23. Sitzung: Waffenhandel weitgehend ungeklärt / KAGIDA und rechte Hetze massiv unterschätzt

Lübcke-Mord

In der Sitzung am 11.02.2022 ging es um die Beweisthemen „Bewaffnung, Schießtraining, Waffenbesitzkarte und Umgang mit Sprengstoff“ sowie „Video Lohfelden/ Bedrohung gegen Walter Lübcke“.

Oberstaatsanwalt (OStA) der Generalbundesanwaltschaft Dieter Killmer – leitete die Ermittlungen im Mordfall Walter Lübcke

Killmer begann seine Ausführungen mit Lob für LfV und LKA. Das ist verständlich, da das LfV viele Unterlagen, die für die Aufklärung des NSU noch streng geheim waren, für die Ermittlungen zum Mord in gerichtsverwertbarer Form zur Verfügung stellte.

Der OStA musste einräumen, dass die Herkunft der bei Ernst gefundenen, illegalen Schusswaffen weiterhin ungeklärt ist; dazu gehört auch die Tatwaffe. Der Mitangeklagte Markus H. besaß hingegen legal Waffen und handelte auf der Internetseite „eGun“ mit 67 Handelspartner:innen.

Weitere Ermittlungen in NRW, wo der von Ernst beschuldigte, mutmaßliche Waffenhändler Elmar J. lebt, ergaben interessante Hinweise. So wurde bei R., einem Freund von J., sehr große Mengen an Waffen, Sprengstoff, Munition und Zubehör gefunden. Ausgerechnet R. kaufte mehrere Gegenstände von Markus H., darunter Werkzeug und ein „taktischer Kugelschreiber“ mit Spannhebel, hinter dem wir einen sogenannten Schießkugelschreiber vermuten. Zwischen Markus H., Elmar J. und R. häufen sich unserer Ansicht nach die Auffälligkeiten: Alle handelten auf Flohmärkten, es gibt bei H. und R. eindeutige Hinweise auf den Rückbau von Dekowaffen zu funktionsfähigen Schusswaffen und alle handelten auf eGun. Auf unsere Frage, inwiefern der OStA hier ein Netzwerk geprüft habe, antwortet dieser: Da werde er nervös. Eine gemeinsame Zielsetzung sei schwer einzuschätzen.

 

Michael Conrad – Pressesprecher im Regierungspräsidium (RP) Kassel

Conrad war 2015 bei der verhängnisvollen Bürger:innenversammlung in Lohfelden anwesend, auf der Lübcke die Unterbringung von Geflüchteten verteidigte. Er nahm ca. zehn Personen des Kasseler PEGIDA-Ablegers KAGIDA wahr, die in der ersten Reihe gesessen und durch provokative Kommentare gestört hätten. Ein informierter Fotograf habe das bereits vor Ort erkannt.

Bis zum nächsten Morgen seien ca. 400 Hassmails eingegangen. Im RP sei ihnen dann bewusstgeworden, dass diese wahrscheinlich durch ein im Internet kursierendes, sehr verkürztes Video ausgelöst wurden. Die Polizei habe die Bedrohungen verfolgt, weshalb er sich nicht darum gekümmert habe. Er sei vielmehr mit unzähligen Presseanfragen sowie einer Kontextualisierung der verkürzten Aussage beschäftigt gewesen. Auf den Kommentar der Grünen-Obfrau, Lübcke habe auch viel Solidarität erfahren, widerspricht Conrad vehement: Solidarität habe es erst nach dem Mord gegeben.

Dass die Störungen und das Video eine orchestrierte Aktion waren, sei dem Zeugen erst nach dem Mord bewusstgeworden. Die Verurteilung eines PEGIDA-Redners 2015 wegen Volksverhetzung – er hatte in Reaktion auf Lübckes Äußerung bedauert, dass die KZs außer Betrieb seien – war ihm nicht bekannt; ebenso wie der Re-Post des Videos 2019 durch Erika Steinbach (CDU/AfD), die den Hass gegen Lübcke neu entfachte. Für uns lässt sich daraus folgern, dass es keine Sensibilisierung von Lübcke und seinem Umfeld durch die Sicherheitsbehörden gab.

 

Cihan B. – Leiter des Staatsschutz Kassel (ZK10) von 2015 bis 2018

Die Vernehmung des damaligen Staatsschutz-Chefs verstärkte den Eindruck fehlender Sensibilisierung. Dieser beschrieb, dass es keine Ermittlungen zur Urheberschaft des Videos gegeben habe – da es keine Straftat darstelle, habe es keinen Anlass gegeben. Auch seien Kommentare im Internet nicht überprüft worden, weil das Sache des LfVs sei. Da sich diese nicht gemeldet hätten, sei wohl nichts strafrechtlich Relevantes gefunden worden – nachgefragt wurde nicht. Von den wenigen Strafverfahren, die eingeleitet wurden, kam es zu keiner einzigen Verurteilung. Intensive Ermittlungen seien ausgeblieben, weil es aufgrund der Fokussierung auf Islamismus keine Kapazitäten gegeben habe.

B. gab an, KAGIDA sei vom ZK10 bearbeitet worden. Sie hätten die Demos jeden Montag begleitet und Personen namentlich festgestellt. Dennoch konnte der Zeuge außer dem Anmelder Viehmann keine Person von KAGIDA benennen, die bei der Bürger:innenversammlung anwesend war. Die KAGIDA-Aufklärung bleibt ein Mysterium: Auf unsere Nachfragen wird deutlich, dass die Begleitung der Demos und namentliche Identifizierung der Teilnehmenden ohne die Auswertung von Video- und Bildmaterial stattfand. B. verteidigt sich, da eine Auswertung jeden Montag unmöglich gewesen sei, dafür hätten sie 30 Leute gebraucht. Die Aufklärung von Personenpotential sei außerdem Aufgabe des LfV. Dieser Widerspruch bleibt so stehen.

Der Zeuge erklärte, dass die Aufklärung der störenden Personen für die Gefährdungsbewertung unerheblich gewesen sei. Auch der Angriff auf Ahmed I., der knapp drei Monate nach der Bürger:innenversammlung vor eben jener Unterkunft in Lohfelden mit einem Messer angegriffen und fast getötet wurde, sah man nicht in Bezug zur Bedrohung von Walter Lübcke. Uns erstaunt, dass die Polizeiarbeit keine Aufklärung der Hetzkampagne beinhaltete. Schließlich war es Aufgabe des ZK10 und des LKA, die Gefährdung von Lübcke zu beurteilen. Wie das ohne Kenntnis der Urheberschaft einer Hetzkampagne geschieht, ist uns unverständlich.

Eine analytische Auseinandersetzung mit verschwörungsideologischen Konzepten der extremen Rechten fand, laut dem Zeugen, nicht statt. So wurde es versäumt, die Hetzkampagne in das antisemitische, völkisch-rassistische Narrativ des sogenannten „Großen Austauschs“ einzuordnen und auf dessen Grundlage die Möglichkeit der Gefährdung durch militante Neonazis realistisch einzubeziehen.