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Rede

Torsten Felstehausen: Nordhessen braucht keinen verkehrsberuhigten Regionalflughafen

Torsten FelstehausenVerkehr

In seiner 104. Plenarsitzung am 12. Mai 2022 diskutierte der Hessische Landtag zum Flughafen Kassel-Calden. Dazu die Rede unseres Parlamentarischen Geschäftsführers und nordhessischen Abgeordneten Torsten Felstehausen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien, ich sage einmal: Moin, liebe AfD, auch endlich aufgewacht! Es war ja lange Zeit spannend. Jetzt habt ihr ein neues Thema entdeckt, aber außer vorzutragen, was schon lange bekannt ist, ist eigentlich nichts rübergekommen. Insofern war das wirklich kein Highlight, was hier abgeliefert worden ist.

Aber auch wir haben dazu natürlich eine klare Position. Da wundere ich mich manchmal schon über die Bemühungen der GRÜNEN, eine Situation, die sie selbst auch nicht als gut erleben und betrachten, gutzureden.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsinn!)

Worüber sprechen wir eigentlich? Kassel Airport – früher besser bekannt als Flughafen Kassel-Calden –, der Ort weit im Norden Hessens, von dem die meisten wahrscheinlich gerade noch wissen, wo er liegt, aber von wo die allermeisten von uns noch nicht geflogen sind. Das ist auch kein Wunder; denn da fliegt ja auch so gut wie nichts.

Selbst Menschen aus Nordhessen nehmen das Angebot des Flughafens nicht an. Die Kleinst-Airlines, die dort gecastet werden, kommen und gehen fast so häufig wie die Geschäftsführer, die Flüge fallen aus, und die Fluggäste werden kurzfristig auf andere Flughäfen umgebucht oder stranden an Flughäfen, von denen sie nicht abgeflogen sind. – Wenn jetzt hier der Kopf geschüttelt wird, kann ich nur sagen: Wir lesen doch die gleiche Tageszeitung im Norden Hessens. Fast wöchentlich kommen genau diese Berichte.

(Zuruf Oliver Ulloth (SPD))

Die Konsequenz aus dem inzwischen zehnjährigen Trauerspiel ist, dass die Menschen in Nordhessen, wenn sie denn fliegen wollen – viele verzichten zum Glück inzwischen auf Flüge –, sich Alternativen suchen. Die nächsten Flughäfen sind

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Paderborn!)

Frankfurt und Hannover, in ungefähr 1:20 Stunden zu erreichen. Nach Paderborn sind es nur 55 km, das ist mit dem Auto in einer Dreiviertelstunde zu schaffen.

Den Bau des Verkehrsflughafens in dieser Region hat DIE LINKE von Anfang an als einen Fehler angesehen und die Ertüchtigung des Verkehrslandeplatzes gefordert. Um das Drama zu stoppen, hat DIE LINKE über 20 parlamentarische Initiativen in den Landtag eingebracht,

(Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

aber die Regierungen in sehr unterschiedlichen Zusammensetzungen wollten unbedingt diesen Flughafenausbau. Lena Arnoldt hat es gerade auch noch einmal deutlich gemacht. Sie wollten ihn unbedingt durchsetzen. Roland Koch sollte seinen Flughafen bekommen. Wenn ein Flughafen in München nach einem Ministerpräsidenten benannt wird, dann müsste es doch auch das Ziel geben, in Hessen das Gleiche zu tun.

Die Landesregierung hält also unbeirrt an ihrer einmal getroffenen Entscheidung fest, die damals so falsch war wie heute. Sie stellen auch fest, dass es eigentlich nicht notwendig ist, dort diesen Flughafen zu betreiben, weil alle Ziele auch mit dem Verkehrslandeplatz hätten durchgeführt werden können.

Seitdem sprechen wir mehrmals jährlich über den Flughafen. Warum sprechen wir darüber? Nicht, weil da nichts fliegt, sondern weil er unendlich teuer ist. Das ist doch das eigentliche Problem. Die Kostenkalkulation hat sich, wie von den Kritikern vorhergesagt, als geschönt erwiesen, die Verkehrsprognosen ebenfalls. Skandale um EU-Subventionen und Geschäftsführer reihen sich nahtlos an den Betrug bei der Baustellenkostenabrechnung, bestellte Gutachten für die Evaluierung usw.

600.000 Passagiere sollten es sein. Was für ein tolles Ziel für Nordhessen: 600.000 Passagiere. Das war die Prognose. In Wirklichkeit wird diese Prognose gerade einmal zu 21 % erfüllt. Dabei sind schon alle mit eingerechnet, meine Damen und Herren. Da sind die Fallschirmspringerinnen und -springer mit eingerechnet, da sind die Kleinstflugzeuge mit eingerechnet, da sind Reparaturflüge mit inbegriffen, all das ist bei diesen 127.000 Nutzerinnen und Nutzern des Flughafens mit eingerechnet.

Dann frage ich mich: Was machen eigentlich die GRÜNEN? Es waren die GRÜNEN, die am Anfang zusammen mit der Bürgerinitiative den Ausbau infrage gestellt und gesagt haben: Wir brauchen diesen Flughafen nicht. – Aber seit die GRÜNEN in der Regierung sind – das wurde von Herrn Kaufmann gerade auch ausgeführt –, hat man seinen Frieden damit gemacht und trägt die Kapriolen des Koalitionspartners mit.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

So stimmt dann auch die Landesregierung in den Jubelchor ein, wenn es als Erfolg gewertet wird, dass es jetzt zwei neue Verbindungen vom Flughafen Kassel gibt, nämlich eine nach Sylt und eine nach Rügen. Herzlichen Glückwunsch, jetzt haben wir demnächst das 9-€-Ticket. (Heiterkeit)

Wenn man auf so etwas stolz ist, einen Kleinstflughafen zu betreiben, der Kurzstreckenflüge innerhalb von Deutschland anbietet, dann frage ich mich: Wo ist da eigentlich die ökologische Verantwortung?

(Beifall DIE LINKE)

Die Landesregierung reitet eben weiter auf ihrem toten Pferd und hofft mit Steuermitteln als Kraftfutter Jahr um Jahr auf eine wundersame Auferstehung von den Toten. Im Übrigen ist es 2.000 Jahre her, dass das zum letzten Mal geklappt hat. Also werden wir noch warten müssen, bis wir das eventuell auch einmal in Kassel-Calden erleben.

(Beifall Hermann Schaus (DIE LINKE))

Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass der Flughafen Kassel Airport den Kostenrahmen von 6 Millionen € nicht überschreiten soll. Sie haben außerdem gesagt, dass Sie das transparent darstellen wollen. Da muss ich sagen: Sie haben schon heute diesen Koalitionsvertrag gebrochen. Warum, das will ich kurz sagen.

Seit 2017 wird jährlich der Kostenrahmen von 6 Millionen € ausgewiesen und wird wie durch Zauberhand eingehalten. Wir wissen aber doch, hinter jedem Zaubertrick – wenn man einmal hinter der Bühne steht und sich das anschaut, stellt man es fest – steht ein relativ einfacher Taschenspielertrick. Das nennt Herr Kaufmann Optimierung. Ich will ganz kurz in drei Schritten erzählen, was die Optimierung an dieser Stelle bedeutet.

Als Erstes wurde versucht, die ausgewiesenen Kosten durch die Übertragung auf Bund und Land, nämlich für hoheitliche Leistungen in Höhe von 3,5 Millionen €, aus der Bilanz herauszunehmen. Die Gemeinde Calden musste vor der Pleite bewahrt werden, und so übernahm das Land Hessen die Kosten für die Gemeinde Calden als Eigentümer oder Miteigentümer dieses Flughafens; denn die 170.000 € wären aus dem Säckel der Gemeinde nicht zu tragen gewesen.

Zweiter Schritt. Das Kerngeschäft, also der Flugbetrieb, liefert den allergeringsten Deckungsbeitrag zu dem Erlös des Flughafens. Der größte Teil der Einnahmen entsteht durch Vermietung von Flächen, unter anderem für die Unterkunft für Geflüchtete

(Zurufe)

  • ich bin froh, dass es das gibt –, unter anderem für dasCorona-Impfzentrum – ich bin froh, dass es an dieser Stelle ist –, unter anderem für Pommesbuden und Ähnliches. Aber all diese Vermietungen haben nicht das Geringste mit dem Flugbetrieb zu tun.

(Oliver Ulloth (SPD): Falsch!)

Es geht darum, den ehemaligen, den alten Fluglandeplatz zu vermarkten. Daraus generiert der Flughafen, der Airport Kassel, derzeit seinen größten Deckungsbeitrag.

(Zuruf Oliver Ulloth (SPD))

  • Es mag sein, dass ich das nicht richtig verstanden habe.– Ich zitiere einmal das Finanzministerium. Das Finanzministerium hat sich in der „Zeit“ folgendermaßen eingelassen:

Gerade während der Corona-Krise habe sich das Geschäftsmodell des Kassel Airport bewährt, … „Die Geschäfts- und Privatflüge, die Vermietung und Verpachtung von Flächen: All das ging und geht trotz Corona recht gut weiter.“

Ja, da wird das Geld verdient, bei der Vermietung, und nicht dadurch, dass irgendetwas fliegt oder nicht fliegt. Der ausgewiesene Verlust war während der Corona-Zeit nicht größer oder kleiner als davor. Da fragt man sich doch: Wenn alle Flüge ausgefallen sind, warum hat sich dann eigentlich am Betriebsergebnis nichts verändert? – Das kann doch nur darauf hindeuten, dass die Flüge selbst eigentlich überhaupt keinen nennenswerten Beitrag zur Deckung der Kosten liefern.

(Beifall DIE LINKE – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das weiß auch jeder!)

Ich möchte noch auf einen dritten Teil des Taschenspielertricks hinweisen. Er funktioniert wie folgt: Im Koalitionsvertrag sind die 6 Millionen € festgeschrieben. Der Finanzminister hat natürlich Sorge, gegenüber den GRÜNEN erklären zu müssen, wie man mit diesen 6 Millionen € umgeht, wenn eigentlich die Summe höher sein sollte. Also gibt es jetzt folgende dritte Maßnahme: Um die 6-Millionen-€-Grenze zu halten, wird jährlich ein Teil der Substanz verkauft; denn zum Airport Kassel gehört auch die ehemalige Verkehrslandefläche. Von diesem Gewerbegebiet wird jährlich ein Teil umgewandelt, daraus generiert der Airport Kassel seine Einnahmen, um seine 6 Millionen € zu halten.

Das Problem, das der Finanzminister an der Stelle hat, ist, dass auch für dieses Gewerbegebiet die Nachfrage denkbar bescheiden ist. Jetzt kommt der finale Griff in die Trickkiste: Die landeseigene Hessische Landgesellschaft mit ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden Staatssekretär Jens Deutschendorf und dem Mitglied des Aufsichtsrats Oliver Conz kauft im Rahmen der sogenannten Grundstücksbevorratung so lange Grundstücke von der Flughafen GmbH, bis am Ende die Bilanz wieder stimmt. Meine Damen und Herren, das ist eine perfekte Illusion, und am Ende stehen in der Bilanz 6 Millionen €.

Die GRÜNEN können sagen: Wunderbar, wir haben den Rahmen eingehalten. – Der Finanzminister hat einen kleinen Schattenhaushalt aufgebaut, und alle sind glücklich.

Meine Damen und Herren, das Ende der Geschichte ist doch: Es fliegt nach wie vor nichts von diesem Flughafen. Deshalb stellen wir als LINKE fest: Der Airport Kassel ist ökologisch unvertretbar, und er steht den Zielen zur Veränderung der Mobilität diametral entgegen. Der Airport Kassel ist finanziell ein Desaster, er verschlingt Millionen, die wir für die Entwicklung des ländlichen Raums in Nordhessen deutlich besser nutzen könnten.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Herr Felstehausen, kommen Sie bitte zum Schluss.

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Letzter Punkt. Damit ist der Airport Kassel das Symbolbild in Nordhessen für die Unfähigkeit, die richtigen Entscheidungen im richtigen Moment zu treffen. Das würde bedeuten: Steigen Sie einfach aus diesem Flughafen aus. Lassen Sie ihn uns zum Verkehrslandeplatz machen, dann können alle Flugzeuge fliegen, alle Arbeitsplätze bleiben erhalten, abgesehen vom Personal im Tower, der Betriebsfeuerwehr und dem Zoll auf dem Platz. Aber alle relevanten Arbeitsplätze, die dort sind, bleiben erhalten. Das wäre tatsächlich eine Perspektive für Nordhessen. Lassen Sie uns mit dem Geld etwas Sinnvolleres anfangen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Marius Weiß (SPD))