25. Sitzung: Ohne Antifa-Recherchen wüssten wir nichts

In der 25. Sitzung am 04.03.2022 sagten drei Personen vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) aus. Zum Beweisthema „Erkenntnisse über Teilnahme an Veranstaltungen der rechten Szene“ wurde die heutige Abteilungsleiterin im Bereich Rechtsextremismus befragt; zum Thema „Einschätzung zur besonderen Gefährlichkeit von Stephan Ernst und Markus H.“ sagten zwei Sachbearbeiter:innen aus.

Frau S. – seit 2015 beim LfV, seit Mai 2016 (Vertretung der) Abteilungsleitung

Frau S. stellte zunächst klar, dass in ihrer Zeit in der Abteilungsleitung ab 2016 keine Erkenntnisse zu Teilnahmen von Ernst und H. an rechtsextremistischen Veranstaltungen angefallen seien. Hinsichtlich ihres Arbeitsbeginns beim LfV berichtete die Zeugin, dass lediglich eine kurze Einarbeitung stattgefunden habe. Auf bestimmte Personen sei dabei nicht eingegangen worden; von Markus H. habe sie bei der Aktensperrung gehört. Ernst war ihr bis zum Mord sogar gänzlich unbekannt, da dessen Akte bereits vorher intern gelöscht gewesen sei.

Dass Ernst und H. in dieser Zeit entgegen der Erkenntnislage an Veranstaltungen der rechten Szene teilgenommen haben, sei ihr erst durch antifaschistische Recherche nach dem Mord bekannt geworden. Sowohl die Teilnahmen bei KAGIDA 2014-2015 als auch an Demos der Höcke-AfD in Thüringen 2017 und 2018 und selbst die Beteiligung an den gewalttätigen rechten Demos in Chemnitz 2018 waren unbemerkt geblieben. Auch das Video aus Lohfelden, mit dem Markus H. 2015 die Hetzkampagne gegen Lübcke initiierte, wurde vom LfV nicht wahrgenommen. Als Grund für die mangelhafte Erkenntnislage führte Frau S. an, dass AfD und KAGIDA damals vom Verfassungsschutz nicht als extremistisch bewertet worden seien, weshalb keine Beobachtung und Analyse des Personenpotentials stattgefunden habe.

Von uns mit den Gefahrenprognosen des BKA konfrontiert, die im Zusammenhang mit Chemnitz 2018 bundesweit eine mögliche Gefährdung von Geflüchteten und Amtsträger:innen vorhersagte, erwidert die Zeugin: Man habe deshalb auch einschlägig bekannte Rechte beobachtet. Ein Blick über den Tellerrand geschah dabei allerdings nicht. Wir sind der Überzeugung, dass die ausbleibende Beobachtung und mangelnde Analyse „neurechter“ und neofaschistischen Bewegungen zu einer strukturellen Verharmlosung rechter Organisationen führt. Eine folgenschwere Verharmlosung, da sich die extreme Rechte als „Besorgte Bürger:innen“ reinwaschen kann und so vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwindet.

 

Frau H. – seit 2007 beim LfV als Auswerterin tätig

Frau H. war Auswerterin im Bereich Rechtsextremismus im Zeitraum 2010-2014. In ihre Zuständigkeit fielen Fotos einer Sonnenwendfeier bei Torsten Heise aus 2011, bei denen die Identifikation von Stephan Ernst nicht erfolgte. Ernst sei ihr zwar bekannt gewesen, sie habe ihn aber nicht weiter zur Kenntnis genommen. Auch der Sonnenwendfeier bei Heise habe sie keine große Relevanz beigemessen. Folglich seien ihr auch keine Details mehr erinnerlich, inwiefern sie sich um die Identifikation der abgebildeten Personen bemüht habe. Eine Anfrage beim polizeilichen Staatsschutz gehörte definitiv nicht dazu – die hatten Ernst nämlich auf dem Foto erkannt.

Der Vermerk zum „Kameradenkreis um Torsten Heise“ mit Nordhessischen Personen sei ihr bekannt, es gebe aber entgegen dem Vermerk keine Nordhessen in diesem Kreis – sondern Kontakt bei Veranstaltungsteilnahmen. Es bleibt uns unklar, welche Aussage mit dieser Abgrenzung getroffen werden soll. Einschätzungen zur Gefährlichkeit der Personen habe es nach 2009 nicht mehr gegeben, so die Zeugin. Dass Herr Eisvogel, damaliger Präsident des LfV, Ernst für „brandgefährlich“ hielt, sei ihr bekannt gewesen. Inwiefern diese Einschätzung zu Rückmeldungen führte, wisse sie nicht; gehe aber auch ohne entsprechende Dokumentation davon aus, dass das stattgefunden habe.

Die Aussage der Zeugin bestätigt uns in der Annahme, dass die Zentralität des Neonazi-Kaders Heise und die Gefährlichkeit von Ernst und H. nicht erkannt wurden und es diesbezüglich auch eher eine desinteressierte Haltung gab. Somit erfolgte kein umfangreicher Informationsaustausch mit anderen Behörden, keine Nachforschungen zu gewalttätigen und bewaffneten Personen der extremen Rechten und keine Analyse von Netzwerken der extremen Rechten.

 

Herr T. – Mitarbeiter beim LfV

Herr T. war entgegen der Annahme des Ausschusses nicht zuständig für die Bearbeitung von Fotos im Jahr 2014. Auf einem dieser Bilder wurde Stephan Ernst ebenfalls nicht identifiziert. Folglich war die Befragung sehr kurz und führte lediglich zu der Erkenntnis, dass bei Nicht-Identifikation von Personen und ausschöpfen der LfV-eigenen Mittel eine Anfrage beim örtlichen Staatsschutz vorgesehen sei.