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Reden

Janine Wissler - Die Krise ist nicht vorbei: Existenzen sichern, Jobs bewahren, Menschen schützen

Janine Wissler
Janine WisslerCoronaWirtschaft und Arbeit

In seiner 42. Plenarwoche am 28. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die wirtschaftliche Lage in Corona-Zeiten. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und wirtschaftspolitischen Sprecherin Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Hessen ist auf dem Weg aus dem Lockdown. An anderer Stelle haben wir bereits die Prioritäten und die Reihenfolge kritisiert, mit denen das geschieht: Autohäuser, Shoppingmalls und die Bundesliga machen weiter, während Kitas und Schulen weiter geschlossen bleiben. Die lauteste und mächtigste Lobby bekommt die schnellsten Lockerungen und die größten Hilfspakete. Der Verkäufer und die Friseurin müssen wieder zur Arbeit gehen, ohne dass es eine verlässliche Kinderbetreuung gibt. Viele haben außerdem Angst, weil sie selbst oder Angehörige zur Risikogruppe gehören.

Nein, die Krise ist nicht vorbei, noch lange nicht. Sehr viele Menschen sind noch mittendrin, noch in Kurzarbeit mit großen Einkommenseinbußen, mit einem geschlossenen Betrieb oder mit einem, der sich momentan überhaupt nicht wirtschaftlich betreiben lässt. Viele Menschen häufen immer noch Tag für Tag größere Schulden an und fürchten um ihre ökonomische Existenzgrundlage. Das betrifft Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende, Veranstaltungstechniker, Caterer, den Messebau, viele Solo-Selbstständige, denen Aufträge wegbrechen, gerade solche im Bereich von Veranstaltungen. Auch kleine Geschäfte und andere Einzelhändler haben weiterhin Probleme. Viele Gastronomen mit kleinen Räumlichkeiten können überhaupt nicht wirtschaftlich arbeiten.

Das betrifft außerdem den Tourismus und touristische Busunternehmen, die ihre Busse nicht wirtschaftlich einsetzen können. Denken wir an die Reisebüros, die auch noch die enormen Rückforderungen von Provisionen nach Stornierungen schultern müssen. Denken wir an die Beschäftigten am Flughafen, am Boden und in der Luft.

Es sind viele Bereiche betroffen, die man nicht sofort auf dem Schirm hat, nicht gewinnorientierte Unternehmen z. B., Vereine, die Kinderschwimmkurse anbieten, oder auf Honorarbasis beschäftigte Kursleiter in Sport- und Fitnessstudios. Das sind Menschen, die derzeit in ihrem konkreten Arbeitsumfeld nicht arbeiten können oder aber angesichts der Einschränkungen kein wirtschaftliches Geschäftsmodell realisieren können.

Ich füge hinzu, dass dies aus guten Gründen so ist, nämlich aus Gründen des Infektionsschutzes. Das ist vollkommen klar. Das stellt Menschen aber vor größte ökonomische Probleme, meine Damen und Herren.

Für all diese Menschen muss es eine verlässliche Unterstützung geben. Das ist eine Frage der Prioritäten und eine Verteilungsfrage. Wem kommen die Lockerungen zugute und wem die wirtschaftlichen Hilfen?

Es ist eine Schieflage, wenn bei Geldspritzen an Großunternehmen die Milliarden locker sitzen und schon wieder über Abwrackprämien für die Automobilindustrie diskutiert wird, aber ein paar Tausend Euro Soforthilfe für SoloSelbstständige bürokratische Regeln im Wege stehen.

Dass in der Union in dieser Zeit über eine Senkung des ohnehin kläglichen Mindestlohns diskutiert wird, ist wirklich beschämend und ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die Sie vor einigen Wochen noch beklatscht haben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Denn gerade im Einzelhandel arbeiten viele Menschen zum Mindestlohn.

Der Staat verhandelt mit der Lufthansa darüber, unter welchen Bedingungen er sie retten darf. Heraus kommt ein teurer Deal, der dem Staat keinen Einfluss sichert und den Beschäftigten ihre Arbeitsplätze nicht garantiert. Herr Minister, ich hätte mir in der Tat gewünscht, dass Sie sich bei der Bundesregierung für die Beschäftigten der Lufthansa und für eine Garantie zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze starkgemacht hätten.

(Beifall DIE LINKE)

Bei der Bahn verlangt der Bund als Eigentümer für Zuschüsse sogar immense Kürzungen beim Personal und bei Sachausgaben. Dabei haben wir doch in den vergangenen Jahren gesehen, wie die Bahn kaputtgespart wurde. Auch wenn wir über die Verkehrswende reden, ist es vollkommen falsch, bei der Bahn zu kürzen. Deshalb gilt unsere Solidarität den Beschäftigten, die in den vergangenen Jahren genug Einschnitte hinnehmen mussten, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Statt Debatten über Arbeitszeitverlängerung, Sonntagsarbeit, Mindestlohnsenkung und soziale Kürzungen ist eine einmalige Corona-Vermögensabgabe zur Krisenbewältigung von den Superreichen notwendig, damit die Kosten der Krise nicht wieder denen aufgehalst werden, die ohnehin kaum etwas haben.

Um der Rezession entgegenzusteuern, müssen wir uns dauerhaft von der Schuldenbremse verabschieden. Wir brauchen ein groß angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm für Klimaschutz und soziale Infrastruktur, wie dies auch der DGB vorschlägt. Wir fordern von der Landesregierung, ein solches Programm auszuarbeiten.

Die Soforthilfen waren für drei Monate vorgesehen, für März, April und Mai. Sie waren dafür schon knapp bemessen. Die Frage ist, wie es jetzt weitergeht. Man kann den Leuten nicht sagen: Ihr dürft jetzt wieder. Hier sind die Auflagen. Ihr tragt die Verantwortung für die Risiken. Viel Glück. – Vielmehr brauchen wir in vielen Bereichen eine Anschlussunterstützung, um Pleiten abzuwenden und die Jobs zu erhalten, die vor zwei Monaten für Hunderte Millionen Euro erhalten wurden.

Wir müssen das Kurzarbeitergeld aufstocken und die Lohnfortzahlung bei Kinderbetreuung ausbauen. Auch dafür sollte sich die Landesregierung auf Bundesebene einsetzen.

Auch für die aktuellen und die künftigen Auszubildenden und deren Betriebe braucht es Unterstützung. Es wäre gut, wenn Sie dazu noch etwas sagen könnten, Herr Minister. Es sollte Ausbildungsboni für Unternehmen geben, die Auszubildende aus Insolvenzbetrieben übernehmen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die

Corona-Krise trifft alle, aber sie trifft nicht alle gleich hart. Wer vor der Krise schon kaum über die Runden kam, den trifft diese Krise besonders hart. Solidarität mit den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risikogruppen heißt: gerechte Verteilung der Soforthilfen und der Kosten für diese Krise, damit die soziale Ungleichheit in diesem Land nicht weiter wächst.

Wir wollen kein Zurück zu einer Normalität der sozialen Ungerechtigkeit, sondern eine solidarische Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft. Da gehen Gesundheitsschutz und ökonomische Absicherung Hand in Hand. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)