenden Fraktionen kein Wort, nur beredtes Schweigen.

Zusammenfassend können wir feststellen: Das Digitalministerium hat den Stresstest der Corona-Krise nicht bestanden. Die wesentlichen Punkte werden eben nicht in diesem Ministerium entschieden, und wortreiche Entschließungsanträge können darüber auch nicht hinwegtäuschen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können das Ganze so zusammenfassen: In einem Arbeitszeugnis stünde: Das Digitalministerium hat sich stets bemüht. – Das reicht aber nicht.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)