Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Ulrich Wilken - Einrichtung von Sonderdezernaten vertieft Gräben zwischen Staat und Gesellschaft

Ulrich WilkenJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 126. Plenarsitzung am 26. Januar 2023 diskutierte der Hessische Landtag zur flächendeckenden Einrichtung von Sonderdezernaten zur Strafverfolgung von Straftaten gegen Amtsträger. Dazu die Rede unseres rechtspolitischen Sprechers Ulrich Wilken.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Alle Menschen müssen nachhaltig vor Gewalt geschützt werden. Das möchte ich voranstellen, weil es so selbstverständlich ist.

(Manfred Pentz (CDU): Ich sage nur: Blockupy! – Zuruf Freie Demokraten: EZB!)

Hierum geht es Ihnen aber offensichtlich nicht. Die Einrichtung der Sonderdezernate ist aus unserer Sicht ein weiterer Schritt auf dem Holzweg, der im Bereich der Gewalt gegen Amtsträger seit Jahren beschritten wird. Die schon seit geraumer Zeit geführte Debatte über einen stärkeren Schutz insbesondere von Angehörigen der Polizei und der Rettungskräfte ist durch ein hohes Maß von Emotionen, rechtspolitischem Wunschdenken und damit zwangsläufig leider auch von Unsachlichkeit geprägt.

Auf dieser Welle schwimmt jetzt auch die Einrichtung der Sonderdezernate in den Staatsanwaltschaften. Bereits im Jahr 2017 wurde eine aus unserer Sicht, und damals auch noch von der FDP kritisierte, völlig unangemessene und überhaupt nicht zielführende Strafverschärfung vorgenommen. Die damalige Strafverschärfung war weder geeignet, mehr Schutz durch höhere Strafandrohung zu erreichen, noch erforderlich.

Jetzt argumentieren Sie, dass in den vergangenen zwei Jahren Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder des tätlichen Angriffs erheblich zugenommen hätten, nämlich um 7 %. Da müssen wir herausrechnen, dass öffentliche Aufmerksamkeit in aller Regel die Zahl von Anzeigen erhöht.

Weiter argumentieren Sie, dass die Anklagen wegen dieser Delikte zugenommen hätten, ein besonderer Anstieg von 2020 bis 2022 von 593 auf 695. Aber tatsächlich zu Freiheitsstrafen verurteilt wegen dieser Delikte sind 2022 im Vergleich zu 2020 sechs Personen mehr.

(Zuruf AfD: Das ist genau das Problem!)

– Das sagen Sie. Das sehen wir aber nicht so.

(Robert Lambrou (AfD): Das sagen wir von der AfD!)

Selbstverständlich ist jeder Angriff einer zu viel.

(Robert Lambrou (AfD): Aha! Das kommt aber sehr spät!)

Hier müssen wir gegensteuern. Da bin ich ganz bei Ihnen.

(Holger Bellino (CDU): Hufeisentheorie!)

Im gesellschaftlichen Diskurs herrscht aber mittlerweile das völlig unzutreffende Bild vor, dass es in hohem Maße völlig anlasslose Angriffe auf Polizeibeamte gäbe, als würden ständig Bürger ohne jeglichen Bezug zu einer Vollstreckungsmaßnahme Polizeibeamte angreifen. Das ist völlig realitätsfern. Dem müssen wir entgegentreten.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Volker Richter (AfD))

Es gäbe viele sinnvolle Maßnahmen, um Konfliktlagen zwischen Bürgern und Polizei vorzubeugen und diese zu entschärfen. Das müssen wir an anderer Stelle, aber nicht in einer kurzen Rede in einer Aktuellen Stunde diskutieren.

(Robert Lambrou (AfD): Das sparen Sie jetzt aus! Wie angenehm für Sie!)

Mit der populistischen flächendeckenden Einrichtung von Sonderdezernaten ist ein politisches Signal verbunden, das die Spaltung in der Gesellschaft eher verschärft und verstärkt als den Zusammenhalt wiederherstellt.

(Robert Lambrou (AfD): Wollen Sie Narrenfreiheit für Linksradikale?)

Sie wollen, dass, wenn Amtsträger Opfer von Straftaten werden, die daraufhin geführten Verfahren prioritär zu behandeln sind. Das verstärkt doch eher die Spaltung von Staat und Gesellschaft, wenn es Opfer erster und zweiter Klasse gibt. Warum richten Sie nicht endlich Sonderdezernate für häusliche Gewalt ein, wie wir sie in anderen Bundesländern haben? Warum richten Sie keine Sonderdezernate für Femizide ein? Wo wollen Sie den Schwerpunkt besonders schützenswerter Personengruppen bilden?

(Robert Lambrou (AfD): Sie meinen Ehrenmorde! Dann nennen Sie es doch auch so!)

Handlungsleitend muss doch sein, dass dort, wo ein Straftatbestand existiert, auch eine kurzfristige Strafverfolgung passiert, und zwar in jedem Fall. Wir brauchen genügend Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter. Im Prinzip zeigen Sie durch die Einrichtung der Sonderdezernate vor allem eines, nämlich, dass Sie nicht genug Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben und deshalb Strafverfahren priorisieren müssen. Das tun Sie aber nicht anhand der Schwere der Delikte, sondern aufgrund des Berufes der Opfer. Dabei lassen Sie sich von einer emotionalen gesellschaftlichen Debatte leiten. Das ist brandgefährlich.

(Beifall DIE LINKE)