Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Zum Schutz der Bevölkerung brauchen wir Untersuchungen, die die Gesamtbelastung auf die Menschen beschreiben"

Hermann Schaus

Zur Einsetzung einer Enquetekommission "Fluglärmmonitoring und Gesundheitsschutz" bzw. "Gesundheitsschutz und umweltbedingte Gesamtbelastung in hessischen Ballungsräumen"

Zum Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Einsetzung einer Enquetekommission „Fluglärmmonitoring und Gesundheitsschutz“ sowie zum Dringlichen Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Einsetzung einer Enquetekommission „Gesundheitsschutz und umweltbedingte Gesamtbelastung in hessischen Ballungsräumen“


Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Um es gleich am Anfang deutlich zu sagen: Die LINKE unterstützt das Anliegen von SPD und GRÜNEN, eine Enquetekommission zum Fluglärmmonitoring und Gesundheitsschutz einzusetzen. Dies ist eine notwendige wichtige Initiative für die Menschen in den Anrainerkommunen. Die Reduzierung durch den Änderungsantrag von CDU und FDP lediglich auf Lärm halten wir für den Versuch, letztendlich die grundsätzliche Position und die Untersuchung zu verwässern und inhaltlich zu reduzieren. Das sehen wir durchaus als problematisch an.

Mit Blick auf die umweltbedingten Gesamtbelastungen der Menschen im Rhein-Main-Gebiet – es geht um mehr als um Lärm und den Gesundheitsschutz, der aus dem Lärm resultiert – ist unserer Meinung nach eine Beschränkung der Enquetekommission auf Fluglärm und Gesundheitsschutz etwas zu eng.

Deswegen hatten wir ursprünglich die Absicht, hierzu einen Änderungsantrag einzubringen und die Ausweitung der Untersuchungsziele auf die Gesamtbelastungssituation der Menschen im Ballungsraum vorzuschlagen. Da dies aber formell nicht möglich war, mussten wir diesen umfassenden Antrag vorlegen. Dabei haben wir zur Vermeidung einer weiteren Enquetekommission, die wir nicht wollen, alle elf Ziele aus dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unverändert mit aufgenommen. Wir wissen, dass wir bei der Beschlussfassung auf die Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen sind, um die wir natürlich hiermit werben.

Flugzeuge emittieren mehr als nur Lärm. Stickstoffoxyde und Feinstaub sind für die Gesundheitsbelastung der Menschen genauso relevant wie die Freisetzung zahlreicher Giftstoffe durch Müllverbrennung, Kohlekraftwerke und Straßenverkehr. Es ist nicht sinnvoll, zu jedem Umweltproblem wie Feinstaub, Stickstoffoxyde, Quecksilberbelastung oder Lärm eine eigene Enquetekommission einzurichten. Hoch problematisch ist auch die Einzelbetrachtung der Emissionen.

Die Wirkungen aus der Kombination mehrerer Schadstoffe, also der Schadstoffcocktail Feinstäube und Lärm, finden bei der Planung und Umsetzung von Infrastrukturprojekten sowie der Genehmigung von Industrieanlagen bisher leider kaum Berücksichtigung. Während sich die Einzelimmissionen in den gesetzlichen Grenzwerten bewegen, ist die Gesundheit der Menschen durch die Gesamtbelastung gefährdet. Beispielsweise kann Lärm als allgemeiner Stressfaktor über immunologischen Wirkmechanismus die Gefährdung durch andere Schadstoffe verstärken, wenn nicht sogar potenzieren.

Zum Schutz der Bevölkerung in der Rhein-Main-Region vor immer neuen gesundheitsschädlichen Umweltveränderungen brauchen wir Untersuchungen, die die Gesamtbelastung auf die Menschen beschreiben, nicht nur von Lärm oder zwei Schadgasen. Im Ballungsraum Rhein-Main ist ein großes Gefährdungspotenzial entstanden, welches weit über die Fluglärmproblematik hinausgeht.

Für den umweltbezogenen Umweltschutz der im Ballungsraum lebenden Menschen stehen weder die notwendigen Daten noch ein adäquates Erfassungssystem oder qualifizierte Methoden der Analyse, Beschreibung und Bewertung der restlichen Gesamtbelastung zur Verfügung. Die Bestimmung, Bewertung und Reduktion der Gesamtbelastung sind eine komplexe Herausforderung, aber für den Gesundheitsschutz der Menschen im Rhein-Main-Gebiet das entscheidende Thema.

Meine Damen und Herren, hier muss unserer Meinung nach eine Enquetekommission ansetzen. Eine Enquetekommission mit einer Bearbeitungszeit von über zwei Jahren hat das Potenzial, sich mit deutlich mehr zu beschäftigen als ausschließlich den Gesundheitsfolgen des Fluglärms. Wir müssen diese Chance nutzen.

Seit einigen Jahren wird von Umweltverbänden, von Bürgerinitiativen, die sich im Netzwerk Umwelt und Klima Rhein-Main zusammengeschlossen haben, ein Konzept zur Feststellung und Bekämpfung der Gesamtbelastung gefordert. Der Hessische Landtag hat dieser Forderung in dem Beschluss vom 5. Juni 2008 zum großen Teil entsprochen.

Über den Etikettenschwindel der Landesregierung haben wir vorgestern debattiert. Die Erarbeitung eines solchen Konzeptes muss Gegenstand der Enquetekommission sein. Die Konzepte der Landesregierung, alte Atommeiler, neue Kohlenkraftwerke, staufreie Autobahnen und warm duschen statt baden haben nichts mit einer sozialökologischen und nachhaltigen Entwicklung Hessens zu tun.

Mit den Folgen Ihrer verfehlten Industrie- und Verkehrspolitik, einer verschmutzten Umwelt, strahlendem Atommüll, teuren Ressourcen, schlaflosen Nächten und unabsehbaren Gefahren für die Gesundheit lassen Sie die Menschen allein.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Eine Enquetekommission ist sicher kein Allheilmittel. Sie bietet aber die Möglichkeit, Grundlagen für einen umfassenden Gesundheitsschutz im Rhein-Main-Gebiet zu entwickeln.