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Rede

Torsten Felstehausen - Rechte Netzwerke müssen endlich konsequent bekämpft werden

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In seiner 122. Plenarsitzung am 07. Dezember 2022 diskutierte der Hessische Landtag zu den Haushaltsjahren 2023 und 2024. Dazu die Rede unseres Parlamentarischen Geschäftsführers Torsten Felstehausen

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es erschreckt, was wir heute Morgen über die Ticker zur Kenntnis nehmen zu den Durchsuchungen in der Reichsbürger-, AfD-, Querdenkerszene. Aber sind wir doch einmal ehrlich: Überrascht uns das wirklich?

(Andreas Lichert (AfD): Sie mit dem militanten Linksextremismus! – Gegenruf Elisabeth Kula (DIE LINKE): Jetzt reicht es aber mal! – Zuruf AfD: Wir haben mit Reichsbürgern nichts zu tun! Unfassbar!) Seit Jahren ist es doch in Recherchenetzwerken – –

(Anhaltende Zurufe und Gegenrufe – Glockenzeichen)

Seit Jahren – –

(Anhaltende Zurufe)

Präsidentin Astrid Wallmann:

Wir reden über den Einzelplan 03. Herr Felstehausen hat das Wort. Ich bitte, dass die Zwischenrufe eingestellt werden und dass Herr Felstehausen jetzt das Wort hat. (Beifall SPD und DIE LINKE)

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Vielen Dank für die klaren Worte, Frau Präsidentin. – Seit Jahren ist das, was dort in der Szene zu beobachten ist, in öffentlichen Recherchenetzwerken nachzulesen. Es darf uns doch nicht verwundern, was sich da zusammengebraut hat.

Wir haben dazu eine Vielzahl an Kleinen Anfragen an den Innenminister gestellt: zu Querdenkern, zu den Reichsbürgern, zu der Bewaffnung von AfD und Preppern. (Zuruf AfD: Was?)

Wenn wir dann abgewartet haben, was der Innenminister dazu erzählt, kam in der Regel Fehlanzeige. Es ist doch klar, was sich dort entwickelt. Das Erschrecken darüber kann doch nur ein Stück weit vorgetäuscht sein.

Wenn ich lese, gegen wen dort heute die Maßnahmen laufen, dann stelle ich fest, es sind Soldaten, Kommandeure, Richterinnen und Richter, Bundestags- oder Ex-Bundestagsangehörige der AfD – Sie müssen sich das anhören, es tut mir leid –,

(Widerspruch AfD) es sind aber auch Ärzte, es sind Polizistinnen und Polizisten, es sind Rechtsanwälte, es sind Piloten. Wenn man sich das anschaut, wäre es vielleicht einmal ein Grund, über die sogenannte Extremismustheorie nachzudenken. Denn das Problem, das wir haben, scheint doch in der Mitte dieser Gesellschaft zu sitzen.

(Zurufe AfD)

Herr Innenminister, genau dort sind Sie mit Ihren Sicherheitsorganen blind.

(Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Es bleiben tatsächlich viele offene Fragen, zu denen der Innenminister heute noch nichts gesagt hat: Warum wurde denn eigentlich so lange zugesehen, weggesehen und abgewartet? Ich hätte auch die Frage, das müssen wir einmal im Obleutegespräch diskutieren, warum diese Razzien seit Tagen in Telegram-Channeln diskutiert worden sind.

Zu alldem erklärt sich der Innenminister nicht. Deutlich auskunftsfreudiger ist das BKA. Wenn ich mir das Presseportal anschaue: Heute Morgen stehen dort deutlich mehr Informationen als das, was der Innenminister hier im Parlament zu berichten hat, und das finde ich tatsächlich ein Armutszeugnis.

(Beifall DIE LINKE)

Auch nach den heutigen Durchsuchungen bleibe ich bei meiner Aussage: Dieser Innenminister gefährdet die innere Sicherheit.

(Holger Bellino (CDU): Eine Frechheit!)

Denn spätestens mit der Ankündigung seiner Abdankung sind bei ihm offensichtlich alle rechtsstaatlichen Schranken gefallen: Video-Totalüberwachung ohne Kontrolle des Datenschutzes,

(Zuruf Holger Bellino (CDU))

KI-Fahndungssoftware, betrieben auf den Seychellen, Präventivhaft für Klimaschützer und eine durch nichts zu rechtfertigende inflationäre Ausweitung des Begriffs Terrorismus.

Meine Damen und Herren, spätestens jetzt wäre es die Aufgabe der GRÜNEN gewesen, die Notbremse zu ziehen. Aber der Koalitionsfrieden scheint Ihnen wichtiger zu sein als die Bürgerrechte.

(Beifall DIE LINKE)

Für den Innenminister scheint jeder Widerspruch staatsfeindlich zu sein, ob im Amt oder auf der Straße. Widersprechende Behördenleitungen ersetzt die Hessische Landesregierung durch politische Beamte.

(Zurufe Holger Bellino (CDU) und Dirk Gaw (AfD))

Dem Protest auf der Straße soll mit Videoüberwachung, Tasern, Präventivhaft und einer immer weiter militarisierten Polizei begegnet werden – nach dem Motto: alles Terroristen.

(Unruhe)

Von einer Bürgerinnen- und Bürgerpolizei entfernt sich Hessen mit diesem Haushalt immer weiter.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Holger Bellino (CDU))

Aber es gibt auch durchaus Sachen, die wir anerkennen möchten. Sie sind auch schon angesprochen worden. Anerkennen möchten wir die Mittel für die Umsetzung der Reformvorschläge der Expertinnen- und Expertenkommission. 49 neue Stellen in der HöMS, bei der Polizei und im Ministerium. Das ist – das will ich ausdrücklich sagen – zu begrüßen. Aber es ist eben auch bitter notwendig.

Ob dies aber bei einer solchen Fehler- und Führungskultur des Innenministers helfen wird, da habe ich berechtigte Fragezeichen. Von einer 360-Grad-Feedback-Kultur, von einem Dialog auf Augenhöhe sind Sie meilenweit entfernt. So wundert es auch nicht, dass es Schwarz-Grün nicht gelingt, die Aufgabe des Bürger- und Polizeibeauftragten zu besetzen. Da könnten Sie auch versuchen, die Stelle des Beraters oder der Beraterin für veganes Essen im Schlachthof zu besetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Die ans Licht gekommenen Skandale bei der Polizei – Stichworte: NSU 2.0, illegale Abfragen auf Polizeicomputern, rechtsextreme Chatgruppen, ein unsäglicher Korpsgeist, eine Kultur des Wegschauens, des Sich-gegenseitigDeckens und Vertuschens – werden das Erbe dieses Innenministers sein. Hier hilft auch nicht mehr Geld. Hier kann nur ein neuer Innenminister helfen.

(Beifall DIE LINKE und Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Sie planen Mehrausgaben in Höhe von 2,8 Millionen € für den Ausbau der Videoüberwachung. Angesichts der von Ihnen in der HSOG-Reform geplanten massiven Ausweitung der Überwachung ist das nicht verwunderlich. Es ist trotzdem grundfalsch.

Meine Damen und Herren, es ist grundfalsch; denn Sie wollen Flughäfen, Personenbahnhöfe, Sportstätten, Einkaufszentren, Packstationen – habe ich irgendetwas vergessen, vielleicht wird die Liste noch länger – zukünftig anlasslos überwachen können. Da sage ich nur: Big Brother lässt grüßen. – Aber ich verspreche Ihnen: Dies wird bei uns und bei vielen Menschen in Hessen auf einen entschiedenen Widerstand treffen.

(Beifall DIE LINKE)

Beim Verfassungsschutz planen Sie fünf neue Stellen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus und für IT-Experten. Ja, dass das Landesamt für Verfassungsschutz insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus einen riesigen Nachholbedarf hat, ist unbestritten. Allerdings ist das Problem beim Landesamt für Verfassungsschutz deutlich größer als bei der Polizei. Während bei der Polizei zur Problembehebung Reformen vielleicht helfen könnten, sind wir uns als LINKE sicher: Beim Landesamt für Verfassungsschutz helfen keine Reformen mehr. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat kein Problem, das Landesamt für Verfassungsschutz i s t das Problem.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe AfD)

Deshalb fordern wir die Auflösung dieses Amtes. Wir fordern als Ersatz dafür eine unabhängige Beobachtungsstelle für Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wir werden dies auch mit entsprechenden Haushaltsanträgen unterlegen.

(Beifall DIE LINKE)

Präsidentin Astrid Wallmann:

Herr Felstehausen, ich darf Sie kurz an die Redezeit erinnern.

Torsten Felstehausen (DIE LINKE):

Danke schön für den Hinweis. – Meine Damen und Herren, mit ursächlich für die Skandale ist auch die strukturell herbeigeführte Überforderung der eingesetzten Polizistinnen und Polizisten. Durch ein stetig wachsendes Aufgabenspektrum kommt es zu immer mehr Überstunden, die nicht abgebaut werden können. Zeit und Geld für dringende Reflexion, für Supervision oder für Schulungen bleiben ohnehin nicht. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Sicherheitsbehörden ist für das Gelingen aber dringend notwendig. Reformen müssen auch an dieser Stelle angesetzt werden.

Dabei geht es für uns als LINKE hauptsächlich um zwei Aspekte: um die Arbeitszeit und die Bezahlung bzw. die Besoldung. Die Probleme der Überlastung und zu niedriger Bezahlung treffen nicht nur Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Es ist ein ressortübergreifendes, ein strukturelles Problem, vor dem die Hessische Landesregierung ihre Augen verschließt.

Die 41-Stunden-Woche für Landesbeamte ist im Bundesvergleich einmalig hoch. Es sind eben diese Arbeitsbedingungen, die zu Frust und Erschöpfung beitragen. Da helfen auch keine Imagekampagnen. Wenn wir das ändern wollen, dann brauchen wir nicht nur Sonntagsreden, Applaus und warmen Dank. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, und daher werden wir auch in diesem Jahr den Antrag stellen, die Regelarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte auf 40 Stunden zu senken, natürlich bei vollem Personalausgleich.

Wir haben in diesem Haus schon viel über die verfassungswidrige Besoldung unserer Beamtinnen und Beamten diskutiert. Dass Sie hier einen Haushalt vorlegen, in dem die Besoldung zwar höher, aber immer noch verfassungswidrig ist, das ist aus unserer Sicht skandalös. Eine solche Landesregierung haben die hessischen Beamtinnen und Beamten nicht verdient.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich komme mit noch einem Aspekt zum Schluss. Auch in Zeiten von Krise und sozialer Unsicherheit haben Sie nicht den Mut, auf die hessischen Bürgerinnen und Bürger zuzugehen. Es wird wieder einmal DIE LINKE sein, die den Antrag stellt, endlich auch in Hessen die ungerechten Straßenausbaubeiträge abzuschaffen und so einen jahrzehntelangen Konflikt mit Tausenden von gebeutelten Anwohnerinnen und Anwohnern zu befrieden.

(Zuruf Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Meine Damen und Herren, Innenpolitik darf die Menschen in Hessen nicht spalten. Sie muss zurückkommen auf den Boden unserer Verfassung; denn innere Sicherheit und soziale Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille, die wir nicht länger gegeneinander ausspielen lassen dürfen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)