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Rede

Ulrich Wilken - Rassistische Äußerungen eines Verwaltungsrichters stören den öffentlichen Frieden

Ulrich Wilken - Rassistische Äußerungen eines hessischen Verwaltungsrichters stören den öffentlichen Frieden

Ulrich WilkenJustiz- und Rechtspolitik

In seiner 94. Plenarsitzung am 02. Februar 2022 diskutierte der Hessische Landtag unseren Antrag "Migrations- und integrationsfeindliche Äußerungen eines hessischen Verwaltungsrichters stören den öffentlichen Frieden". Dazu die Rede unseres rechtspolitischen Sprechers Dr. Ulrich Wilken.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mit einer Frage meiner grünen Vorrednerin beginnen. Sie hat in der Mitte ihres Beitrags gefragt: Was machen wir denn jetzt? – Wir machen das, was uns die Verfassung vorgibt, was wir als Parlament in einem solchen Fall tun sollen. Die Verfassung schreibt uns nicht vor, ein Fachgespräch im Rechtsausschuss zu organisieren, sondern der Auftrag an uns als Vertreter der ersten Gewalt ist in der Hessischen Verfassung ganz genau, aber anders beschrieben, als es eben aus grüner Sicht dargestellt worden ist.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Frau Förster-Heldmann, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie vorgekommen ist, dass Richteranklage erhoben wurde. Wir leben aber offensichtlich in ganz besonderen Zeiten der Erosion unserer Demokratie; das Thema, über das wir in diesem Raum gerade sprechen, ist dafür ein exzellentes Beispiel. Von daher gesehen, haben wir jetzt eine ganz andere Situation – eine, in der wir uns darüber verständigen müssen, was heute, im Jahre 2022, „wehrhafte Demokratie“ bedeutet.

Herr Kummer hat bereits darauf hingewiesen, welchen Auftrag eine „wehrhafte Demokratie“ – manchmal auch als „streitbare Demokratie“ beschrieben – hat. Es ist vollkommen klar und uns allen mit Sicherheit bewusst, dass es darum geht, die freiheitliche Ordnung konsequent zu verteidigen und keinen diese Ordnung bedrohenden Missbrauch der Grundrechte hinzunehmen. Das ist der Kern einer „streitbaren Demokratie“. Das ist auch für uns selbstverständlich, und das wird mit keiner Äußerung seitens der SPD oder seitens der LINKEN aus den letzten Wochen und auch hier im Hause infrage gestellt.

Die richterliche Unabhängigkeit ist grundlegendes Merkmal einer rechtsstaatlichen Rechtspflege, und durch die richterliche Unabhängigkeit wird selbstverständlich die für den Rechtsstaat unerlässliche Gewaltenteilung garantiert.

Dann stellt sich selbstverständlich die Frage: Was machen wir mit einem Richter – dessen Zitate hier schon erwähnt worden sind – in einer Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Justizministerin seit zwei Jahren weigert, die Begründungen aus diesem Urteil auch nur zu kommentieren? In der Zeitung durfte ich lesen, dass Sie, Herr Wagner, gesagt haben, Sie warten erst einmal ab, wie sich das Justizministerium dazu verhält.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das habe ich nicht gesagt!)

– Ich habe es gelesen. Wir müssen noch einmal nachschauen, ob Sie es gesagt haben.

Wir haben im Kern die Äußerung, „Migration tötet“ sei eine empirisch beweisbare Tatsache, und weitere sehr verstörende Zitate aus der Begründung des Urteils dieses Richters bereits im Dezember 2019 in einer Kleinen Anfrage an die Justizministerin erwähnt und um Kommentare gebeten. Darauf hat sie geantwortet, und alle in diesem Haus, die sich mit den Vorgängen und den Antworten auf Kleine Anfragen beschäftigen, konnten das seit gut zwei Jahren, seit Januar 2020, wissen. Die Justizministerin, Frau KühneHörmann, antwortete damals knapp, dass ihr als Vertreterin der Exekutive, also der zweiten Gewalt, eine Überprüfung oder Kommentierung von Gerichtsentscheidungen nicht zustehe. Aber, meine Damen und Herren, als erste Gewalt, als das Parlament, haben wir hierzu nicht nur das Recht, sondern nach der Hessischen Verfassung auch die Pflicht.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deswegen verweise ich noch einmal auf Art. 127 der Hessischen Verfassung: Wir benennen Richter erst dann auf Lebenszeit, wenn sie „die Gewähr dafür bieten, dass sie ihr Amt im Geiste der Demokratie und des sozialen Verständnisses ausüben werden“. Das wird durch das Justizministerium vorbereitet, und wir als Mitglieder des Richterwahlausschusses haben dann darüber zu entscheiden. In demselben Artikel unserer Hessischen Verfassung steht:

Erfüllt ein Richter nach seiner Berufung auf Lebenszeit diese Erwartungen nicht, so kann ihn der Staatsgerichtshof auf Antrag des Landtages seines Amtes für verlustig erklären und zugleich bestimmen, ob er in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen ist. Der Antrag kann auch vom Justizminister im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuss gestellt werden.

In beiden Varianten sind wir als Abgeordnete aufgefordert und verpflichtet, tätig zu werden, wenn wir eine Gefahr erkennen. Ich vermute, dass die große Mehrheit in diesem Haus durchaus erkennt, dass diese migrationsfeindlichen Äußerungen eines hessischen Verwaltungsrichters eine Gefahr für unsere Demokratie darstellen. Wenn wir gegen Äußerungen, die sich in der Nähe der Volksverhetzung bewegen, nicht konsequent – wenn auch strittig – vorgehen, frage ich mich: Was, glauben wir, muss eigentlich noch alles passieren, um zu erkennen, dass diese Antidemokraten unsere Demokratie kaputt machen wollen? – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)