Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Unser Dank gilt dem Bündnis gegen Naziaufmarsch und tausenden Bürgerinnen und Bürgern, die sich der braunen Horde entgegengestellt haben"

Hermann Schaus

Zur Aktuellen Stunde der Fraktion DIE LINKE "Stadt Wiesbaden und Polizei lassen Neonazis am 8. Mai marschieren – gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements"

 

Zur Aktuellen Stunde der Fraktion DIE LINKE "Stadt Wiesbaden und Polizei lassen Neonazis am 8. Mai marschieren – gegen die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements"

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ausgerechnet am 65. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus konnte eine faschistische Organisation in Wiesbaden aufmarschieren. Damit des Schlimmen nicht genug waren darüber hinaus die Umstände dieses Aufmarschs skandalös.

Wer sagt, auch faschistische Organisationen hätten das Recht auf freie Meinungsäußerung, der verkennt den mahnenden Auftrag von Auschwitz – Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! –, der sich im Potsdamer Abkommen, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und in unserem kulturpolitischen Erbe niedergeschlagen hat. Weil Hitler-Deutschland bestialische Verbrechen über die ganze Welt gebracht hat, können und dürfen wir es niemals ignorieren, wenn heute oder morgen Hitlers Erben antreten, um die Opfer von damals zu schänden, und unser aller Freiheit und Würde bedrohen.

Damit keine Zweifel an den Absichten der Faschisten bestehen, muss ich auf Folgendes hinweisen.
Die Faschisten brüllten die Parole: "Nie wieder Israel!", wenn sie ihr genehmigter Marsch an Stolpersteinen – einem Ort des Gedenkens an ermordete Erbenheimer Juden – vorbeiführte. Dabei trugen sie die verbotenen SS-Totenköpfe auf ihrer Brust.

Der bekennende Nazi Udo Pastörs wiederholte in einer Rede genau jene Aussagen, deretwegen er nur zwei Tage zuvor wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Er forderte unter anderem "den Maximalschaden für den deutschen Parteienstaat", bezeichnete Zuwanderer als "Samenkanonen" und den Bundestag als "Knesset an der Spree". Trotzdem schritt die Polizei nicht ein.

Daher fordert unser Antrag den Landtag dringend auf, diesen Aufmarsch und die Ziele der Faschisten auf das schärfste zu verurteilen.

Unser Dank gilt dem Rhein-Main-Bündnis gegen Naziaufmarsch, dem mehr als 50 Organisationen angehören, sowie Tausenden Bürgerinnen und Bürgern, die Zivilcourage gezeigt und sich der braunen Horde entgegengestellt haben.

Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass das Wiesbadener Bündnis gegen Rechts Anzeige gegen Udo Pastörs wegen Volksverhetzung stellen will. Unseres Erachtens aber wäre es hier angebracht, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus hierzu ermittelt.

Während andere Städte versuchen, Naziaufmärsche zu verhindern, ist im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Mai nachzulesen, dass die Stadt Wiesbaden den Nazis bereits am 22. März in einem Kooperationsgespräch Erbenheim als Aufmarschgebiet zugesagt hat. Die Öffentlichkeit hingegen erfuhr dies erst Wochen später und wurde damit bewusst getäuscht.

Nun wird die Stadt Wiesbaden von den Nazis im Internet für ihr unerwartet kooperatives Verhalten gelobt, während gegen verantwortliche Herren des Wiesbadener Ordnungsamts ein Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragt wurde. Es ist beklemmend, wie das Wiesbadener Jamaikabündnis vorgegangen ist. Wir erwarten von allen politisch Verantwortlichen eine schonungslose Aufklärung dieser Kumpanei.

Die Polizei hatte offenbar die politische Order, den Naziaufmarsch unter allen Umständen durchzusetzen und dem friedlichen Gegenbündnis mit Härte zu begegnen. Diejenigen, die ein Zeichen für Demokratie und Toleranz setzen wollten, wurden teils gar nicht nach Erbenheim hineingelassen. Sie wurden Leibesvisitationen unterzogen, erkennungsdienstlich behandelt und im großen Stil abgefilmt. Wer dennoch im Kessel drin war, durfte dann zeitweise nicht mehr heraus. Genehmigte Veranstaltungen wie die der Gewerkschaft ver.di durften nicht besucht werden. Genehmigte Demonstrationsräume wurden unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray abgeriegelt.

Ich fordere den Innenminister auf, hier und jetzt zu erklären, warum gegen friedliche Demonstranten, die das Recht – ich sage sogar: die Pflicht – hatten, sich den Naziverbrechern entgegenzustellen, mit dieser Härte vorgegangen wurde. Ich bitte den Innenminister, hier und jetzt auch zu erklären, warum hingegen Herr Pastörs und vermummte und militante Nazis unbehelligt verbotene Symbole mit sich führen und unbehelligt volksverhetzende Reden halten durften – dies unter den Augen und Ohren der Polizei am Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus.

Lassen Sie mich sagen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Deshalb bitten wir um Unterstützung unseres Antrags. – Vielen Dank.