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Reden

Jan Schalauske - Mieterschutz in Zeiten von Corona wichtiger denn je

Jan Schalauske
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In seiner 38. Plenarsitzung am 5. Mai diskutierte der Hessische Landtag über den Schutz von Mieter*innen in der Corona-Krise. Dazu die Rede unseres wohnungspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Bevor ich mich jetzt etwas konkreter mit dem Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD beschäftigen will, glaube ich, ist es notwendig, noch einmal etwas zur aktuellen Situation zu sagen.

„Zu Hause bleiben“ und „Abstand halten“, das waren die Losungen der letzten Wochen – und sie werden es wohl, trotz mancher Lockerungen, die wir auch heute diskutiert haben, noch eine Weile bleiben. Diese sinnvollen Aufforderungen zum Gesundheitsschutz haben freilich eine sehr wichtige Voraussetzung – eine Voraussetzung, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, es in unserer Gesellschaft aber leider nicht für jeden ist: „Zu Hause bleiben“ und „Abstand halten“ kann nur, wer auch tatsächlich ein Zuhause hat, wer es sich in diesen Zeiten leisten kann und für wen es in diesen Zeiten sicher ist.

Deswegen halten wir zuallererst fest: Schutz vor Corona braucht ein Zuhause. Machen wir uns bewusst und erinnern uns auch daran, wenn die Krise überwunden sein wird: Wohnen ist ein Menschenrecht, und der Zugang zu einer Wohnung muss für alle gelten, unabhängig von Herkunft oder Einkommen.

(Beifall DIE LINKE)

Leider ist es in unserer Gesellschaft aber keineswegs selbstverständlich, dass alle Menschen den gleichen Zugang zu Wohnraum haben. Vielmehr hat es in den letzten Jahren seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ff. in Deutschland eine beispiellose Flucht des großen Geldes in vermeintlich sicheres sogenanntes Betongold gegeben, mit der Folge – darauf hat Frau Kollegin Barth hingewiesen –, dass in Hessen, vor allem in der Rhein-Main-Region und in den Hochschulstädten, Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen kaum mehr in der Lage sind, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Die Lage am Wohnungsmarkt war schon vor der CoronaKrise für breite Teile der Bevölkerung eine einzige Katastrophe, und sie bleibt es in der Corona-Krise. Das dürfen wir nicht vergessen.

Die aktuelle Situation führt uns besonders drastisch vor Augen, was die Realität von Mietenwahnsinn und Verdrängung, was die soziale Ungleichheit in der Wohnraumversorgung für den Alltag der Menschen bedeuten: Während die einen die Phase von Kontaktsperre, Homeoffice und geschlossenen Spielplätze in großen Wohnungen oder in Eigenheimen mit Gärten verbringen können, müssen andere in beengten Verhältnissen zurechtkommen, in zu kleinen Wohnungen im städtischen Raum, oder haben – wie Obdachlose oder Geflüchtete in Sammelunterkünften – mangels eigenem Wohnraum fast gar keine Möglichkeit, sich vor Corona zu schützen.

Gleichzeitig gibt es in unserem Land weiterhin Leerstand, es gibt ungenutzte Hotels und leer stehende Appartements. Wir finden, das ist sozial ungerecht und eines reichen Landes wie Deutschland nicht würdig.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Situation entsteht aber nicht zufällig. Die ungleichen Voraussetzungen zur Bewältigung der Krise sind logische Folge eines kapitalistischen Wohnungsmarktes, der in erster Linie diejenigen mit ausreichendem Wohnraum versorgt, die viel Geld haben. Und sie sind die Folge einer neoliberalen Wohnungspolitik, die viel zu lange der Überzeugung angehangen hat, dass es gerade der Wohnungsmarkt ist, der die Wohnungsversorgung richten wird. Aber gerade die Corona-Krise zeigt einmal mehr: Der Markt richtet es nicht, weder im Gesundheitswesen noch bei der Versorgung mit Wohnraum oder in einem anderen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb gilt jetzt, in der Corona-Krise, umso mehr, was wir schon immer sagen: Wohnraum darf keine Ware sein. – Ein Umstand, den wir vielleicht gerade heute, am 202. Geburtstag von Karl Marx, noch einmal in Erinnerung rufen sollten.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe AfD und Freie Demokraten: Oh!)

Die Einsicht ist wichtig, weil die eigentliche Krise für die Mieterinnen und Mieter erst noch bevorsteht. Deswegen kommt es darauf an, dass die Politik reagiert.

Laut einer aktuellen Umfrage kann bereits jetzt die große Zahl von 1,6 Millionen Haushalten – das sind sogar noch viel mehr Menschen – ihre Miete nicht mehr bezahlen. Im Übrigen: Gerade jetzt wird in Frankfurt der Mietspiegel weiter fortgeschrieben, und er sieht mögliche Mieterhöhungen von 3,5 % vor. Das ist doch katastrophal für die Mieterinnen und Mieter in einer Situation wie der jetzigen.

In derselben Umfrage, die ich eben erwähnt habe, hat jeder fünfte Mieterhaushalt angegeben, demnächst in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. Expertinnen und Experten rechnen damit, dass die reale Zahl der Mietausfälle ab Ende des Monats steil nach oben geht, wenn Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit voll durchschlagen und die Ersparnisse aufgebraucht sind. Hier droht eine mietenpolitische Zeitbombe.

Deswegen ist jetzt eine rasche und entschlossene Wohnungspolitik im Interesse der Mieterinnen und Mieter notwendiger denn je. Und ja, wir haben durchaus wahrgenommen, erste Schritte wurden unternommen. Viele Wohnungsunternehmen verzichten aktuell auf Mieterhöhungen, auch auf Kündigungen, darunter – wie von uns auch gefordert – die Nassauische Heimstätte und sogar die GWH, bei der es doch ansonsten immer heißt, sie müsse sich unternehmerisch ausrichten, und deswegen ließe sich eine Bewirtschaftung nach sozialen Kriterien gar nicht darstellen.

Aber hier zeigt sich, dass es gerade die öffentlichen Wohnungsunternehmen sind, die in der Krise keineswegs zwingend profitorientiert agieren müssen. Ich finde, das sollten wir uns gut merken, auch in der Zeit nach Corona.

(Beifall DIE LINKE)

In diesem Sinne können wir uns der Überschrift des vorliegenden Antrags nur anschließen: „auf den politischen Willen kommt es an“. Und tatsächlich zeugt es auch von gutem Willen, dass die Bundesregierung bereits einige Maßnahmen beschlossen hat, um Mieterinnen und Mieter in der Krise zu schützen, darunter das bereits erwähnte dreimonatige Kündigungsverbot im Fall von Corona-bedingten Mietschulden. Allerdings zeigt diese Maßnahme eben auch, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass guter Wille allein nicht reichen wird: Wie sollen denn die Mieterinnen und Mieter, die bereits jetzt ihre Miete nicht mehr zahlen können, ihre Schulden in den nächsten zwei Jahren vollständig zurückzahlen können – zuzüglich 4 % Zinsen? Das kann und wird nicht funktionieren, das wissen Sie so gut wie ich. Deswegen muss nachgebessert werden.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE)

Herr Kasseckert, diese Regelungen sind doch der Beleg dafür, dass wir eben keine Umverteilung der Krisenkosten auf die Vermieter erleben, sondern eine Umverteilung auf die Mieterinnen und Mieter – und das müssen wir ändern.

(Beifall DIE LINKE)

Die Immobilienwirtschaft weiß doch, wie sie ihre Interessen durchsetzt. Sie ist jetzt mit der Idee eines „Sicher-Wohnen-Fonds“ vorgeprescht, aus dem die Mieten mithilfe staatlicher Kredite in voller Höhe weiterbezahlt werden sollen. Das ist doch nichts anderes als ein durchschaubarer Versuch, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu vergesellschaften. Das weisen wir entschieden zurück.

Jetzt weiß ich, dass Sie hier sehr oft nicht über die großen Wohnungskonzerne sprechen wollen, sondern immer über die kleineren Vermieter. Aber reden wir doch einmal über die großen Wohnungskonzerne und über zahlungskräftige Vermieter, insbesondere große, börsennotierte Wohnungsunternehmen und profitorientierte Gesellschaften. Wir wollen, dass die an den Kosten von Mietausfällen beteiligt werden. Dazu wäre eine Regelung denkbar, nach der Mieterinnen und Mieter, die von Corona-bedingten Einnahmeausfällen betroffen sind, ihre Miete halbieren dürfen – während gleichzeitig ein Unterstützungsfonds für jene Vermieter einspringt, die tatsächlich in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.

In einer solchen Situation finde ich es unsäglich, dass Wohnungskonzerne wie etwa Vonovia auch noch angekündigt haben, Dividende an ihre Aktionäre auszuschütten. So arm dran können diese Konzerne nicht sein, wenn sie auch noch Dividenden ausschütten. Das ist einfach unverschämt, und das sollte verhindert werden.

(Beifall DIE LINKE)

Die Idee der „Krisenmiete“ wird im Moment in Berlin diskutiert. Die Diskussion können wir an anderer Stelle fortführen. Aber jenseits von solchen Akutmaßnahmen brauchen wir mehr denn je einen längerfristig wirksamen Schutz für die Mieterinnen und Mieter.

Herr Kollege Lenders, Sie haben recht: Wir brauchen diesen Schutz, eben weil die Maßnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen. – Deswegen brauchen wir auch einen hessischen Mietendeckel, den wir als LINKE schon seit über einem Jahr fordern. Da begrüßen wir es ausdrücklich, dass die SPD ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hat und das erneut eindeutig bestätigt, was auch wir schon lange sagen: Ein hessischer Mietendeckel ist nicht nur notwendig, er ist rechtlich möglich. Das Land hat die Gesetzgebungskompetenz, es muss sie nur nutzen. CDU und GRÜNE hätten die Möglichkeit, mit einem solchen Instrument die Mieter wirksam zu schützen.

(Beifall DIE LINKE)

Wie man diese Kompetenz nutzen könnte und wie ein hessischer Mietendeckel im Detail ausgestaltet werden müsste, damit er wirksam schützt und trotzdem rechtssicher ist, darüber lässt sich streiten. Das müssen wir im Ausschuss und an anderen Stellen weiter diskutieren und dabei auch einige Argumente, die die Kollegin Förster-Heldmann hier genannt hat, entkräften. Warum nämlich der Mietendeckel tatsächlich dafür sorgt, dass die Mieten sinken, dafür gibt es viele Belege auch in Berlin.

Von daher möchte ich an dieser Stelle nur so viel dazu sagen: Ein bisschen mehr politischer Wille würde auch dem Mietendeckel der SPD-Fraktion guttun. Denn es wurde hier deutlich, dass mit dem Antrag ein moderater Ansatz verfolgt wird. Er lässt unserer Ansicht nach außer Acht, dass der Mietenwahnsinn, die Verdrängung und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den letzten Jahren keineswegs moderat waren.

Deshalb, so ist jedenfalls unsere Überzeugung, wird es nicht ausreichen, wenn der Mietendeckel nicht auf Eingriffe in laufende Mietverhältnisse und auf Mietsenkung bei Bestandswohnungen angewendet werden kann. Wir brauchen nämlich solche Maßnahmen. Wir brauchen ein Höchstmietensystem mit der Möglichkeit zur Mietsenkung, wie es Berlin gemacht wird. Das ist in einem Flächenland sicherlich schwieriger umzusetzen. Aber unmöglich ist es sicherlich nicht.

Unsere Haltung ist dabei klar: Wir wollen mehr als einen Mietenstopp light. Das ist zu wenig. Notwendig ist ein Mietendeckel, der den Namen auch verdient. Es ist gut, dass wir die Debatte jetzt einen weiteren Schritt voranbringen.

(Beifall DIE LINKE)