Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Ulrich Wilken - Eine umfassende Aufklärung Korruptionsskandal in der Generalstaatsanwaltschaft I

Ulrich Wilken
Ulrich WilkenJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 51. Plenarsitzung am 2. September 2020 diskutierte der Hessische Landtag über den Korruptionsskandal in der Generalstaatsanwaltschaft. Dazu die erste Rede unseres rechtspolitischen Sprechers Ulrich Wilken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrte Volksvertreterinnen und Volksvertreter des „‚Problembundeslandes‘ in Sachen Polizei und Justiz“!

– Das war ein Zitat aus dem Antrag der SPD.

(Zuruf Manfred Pentz (CDU))

Der Rechtsstaat in Hessen ist offensichtlich unter Druck. In die Gemengelage zwischen Rechtsextremisten in der hessischen Polizei, dem Versagen der Behörden im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau und den vergeigten Ermittlungen rund um die Drohschreiben seitens NSU 2.0 gehört jetzt auch noch ein Korruptionsskandal in der Staatsanwaltschaft – ausgerechnet eine Korruptionsaffäre in der Staatsanwaltschaft, die Korruption im Gesundheitswesen verfolgen sollte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Regierungsfraktionen, Sie kommen in Ihrem Antrag zu dem Schluss – ich zitiere –: „Der Rechtsstaat funktioniert!“ – Meine Damen und Herren, gehts noch? Hut ab vor Ihrer Effizienz, Zielgenauigkeit und Geschwindigkeit: Just eine Minute, bevor wir diesen Tagesordnungspunkt aufgerufen haben, nach wochenlangen Reden darüber, Berichten in Medien, einer Sondersitzung des Rechtspolitischen Ausschusses, die die SPD und wir beantragt hatten, wird ein Antrag von Ihnen auf die Tagesordnung genommen. Das nenne ich zielgenau. Hut ab dafür.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Einmal unabhängig von der Lobhudelei, die Ihren Anträgen sowieso immer innewohnt und – leider, muss ich sagen – auch der Justizministerin eigen ist, will ich einmal deutlich machen: Was jetzt geschehen muss, ist, Verantwortung dafür zu übernehmen, was schiefgelaufen ist, klarzumachen, was geändert werden muss, wozu es eine schonungslose Offenlegung aller Verfehlungen braucht, die bisher schon bekannt sind – ich schließe mich meinem Vorredner an: wir wissen wahrscheinlich noch gar nicht alles, was bekannt ist –, und vor allen Dingen muss es dann auch geändert werden.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Noch einmal ganz deutlich, Frau Ministerin Kühne-Hörmann: Politisch ist das Ihre Verantwortung. Es geht nicht um die Unabhängigkeit der Justiz, sondern es geht um Ihre Aufsichtsverantwortung für die Staatsanwaltschaft.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Jürgen Lenders (Freie Demokraten))

Der jetzt in Untersuchungshaft sitzende Oberstaatsanwalt Alexander B. hat von seinen eigenen Ermittlungen finanziell profitiert. Dass das möglich war, ist eine Frage der Organisation innerhalb der Staatsanwaltschaft gewesen, Stichwort – es ist schon gefallen – Vieraugenprinzip.

Meine Damen und Herren, wenn Sie mir bzw. uns allen jetzt aufschreiben, das sei für Sie vollkommen überraschend und undenkbar, dass so jemand korrupt wird: Entschuldigen Sie bitte, aber genau deswegen ist im internationalen Maßstab das Problem Korruption erkannt worden, und eine Maßnahme, um es abzuweisen, ist das Vieraugenprinzip bei der Vergabe von Aufträgen. Warum wurde das in Hessen nicht angewendet? Das müssen Sie einmal erklären.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Marion Schardt-Sauer (Freie Demokraten))

Ich sage noch einmal ganz deutlich: Die Verantwortung hierfür liegt ganz klar im Justizministerium – und damit am Ende bei Frau Kühne-Hörmann. Wir brauchen hier viel transparentere Verfahren.

(Beifall DIE LINKE)

Nun weiß ich auch, dass sich bei Transparenz und der CDU noch immer zwei Welten begegnen. Wir wissen auch, dass bei der Polizei keiner so genau weiß, wer dort welche Datenabfrage macht. Jetzt haben wir festgestellt, dass man in der Staatsanwaltschaft 15 Jahre lang nicht wirklich weiß, wieso bzw. dass überhaupt immer dasselbe Unternehmen beauftragt wird. Das ist ungefähr das andere Ende von Transparenz – deutlicher will ich da nicht werden.

Aber wir müssen – das ist unsere Aufgabe als erste Gewalt in diesem Staat – auf diese strukturellen Probleme hinweisen, und wir müssen ganz klar sagen: Wer heute noch vermutet, das seien „bedauerliche Einzelfälle“, der hat den Schuss nicht gehört. Dieses Wort will ich auch in diesem Zusammenhang nie wieder hören.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wenn keine Kontrollmechanismen vorhanden sind, dann muss ich noch nicht einmal Kontrollmechanismen umgehen. Dann die Vermutung auszusprechen, es sei ein Einzelfall, wenn man davon profitiert, dass es keine Kontrollmechanismen gibt, das ist blauäugig oder – – Mehr sage ich lieber nicht.

15 Jahre konnten diese Machenschaften andauern und – das muss man in diesem Zusammenhang auch noch einmal sagen – würden noch andauern, wenn nicht aus dem privaten Umfeld des Beschuldigten eine Anzeige erfolgt wäre. Es ist ja nicht so, dass innerstaatsanwaltschaftliche Ermittlungen das aufgedeckt hätten. Stattdessen ist es eine Anzeige aus dem privaten Umfeld des Beschuldigten gewesen.

(Marion Schardt-Sauer (Freie Demokraten): Sex and Crime!)

Uns ist auch klar, dass die Ermittlungen noch laufen. Aber wir müssen doch jetzt die Frage stellen, inwieweit die Möglichkeit der Bereicherung an einem Verfahren auch Einfluss auf die Verfahren bzw. den Abschluss des Verfahrens hatte. Es ist nun einmal Wesensbestandteil von Korruption, dass man versucht, Fälle herzustellen, an denen man verdienen kann. Deswegen muss dringend überprüft werden, ob die bereits abgeschlossenen Verfahren wieder aufgenommen werden müssen. Es müssen Zeugenvernehmungen bei den damaligen Beschuldigten und deren Verteidigern erfolgen. Zumindest in den Medien heißt es auch, Alexander B. habe Druck ausgeübt, damit die Beschuldigten der Einstellung von Verfahren mit Auflagen zustimmen. Wir wollen, dass das dringend aufgeklärt wird, damit auch an dieser Stelle kein Zweifel bleibt, dass die hessische Justiz hoffentlich irgendwann einmal wieder funktioniert.

Die erstatteten Gutachten müssen selbstverständlich inhaltlich geprüft werden, um den ganzen Schaden zu ermessen. Auch hier muss Licht ins Dunkel. Ich schließe mich der SPD inhaltlich voll an: Um den ganzen Schaden zu ermessen, der auch der Staatskasse entstanden sein kann – durch überteuerte oder vielleicht auch unnötige Gutachten bzw. Gutachtenerstattungen –, fordern auch wir das Einschalten des Landesrechnungshofs.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ein letzter Gedanke. Bei all dem, was uns jetzt klarer bewusst wird, was für ein Problem wir bei der Gutachterbeauftragung mindestens des Alexander B. haben, will ich ganz deutlich sagen: Ich stelle nicht das Gutachterwesen prinzipiell infrage. Da unterscheiden wir uns von den Positionen, die Herr Kummer hier vorgetragen hat. Aber wir müssen sicherstellen, dass die Gutachtenvergabe sauber erfolgt und dass sich die Gerichte, die aufgrund der Gutachten urteilen, auf die Sauberkeit und inhaltliche Richtigkeit der Gutachten verlassen können. Das muss wiederhergestellt werden. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)