34. Sitzung – Unergiebige Vernehmungen

In der 34. Sitzung am 4.11.2022 wurden drei Zeug:innen zu unterschiedlichen Themen vernom-men. Zunächst wurde Frau D. befragt, die 2019 zunächst die Ermittlungen zum Fall Ahmed I. übernahm. Anschließend folgte die Befragung von M.K., der (ehemals) Teil der rechten Szene in Kassel und daher mit Ernst und H. bekannt war. Am Nachmittag wurde Stephan Ernst befragt – dessen angeblicher Aufklärungswille allerdings an seiner Aussageverweigerung scheiterte.

Frau D. – Ermittlerin beim PP Nordhessen

Frau D. sagte aus, die Ermittlungen seien primär aufgrund Ernsts eigener Aussage, er habe am 6.1. nach der Kölner Silvesternacht einen Geflüchteten angegriffen, wiederaufgenommen worden. Aufgrund weiterer Verdachtsmomente sei ein Durchsuchungsbeschluss erwirkt worden. Dabei seien fünf oder sechs Messer gefunden worden. An einem habe man DNA-Spuren entdeckt, die zum Geschädigten Ahmed I. passten. Aufgrund der geringen Menge an DNA sei aber keine gerichtsfeste Aussage möglich gewesen.

Die SOKO Fieseler, die 2016 zum Mordversuch an Ahmed I. ermittelte, hatte eine Haustürbefragung bei bekannten rechtsmotivierten Straftätern in der Tatort-Umgebung durchgeführt – auch bei Ernst. Zur Frage, ob sie sich die Befragungen noch einmal angeschaut habe, antwortet Frau D., sie habe sich 2019 nur auf Stephan Ernst konzentriert. Wir fragen, ob die Person Raphael F. eine Rolle gespielt habe, da dieser ein alter Bekannter von Stephan Ernst sei und angab, in genau der Erstaufnahmeeinrichtung als Security zu arbeiten, in der Ahmed I. untergebracht war. Dies verneinte sie, der Name sage ihr nichts.

Daraus müssen wir schließen, dass bei den Ermittlungen das Umfeld von Stephan Ernst und seine Einbindung in die Extreme Rechte nicht mitgedacht wurden, weshalb mögliche Hintergründe der Tat unbeachtet blieben.

 

M.K. – (ehem.) gewalttätiger Neonazi aus Kassel

M.K. verbrachte einen Großteil seiner Befragung damit, die eigene Szeneeinbindung, Gewalttaten und Aktivitäten zu verharmlosen. Die Informationen von Exif-Recherche über ihn wies er größtenteils zurück. Er habe zwar einige Jahre neben dem Internetcafé von Halit Yozgat gewohnt, sei aber noch vor dessen Ermordung durch den NSU weggezogen. Außerdem sei er 2006 bereits ausgestiegen und „nur noch“ mit „Leihgabe“ und Markus E. beim Fußball gewesen – die jedoch zwei bekannte Kader der rechten Szene Kassels sind.

Zu seiner Aussage gegenüber Exif-Recherche machte er unverständliche Angaben. Diese hätten sich als BKA-Mitarbeitende ausgegeben, wobei eine Woche später zur selben Zeit dann tatsächliche BKA Beamte vor seiner Tür gestanden hätten. Diese hätten ihn zwar befragt, allerdings nicht zur Tatsache, dass seine Handynummer zum Mordzeitpunkt an Halit Yozgat in die Tatort-Funkzelle eingeloggt war.

M.K.s Glaubwürdigkeit halten wir für sehr eingeschränkt. Er habe zwar u.a. mit Stephan Ernst die rechte Szenekneipe „Stocki“ verteidigt, sei am rassistischen Angriff auf dem Viehmarkt in Hofgeismar beteiligt und 2012 auf Feierlichkeiten der Bandidos gewesen – dennoch verharmloste er sich zum mitlaufenden Fußball- und Rocker-Fan. Auch die lange Liste an rechten Gewalttätern, mit denen er verkehrte, tat er als „Dorfschläger“ ab. Leider gab es dazu keine Richtigstellung in der Ausschusssitzung, die seine rechten und rassistischen Handlungen sowie seine Szeneeinbindung kritisch einordnete.

 

Stephan Ernst – Mörder von Walter Lübcke

Ernst bekundete eingangs wie sehr es ihm leidtue, Lübcke ermordet zu haben. Er bereue, rechtsextrem gedacht zu haben. Diese bereits vielfach vorgebrachte Erklärung wurde indes von seinem Zeugenbeistand konterkariert, der für Ernst ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht einforderte.

Es folgten längere Ausschussberatungen in nicht-öffentlicher Sitzung, die in einer rudimentären Befragung Ernsts endeten. Damit sollte deutlich gemacht werden, dass diese umfassende Zeugnisverweigerung nicht möglich ist. Eine etwaige Weiterführung der Vernehmung ist nicht ausgeschlossen.

Uns erstaunte, wie wenig der Ausschussvorsitz auf die erwartbare Aussageverweigerung vorbereitet und mit der Sitzungsleitung überfordert schien. Dass das Selbstmitleid eines rassistischen Mörders nicht von selbst zur Aufklärung verhilft, war unserer Ansicht nach absehbar.

DIE LINKE wird nach diesem Termin die Arbeit des IKARUS-Aussteigerprogramms noch einmal kritisch hinterfragen. Wenn Menschen aus der rechten Szene aussteigen, ist dies immer zu begrüßen. Dies setzt aber auch eine glaubwürdige Distanzierung von den bisherigen Taten voraus. Ein geheucheltes Reuebekenntnis reicht sicher nicht. Ein staatlich geförderter Ausstieg setzt immer auch die Aufklärung bisheriger und die Verhinderung zukünftiger Straftaten voraus. An beiden beteiligt sich Stephan Ernst nicht. Sollte das Aussteigerprogramm IKARUS nur dazu dienen, einer Behörde, die über Jahrzehnte in der Verhinderung rechte Strukturen versagte, neue Erkenntnisse zu verschaffen, die dann ebenfalls unsortiert in Archiven verschwinden, muss hier sehr kritisch hingesehen werden. 

Besonders negativ fiel die Rolle des Rechtsbeistands von Stephan Ernst auf. Natürlich steht auch einem Verurteilten Mörder der bestmögliche Rechtsschutz zu. Kritisch wird es aber dann, wenn dieser den Termin vor dem UNA offensichtlich ausschließlich für die Generierung von Medienöffentlichkeit zu seiner eigenen Person nutzt. Augenscheinlich ging es hier nur um die Imagepflege eines Anwaltes zu Lasten der berechtigten Interesses von Angehörigen und Öffentlichkeit nach Aufklärung.