Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Um von den eigentlichen Ursachen der Probleme in diesem Land abzulenken, wird über Menschen in Not Stimmungsmache betrieben"

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

Zustimmung im Bundesrat – Georgien, Algerien, Marokko und Tunesien müssen sichere Herkunftsstaaten werden (Antrag der Fraktion der Freien Demokraten, Ds. 20/61)

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich muss vorab erst einmal ein Missverständnis aufklären. Die FDP moniert in einem Antrag: CDU bricht Wahlversprechen – Hessen blockiert die sichere Drittstaatenlösung. In dem anderen Antrag werben Sie um die Zustimmung im Bundesrat, Georgien, Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Mit sicheren Drittstaaten sind aber die Staaten gemeint, in die man nach der Genfer Flüchtlingskonvention Menschen sozusagen zurück abschieben kann, wenn sich herausstellt, dass sie aus diesen Ländern gekommen sind. Sichere Herkunftsstaaten sind diejenigen, die durch Beschluss zu solchen erklärt wurden. Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern werden grundsätzlich als unbegründet abgelehnt.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Die FDP hat keine Ahnung!)

Da die sichere Drittstaatenlösung nirgendwo debattiert wird und es sich auch herausgestellt hat, dass Sie über die Maghrebstaaten reden wollen und es Ihnen darum geht, Georgien, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, bleiben wir jetzt bei diesem Thema. Wie Sie reinen Gewissens so etwas fordern können, ist für mich nicht nachvollziehbar, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP.

(Beifall DIE LINKE)

Menschenrechtsverletzungen wie Folter in Gefängnissen, Verfolgung von Homosexuellen, willkürliche Festnahmen, Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten, Einschränkung der hier so hochgepriesenen Meinungs- und Pressefreiheit, Verfolgung religiöser Minderheiten sind in diesen Ländern nach wie vor tagtägliche Realität. Amnesty International berichtet übrigens regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern. Hätten Sie sich eindringlicher mit diesem Thema beschäftigt, wären Sie vielleicht auch darauf gestoßen.

(Beifall DIE LINKE)

In Algerien wurden im Jahr 2017 z. B. friedliche Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen, weil sie auf Missstände in ihrem Land aufmerksam machen wollten. Homosexualität ist in diesen Ländern nach wie vor noch ein Straftatbestand. Wie kann man angesichts dieser Tatsachen behaupten, es sei dort keine Verfolgung zu befürchten? – Das ist mir schleierhaft.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie diese eindeutigen Tatsachen ignorieren und nach wie vor vehement versuchen, alternative Fakten zu schaffen, um Ihre  rassistische Gesinnung – will ich mal sagen – zu rechtfertigen. Anstatt sich um die tatsächlichen Probleme in diesem Land zu kümmern, wird wieder einmal auf dem Rücken der Flüchtlinge und der Menschen in Not Stimmungsmache betrieben.

(Widerspruch Freie Demokraten)

(Vizepräsident Frank Lortz: Frau Kollegin, darf ich Sie darauf hinweisen: Die Formulierung „rassistische Gesinnung“ gegenüber einer Fraktion oder einem Kollegen muss ich zurückweisen, die muss ich rügen. Bitte wägen Sie Ihre Worte etwas genauer.)

(Zuruf AfD)

Ich nehme diese Aussage zurück. Es ist aber immer wieder dasselbe Spiel. Um von den eigentlichen Ursachen der Probleme in diesem Land abzulenken, wird über Menschen in Not Stimmungsmache betrieben. – Das kann ich ja wohl noch sagen?

(Holger Bellino (CDU): Nicht „rassistisch“, merken Sie sich das einmal!)

Warum gibt es diesen Begriff der sicheren Herkunftsstaaten überhaupt? Wir wollen kurz erinnern. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten wurde in den Neunzigern eingeführt, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu einer Zeit, in der die Stimmung ähnlich rassistisch wie heute aufgeladen war und wo es zu Pogromen –

(Holger Bellino (CDU): Unerhört!)

(Vizepräsident Frank Lortz: Frau Kollegin, ich bitte Sie noch einmal, die Formulierung „rassistisch“ – )

(Janine Wissler (DIE LINKE): Nein, nein, nein!)

(– Fangen Sie nicht an, mit mir zu diskutieren. Mit dem Präsidenten wird nicht diskutiert. Ich bitte Sie, die Formulierung „rassistisch“ und „Rassismus“ nicht in diesem Zusammenhang zu gebrauchen.)

(Beifall CDU, Freie Demokraten und AfD)

Okay, ich kann es auch anders formulieren. Ich kann auch sagen: In einer Zeit, in der die Stimmung rechtsradikal aufgeladen war – das ist nicht zu leugnen –, als es zu rechtsradikalen Pogromen in den Städten Mölln und Solingen kam, wurde dieser Kompromiss geschlossen.

(Beifall DIE LINKE)

Im Rahmen dieses sogenannten Asylkompromisses wurde dieses Konzept der sicheren Herkunftsstaaten zwar eingeführt, hatte aber weitreichende Folgen für diese Menschengruppe. So wird der Rechtsschutz dieser Menschen massiv eingeschränkt, und es kommt zu massenhaften ungerechtfertigten Ablehnungen der Asylanträge. Für den Widerspruch gibt man diesen Menschen nur eine Woche Zeit – eine Woche Frist, damit sie Widerspruch einlegen können. Außerdem merken Sie hier an, dass auch bei Anerkennung als sicherer Herkunftsstaat jeder Einzelfall genau geprüft wird und das Grundrecht auf Asyl damit weiterhin gewährleistet sei. Ich sage Ihnen aber: Das Gegenteil ist der Fall. Bei Asylsuchenden aus diesen Ländern werden die Anträge mit der Begründung des sicheren Herkunftsstaates als unbegründet abgelehnt, wie uns allen bekannt ist. Zwar kann der Antragsteller Tatsachen vorbringen, die das Gegenteil beweisen. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass er damit durchdringt. Schließlich werden, wie gesagt, Eilverfahren stattfinden. Bestimmte Textbausteine des BAMF tun ihr Übriges, wenn es um Menschen aus diesen sogenannten sicheren Herkunftsstaaten geht.

(Vizepräsident Frank Lortz: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.)

Daher sagen wir, das Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten muss insgesamt abgeschafft werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall DIE LINKE)

(Vizepräsident Frank Lortz: Frau Kollegin, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.)

Ein Satz noch. – 2 % der Antragsteller – das muss man sich vor Augen führen – stammen aus diesen Ländern. Und das soll jetzt die phänomenale Zeitersparnis für die Behörden in unserem Land bringen? Das wage ich sehr zu bezweifeln.

Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)