Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Treten Sie endlich in einen Dialog mit den Gewerkschaften ein"

Hermann Schaus

Zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE "Dienst-Unrechts-Reform zurück auf Null – Pension mit 67 genauso unsinnig wie Rente mit 67"

Zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE "Dienst-Unrechts-Reform zurück auf Null – Pension mit 67 genauso unsinnig wie Rente mit 67"

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wenn ich mir den Raum so anschaue, stelle ich fest, dass die Fragen hinsichtlich der Bediensteten des Landes Hessen – immerhin sind es 150.000 – in vielen Fraktionen wohl keine Priorität genießen. Möglicherweise ist das Mittagessen wichtiger, als über die Arbeits- und Lebensbedingungen derer zu diskutieren, die man hier regelmäßig sozusagen reflexartig lobt und denen man dankt.

Meine Damen und Herren, der von der Landesregierung erarbeitete und von den Fraktionen der CDU und der FDP unter Umgehung der Bestimmung des §110 Hessisches Beamtengesetz eingebrachte Gesetzentwurf zur sogenannten Modernisierung des Dienstrechtes in Hessen ist rechtlich ungenügend. Vom Verfahren her ist das ein Affront gegenüber den Sozialpartnern, denen Herr Ministerpräsident Bouffier in seiner Regierungserklärung einen konstruktiven Dialog angeboten hat sowie gegenüber den 103.000 Beamtinnen und Beamten des Landes Hessen.

Es wird darüber hinaus, beschäftigungspolitisch gesehen, ein Fehlschlag werden, der seinesgleichen suchen wird. Deshalb trägt unser Entschließungsantrag auch den Titel: Dienst-Unrechts-Reform zurück auf Null – Pension mit 67 genauso unsinnig wie Rente mit 67.

Wer ist denn von der Regierung da? – Viele sind es nicht.

Wenn Sie als Ministerpräsident – ich spreche jetzt Herrn Bouffier an, der leider nicht anwesend ist – tatsächlich eine Politik für die Menschen in Hessen machen wollen, dann müssten Sie eigentlich unser Anliegen unterstützen und dürften den in Ihrem früheren Haus auf Ihre Veranlassung entstandenen Gesetzentwurf nach der massiven Kritik der Gewerkschaften und Verbände in der Anhörung des Innenausschusses nicht weiter aufrechterhalten.

– Herr Bellino, ich habe gedacht, dass Sie auch dagewesen waren. Dann haben Sie doch mitbekommen, dass außer den Kommunalen Spitzenverbänden, die sozusagen die Arbeitgeberposition vertreten, keiner der geladenen Sachverständigen ein gutes Haar an Ihrem Gesetzentwurf gelassen hat.

Herr Bouffier, ich erinnere Sie daran, dass Sie als Innenminister exakt das Gegenteil von dem zu verantworten hatten, was Sie in Ihrer Regierungserklärung angekündigt haben. Sie haben am Dienstag gesagt, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse. Sie haben sich bei den Beschäftigten des Landes Hessen für ihre hervorragende und engagierte Leistung bedankt. Sie haben die Gewerkschaften zum Dialog aufgerufen. Sie betreiben aber genau das Gegenteil. Denn mit dem ersten Teil der Dienstrechtsreform wollen Sie die Beschäftigten schlicht und ergreifend ein weiteres Mal abzocken.

Sie haben weder das von Ihnen persönlich zugesagte Beteiligungsverfahren eingeleitet noch Ihre inhaltlichen Versprechungen eingehalten. Stattdessen wurden Ihre Fraktionen vorgeschickt, um die Arbeitszeiten der Beschäftigten noch einmal zu verlängern. Dieses Mal geht es um immerhin zwei Jahre, also um mehr als 3.400 Arbeitsstunden. Das soll ohne jeglichen Ausgleich geschehen.

Hessische Beamtinnen und Beamte hätten dann mit 42 Stunden nicht nur die längste Wochenarbeitszeit überhaupt, sondern zugleich auch die längste Lebensarbeitszeit in ganz Deutschland. Nur in Hessen sollen Feuerwehrmänner und Polizisten auch noch mit 62 Jahren einen gefährlichen, körperlich belastenden und aufreibenden Dienst verrichten. Weil Sie wissen, dass die Beamtinnen und Beamten das gar nicht schaffen können, spekulieren Sie darauf, dass diese massive Abschläge von bis zu 18% bei der Pension hinnehmen und freiwillig vorzeitig ausscheiden.

In anderen europäischen Ländern ist mit 55 Jahren Schluss. Denn jedem vernünftigen Menschen ist klar, dass man so einen Dienst mit 60 Jahren eigentlich schon nicht mehr machen kann. In Hessen aber sollen Lehrerinnen und Lehrer mit über 67 Jahren noch vor der Schulklasse stehen und ihre potenziellen Enkel oder Urenkel unterrichten.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rechnet vor, dass durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit über 2.000 Stellen für die Einstellung junger Lehrkräfte verloren gehen werden. Dies soll geschehen, obwohl die Lehrerschaft bereits jetzt schon überaltert ist.

Die Gewerkschaft der Polizei schildert, dass die Polizistinnen und Polizisten auf 4 Millionen Überstunden sitzen, dass ältere Kolleginnen und Kollegen schon jetzt nicht mehr im Tagesdienst aufgefangen werden können und dass die jüngeren Kolleginnen und Kollegen das nicht mehr kompensieren können. Die unvergleichlich hohe Wochenarbeitszeit, die Schichtdienste und die Sondereinsätze seien mit einer Familienplanung nicht mehr in Einklang zu bringen. Gleiches kann man auch von der Gewerkschaft ver.di hören, die, unterstützt von den Feuerwehrverbänden, mit Recht darauf hinweist, dass schon derzeit keine anderen Stellen zu Integration älterer und nicht mehr einsatztauglicher Feuerwehrmänner und langjähriger Berufsfeuerwehrbeamten vorhanden sind.

Herr Ministerpräsident, auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den Bedingungen im hessischen Bildungssystem machen Sie exakt das Gegenteil von dem, was Sie als vermeintlicher Landesvater angekündigt haben. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass derzeit schon zwei Drittel aller Beschäftigten Hessens das Rentenalter von 65 Jahren nicht erreichen. Im Schuldienst sind es sogar 90%. Aber das interessiert Sie beim Sparen bei den Landesbeschäftigten nicht.

Der Beamtenbund spricht von Null Akzeptanz bei den Beschäftigten. Die Beamtinnen und Beamten dürfen weder für die miese Haushaltsführung der Landesregierung, die Steuersenkungspolitik der Bundesregierung noch für die Fehlleistungen der Finanzbranche verantwortlich gemacht werden. Sie aber machen das Gegenteil. Sie halten in Hessen Ihre schützende Hand über die Finanzbranche und peilen im Bund die nächsten Steuersenkungen an. Aber die Hinweise, dass Sie mit Ihrer Unrechtsreform nicht einmal die gewünschten Einsparungen erzielen werden und dass diese weder europafest noch rechtssicher sein wird, laufen scheinbar ins Leere.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen wollen, dann lassen Sie diese unsozialen Sparorgien auf dem Rücken der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Hessen, und treten Sie endlich in einen Dialog mit den Gewerkschaften ein. Machen Sie das doch einfach – die Beschäftigten, die Sozialpartner, warten seit Jahren darauf.

Sie erwarten – die Sozialpartner, die Gewerkschaften – nämlich keine Sonntagsreden, sondern konkrete Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf statt eines Diktats des lebenslangen Schichtdienstes bei einer 42-Stunden-Woche. Sie erwarten flexible Instrumente zum Ein- und Ausstieg aus dem Arbeitsleben statt der ersatzlosen Abschaffung der Altersteilzeitregelung. Und sie wollen ihre Erfahrungen und Kenntnisse in den Dienst einbringen können, statt die Abschaffung ihrer Mitbestimmungsrechte länger hinzunehmen.

Meine Damen und Herren, seit der Föderalismusreform im Jahre 2006, die damals von Hessen maßgeblich vorangetrieben wurde, liegen diese und viele weitere Anforderungen an das Dienstrecht in Hessen auf dem Tisch. Die Gewerkschaften und alle Initiativen unserer Fraktion wurden seither mit den Ankündigungen zurückgewiesen, das käme alles in einer großen Dienstrechtsreform im Jahre 2009.

Nach vier Jahren haben Sie nichts neu geregelt, außer dass die Beschäftigen nun noch länger arbeiten sollen. Das ist ein absolutes Armutszeugnis, Herr Innenminister a. D.

Verarbeiten Sie die aktuelle Rechtsprechung. Machen Sie die Dienstrechtsreform europafest. Geben Sie den Beschäftigten Spielräume zurück, damit sie ihr Wissen, ihre individuellen Fähigkeiten einbringen und den Dienst mit ihrer persönlichen Lebensplanung vereinbaren können. Unser Antrag ist ein Angebot an die Regierungsfraktionen und den neuen Innenminister.

Herr Innenminister, ich hoffe, es wird in Ihrer Antwort zu mehr reichen als nur zu der altbackenen Phrase: Das ist nicht finanzierbar.

Was wir wollen ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als gleiche Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, wie sie im Tarifbereich und in den meisten anderen Bundesländern üblich sind. So soll es auch in Hessen sein. – Vielen Dank.