37. Sitzung – Wenig Wissen und keine Verantwortung im Innenministerium

In der 37. Sitzung am 20.01.2023 wurden Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) – von August 2010 bis Januar 2014 Innenminister – sowie Stefan Heck (CDU), 2019-2021 Staatssekretär im Innenministerium unter Peter Beuth, vernommen.

 

Boris Rhein – 2.2009-8.2010 Staatssekretär im Innenministerium, 8.2010-1.2014 Innenminister

Boris Rhein machte bereits eingangs deutlich, dass er kein Interesse an einer kritischen Aufarbeitung der Vorgänge unter seiner Rigide als Innenminister hat. Die Tat hätte nicht verhindert werden können und er danke den Sicherheitsbehörden, so seine zynische und nicht zu belegende Einschätzung zu Beginn. Anschließend lobte er die umgesetzten Reformen nach der Selbstenttarnung des NSU und hob die Verhinderung von Rechtsrockkonzerten durch die Sicherheitsbehörden hervor (Dass dies faktisch nicht haltbar ist, haben wir bereits  im letzten Bericht dargelegt). Stephan Ernst sei nach Rheins „Wahrnehmung“ auf dem Schirm des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) gewesen und nicht davon verschwunden. Dass eine Demoteilnahme von Ernst 2010, die Sonnenwendfeier 2011 bei Thorsten Heise, die Teilnahme bei KAGIDA und die Störungen der Bürgerversammlung in Lohfelden 2015 sowie Engagement und Teilnahmen bei der AfD von der Behörde nicht zugeordnet wurden, bezeichnete er als „mögliche menschliche Fehlleistung“. Ein Ministerpräsident, der lieber die Belegschaft verantwortlich macht, als die Verantwortung für massive strukturelle Defizite anzuerkennen, macht im Kampf gegen rechten Terror keine Hoffnung.

Während der Vernehmung verfestigte sich das Bild, dass die von Rhein gesungenen Lobeshymnen ohne Grundlage waren. So beispielsweise sein Eigenlob für die Anstrengungen zur Verhinderung von legalen Waffenzugängen für „Rechtsextremist:innen“ – die eine legale Bewaffnung von Markus Hartmann nicht verhinderten. Ernüchternd waren auch Rheins Ausführungen zum Problem sich selbst aktivierender „Einzeltäter“, da sich hier insbesondere analytische Inkompetenz und eine Verharmlosung rechter Strukturen und Organisationen zeigt.

Rhein hatte während seiner Amtszeit eine Aktensichtung im LfV angewiesen, deren Abschlussbericht kürzlich von der Plattform „Frag den Staat“ und dem Team des „ZDF Magazin Royale“ veröffentlicht wurde. Wie bereits im NSU-Ausschuss leugnete Rhein, jemals einen Zwischen- oder Abschlussbericht zu seinem Erlass zur Aktensichtung gesehen zu haben. Abgesehen davon, dass wir das für absolut unglaubwürdig halten, wäre diese Ignoranz auch für sich genommen ein Skandal. Ein Innenminister, der kurz nach der Selbstenttarnung des NSU seinen Verfassungsschutz umkrempelt und sich dann die Berichte nicht anguckt? – pure Fahrlässigkeit.


Stefan Heck – 1.2019-10.2021 Staatssekretär im Innenministerium

Auch Stefan Heck schien nur mittelmäßig über Vorgänge in seinem Verantwortungsbereich informiert gewesen zu sein. Zwar konnte er ausführen, dass die Einheit BIAREX (Bearbeitung integriert-abgekühlter Rechtsextremisten) im LfV eingerichtet wurde, um „Rechtsextremisten“ nachzuspüren, zu denen keine Informationen mehr vorlagen – wieso das Parlament über diese selbstkritische Einrichtung erst vier Monate später informiert wurde, wusste er hingegen nicht. Heck führte aus, BIAREX sei für wiederkehrende Prüfungen heute unauffälliger Rechtsextremisten zuständig und solle der Früherkennung dienen. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit: BIAREX wurde nach dem Mord an Lübcke einberufen, weil die rechtlich unzureichenden Listensperrverfahren zur internen Löschung von Akten ohne Einzelfallprüfung auch dazu geführt hatten, dass Stephan Ernsts Akte fälschlich gelöscht wurde. Um weitere Fehlentscheidungen dieses Kalibers zu identifizieren, überprüft BIAREX nun alle 1475 per Listenverfahren intern gelöschten Akten auf Anhaltspunkte zur Speicherverlängerung. Es handelt sich also um ein Ausbessern vorherigen Versagens und keine progressive Maßnahme.

Der Begriff „abgekühlt“, der aufgrund seiner Implikation einer De-Radikalisierung in die Kritik geriet, sei laut Heck gewählt worden, um die Arbeitsweise des LfV zu illustrieren und deutlich zu machen, das ein wahrnehmbares Aktivitätsniveau gesunken sei. Obwohl sich im Ausschuss diverse (ehemalige) Abteilungs- und Amtsleiter:innen des LfV nachdrücklich von der Begrifflichkeit distanzierten, die für analytisch und fachlich unangemessen gehalten wurde, blieb das Innenministerium lange dabei. Herr Kanther (s. 31. Sitzung) hatte ausgesagt, den Begriff ursprünglich zur Verzögerung von Einbürgerungsverfahren erfunden zu haben, um eine Zeitspanne definieren zu können, die in bestimmten Fällen abgewartet werden müsse. Das Aufgreifen von „abgekühlt“ zeigt folglich eine agitatorische Pressearbeit des Innenministeriums, das lieber falsche Narrative über aussteigende Neonazis verbreitet als Fehler einzugestehen.