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Rede

Torsten Felstehausen - Skandal um HessenData und Sicherheitsgesetze in Hessen

Torsten FelstehausenDaten- und VerbraucherschutzJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 136. Plenarsitzung am 27. Juni 2023 diskutierte der Hessische Landtag über einen Entwurf der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung sicherheitsrechtlicher Vorschriften und zur Umorganisation der hessischen Bereitschaftspolizei. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Wenn wir uns vor Augen führen, was dazu geführt hat, dass wir vor über einem Jahr die erste Lesung hatten und heute die zweite Lesung haben, dann ist es doch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wodurch klar wurde, dass weite Teile des ursprünglich von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfs schlicht und ergreifend verfassungswidrig waren.

Umso schockierender ist, dass ein großer Teil der Anzuhörenden auch während der zweiten Anhörung, die danach durchgeführt wurde, sagte, dass weiterhin Regelungen verfassungswidriger Art in Ihrem Gesetzentwurf enthalten sind.

(Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD): Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, da fragt man sich doch wirklich: Wie flach kann eigentlich die Lernkurve eines Innenministers sein?

(Beifall DIE LINKE)

Das beste Beispiel hierfür ist § 14, der gerade schon von Herrn Bauer angesprochen wurde. Es geht um Videoüberwachung. Hier wird eine Rechtsgrundlage für Videoüberwachung an sogenannten „besonderen Orten“ geschaffen. Was sind besondere Orte? Schauen wir es uns an. Das sind Flughäfen und Personenbahnhöfe – einmal abgesehen davon, dass die hessische Polizei dafür gar nicht zuständig ist –, außerdem Sportstätten, Einkaufszentren und Packstationen.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Wenn man das durchgeht, findet man eine ganze Menge Orte, an denen es Packstationen, Einkaufszentren und Sportstätten gibt. Wie viele sind es aber genau, und wie ist es zu definieren? Was ist ein Einkaufszentrum? Ist es auf dem Dorf schon der Schlachter und die örtliche Sparkasse, oder wie definiert man das?

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Wir haben die Landesregierung das einmal mit einer Kleinen Anfrage gefragt. Die Antwort war mehr als dünn. Die Landesregierung konnte nicht mitteilen, wie viele Sportstätten, wie viele Einkaufszentren wir haben und wie genau das zu definieren ist.

Das macht sehr deutlich, wohin Sie mit Ihrem Gesetzentwurf zur Videoüberwachung an sogenannten besonderen Orten gehen wollen: zu einer flächendeckenden und anlasslosen Überwachung. Es ist völlig unklar und erschließt sich überhaupt nicht aus dem Gesetzentwurf, auf welche empirischen Daten sich die Auswahl dieser Orte gestützt hat.

Es gab zwar in Ihrem Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf, den Sie selbst eingebracht haben, die Abkehr von der sogenannten Fiktionsregel, dass alle diese Orte gefährlich seien. Ursprünglich wurde gesagt, die Videoüberwachung an diesen Orten sei grundsätzlich immer gegeben. Was Sie jetzt gemacht haben, ist: Sie führen eine Beweislastumkehr ein. Was Sie aber übersehen haben, meine Damen und Herren, oder was Sie vielleicht nicht wahrhaben wollen: Wir sind hier im Bereich des öffentlichen Rechts. Voraussetzung für Grundrechtseingriffe sind von Amts wegen zu ermitteln. Die nun eingebaute Beweislastumkehr ist damit schlicht und ergreifend verfassungswidrig.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen sagen: Als LINKE werden wir uns weiterhin gegen alle Formen dieser Totalüberwachung an völlig undefinierten Plätzen einsetzen und dagegen kämpfen.

Warnen können wir auch nur vor einer anderen Regelung, die in diesem Gesetzespaket versteckt ist und die Sie heute präsentieren. § 13a sieht jetzt wieder eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz zur Beurteilung der Zuverlässigkeit von staatlichen Bediensteten mit Vollzugsaufgaben vor. Die Absicht dahinter, die Institutionen vor der Infiltrierung durch Menschen mit rechtem Gedankengut zu schützen, dieses Ziel unterstützen wir. Ich glaube, da gibt es keine unterschiedlichen Meinungen zwischen dem Gesetzeseinbringer und uns. Aber der Weg, den Sie hier einschlagen, ist schlicht und ergreifend falsch.

Eine solche Regel hatten wir bereits einmal in Hessen. Die Regelanfrage, der sogenannte Radikalenerlass – die Älteren mögen sich noch erinnern – führte in den Siebzigerjahren dazu, dass fast ausnahmslos politisch links orientierte Menschen nicht in ein Beamtenverhältnis eintreten konnten oder aus diesem entfernt wurden. Die Folgen waren Arbeitslosigkeit der Betroffenen, heute häufig verknüpft mit Altersarmut und ähnlichen Auswirkungen.

Meine Damen und Herren, auch das politische Klima wurde durch diese Regelanfrage beschädigt. Nicht wenige trauten sich nicht mehr, an Demonstrationen teilzunehmen oder für Parteien und Listen, die potenziell ins Visier des Verfassungsschutzes geraten könnten, zu kandidieren. Was ursprünglich gedacht war, um Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst herauszuhalten, verdrängte nicht nur keine Nazis, sondern es griff zugleich das kritische Denken in der Gesellschaft an. Die Nachwirkungen dieses Klimas der Angst existieren noch heute.

Meine Damen und Herren, wir müssen aber nicht so weit zurückblicken. Auch der NSU oder der Mord an Dr. Walter Lübcke lehrte uns doch, dass der Verfassungsschutz nicht willens oder nicht in der Lage ist, die rechten Gefahren erfolgreich zu identifizieren.

(Holger Bellino (CDU): Unverschämtheit! – Weitere Zurufe CDU)

Jetzt diesem Organ eine Definitionsmacht zukommen zu lassen, ist wirklich aberwitzig.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU)

Mit dem Blick nach Bayern sehen wir, was passiert, wenn solche Sicherheitsgesetze neue Eingriffsmöglichkeiten bieten. Ich sage nur: bundesweite Hausdurchsuchungen bei der „Letzten Generation“ mit der Begründung: kriminelle Vereinigung,

(Zurufe AfD)

Eingriffe in die Pressefreiheit durch Telefonüberwachung oder willkürliches Stilllegen von Webseiten.

Als LINKE sagen wir klar: Staatliches Handeln braucht eine kritische Begleitung und kein Untertanendenken. Daher lehnen wir diese Änderungen der sicherheitspolitischen Vorschriften ab. Wir werden in aller Ruhe abwarten, bis auch dieses Gesetz in Karlsruhe scheitern wird. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)