1. Prozesstag: Die Verlesung der Anklage

Am 16. Februar 2022 startete vor dem Landgericht Frankfurt der Prozess gegen Alexander Horst M. aus Berlin. Dem 54-jährigen wird vorgeworfen, als vermeintlicher Einzeltäter mehr als 100 Drohschreiben mit extrem rechten Inhalten an Personen des öffentlichen Lebens verschickt zu haben.

Nach M.’s Festnahme am 05. Mai 2021 wurden keine weiteren Drohschreiben, unterzeichnet mit dem Kürzel „NSU 2.0“, verschickt. Der Senat, vor dem M. sich von nun an für die Taten verantworten muss, beraumte Termine bis in den April hinein an. Das Urteil soll somit nach jetzigem Kenntnisstand bereits Ende April gesprochen werden. Inhalt des ersten Prozesstages war die Anklageverlesung durch die Staatsanwaltschaft.

Im Gerichtssaal C befinden sich zu Beginn der Verhandlung viele Journalist*innen, welche den Gerichtssaal und den Angeklagten filmen. Dieser zeigt noch in Handschellen Mittelfinger in Richtung der Kameras. Nach Eröffnung der Verhandlung durch die vorsitzende Richterin erfragt diese bei Alexander M., ob die vorliegenden Daten des 54-jährigen korrekt seien. Als sie ihn nach seiner Anschrift fragt, verweigert er die Auskunft, da er dies nicht öffentlich vor der Presse preisgeben möchte.

Daraufhin wird den beiden Anwesenden der Staatsanwaltschaft das Wort gegeben. Sie tragen abwechselnd die 120-seitige Anklageschrift gegen M. vor. Der Angeklagte, welcher seit dem 18. Mai 2021 in der JVA-Preungesheim in Untersuchungshaft sitzt, wird in 116 Fällen vorgeworfen rechte Drohschreiben an verschiedenste Personen, darunter mehrheitlich Frauen, gesendet zu haben. Zudem habe er Bombendrohungen an Behörden und Institutionen, wie die Walter-Lübcke-Schule in Wolfhagen, versendet. Die Staatsanwaltschaft klagt an, dass M. im Zeitraum vom 02.08.2018 bis zum 05.05.2021 mehrere Personen beleidigt, u.a. mit Mord bedroht, das Andenken Verstorbener verunglimpft und verfassungswidrige Kennzeichen verwendet habe, sowie kinder- und jugendpornographisches Material besessen und verbreitet zu haben. Ziel der Serie rechter Drohschreiben, welche einen Großteil der Anklageschrift ausmacht, sei eine öffentlichkeitswirksame Berichterstattung zu erreichen. Die Schreiben, welche laut Staatsanwaltschaft durch ihn verfasst worden sein, waren oftmals in Form von Behördenschreiben oder Gerichtsurteilen geschrieben.  

Die Anklage zählt alle prozessrelevanten Schreiben samt Empfänger*innen auf, welche dem Angeklagten zugerechnet werden. Dieser soll die Schreiben von einer 2018 eingerichteten Yandex- E-Mail Adresse versendet haben. Unterschrieben waren die Schreiben meistens mit dem Pseudonym „SS-Obersturmbannführer“, „SS-Ostubaf“ oder nach dem NSU-Terroristen „Uwe Böhnhardt“. Einige Schreiben wurden mit „Grüße vom SEK Frankfurt“ und teilweise dem Zusatz „Einsatzleiter“ unterzeichnet. In Erinnerung an die Auflösung des Frankfurter SEKs aufgrund rassistischer Chatgruppen, stellt sich die Frage, ob diese Chatgruppen bei den Ermittlungen im „NSU 2.0“-Komplex berücksichtigt wurden und welche Rolle das Frankfurter Sondereinsatzkommandos spielt(e).

Während der Verlesung wird deutlich, dass nicht nur sensible Adressen oder Geburtstage in Polizeidatenbänken abgefragt wurden, sondern auch Informationen zu Angehörigen wie Eltern oder Kinder der Betroffenen. Der Angeklagte soll laut Staatsanwaltschaft die Freilassung von André M. aus Berlin gefordert haben. André M. wurde Ende 2020 zu vier Jahren Haft verurteilt, da er zwischen Dezember 2018 und April 2019 als „Nationalsozialistische Offensive“ bundesweit Drohmails an Gerichte, Behörden, Medien und Mitglieder des Bundestags verschickt hat. Der in Frankfurt Angeklagte M. soll in seinen Schreiben an das LKA Berlin die Gefangenennummer des in Moabit inhaftierten André M. genannt haben. Hier stellt sich die Frage, ob der Angeklagte Kontakte zu Berliner Justizangestellten hat, welche solche Interna an ihn weitergegeben haben. Zudem sollte der Frage nachgegangen werden, wie das Verhältnis zwischen dem Angeklagten Alexander M. und dem Verurteilten André M. ist.

Aus der Anklageschrift geht außerdem hervor, dass der Verfasser der „NSU 2.0“-Drohschreiben für die rechte Terrorserie mit Brandanschlägen auf politisch Aktive in Berlin-Neukölln Verantwortung übernehme. Welche Verstrickungen der Angeklagte M. zu den derzeit für die Terrorserie Beschuldigten und in Berlin vor Gericht stehenden Personen hat, ist eine offene Frage. Genauso, wie er an die Adresse eines Betroffenen der Brandserie in Berlin gelangte.

Die Erwähnung der Möllner Rede im Exil, welche im November 2019 im Frankfurter Historischen Museum stattfand, zeugt erneut von der Wichtigkeit, die Rolle der Frankfurter Polizei in den Blick zu nehmen. Zwei Redner*innen und Betroffene der Drohschreibenserie werden aufgefordert, nicht an der geplanten Veranstaltung teilzunehmen. Diese konnte aufgrund der Bedrohungslage nur unter Polizeischutz stattfinden.

Neben allen für die Verhandlung relevanten Drohschreiben wird mit der Anklageschrift deutlich, dass M. während der Hausdurchsuchung in seiner Wohnung zu einer Schreckschusswaffe griff und damit Beamte bedrohte. Zudem wurden 3 Computer seinem Besitz zugeordnet und beschlagnahmt. M. soll aufgrund seines Sprachduktus als User eines rechten Onlineforums und als Schachspieler identifiziert worden sein. Ein Polizist soll sich erinnert haben, das Pseudonym in seiner Freizeit in dem Forum entdeckt zu haben. Wurde diesen Freizeitaktivitäten des Polizisten weiter auf die Spur gegangen oder eventuell sogar die Frage nach Täterwissen gestellt?

Der erste Verhandlungstag wirft viele Fragen auf. So zeigt die Anklageschrift, dass sich die Ermittlungen auf den vermeintlichen Einzeltäter M. fokussieren. Was der Stand der Ermittlungen rund um die rassistische Chatgruppe des ersten Reviers der Frankfurter Polizei an der Konstablerwache oder der Polizeiwache in Wiesbaden ist, wird am ersten Tag nicht in der Anklageschrift thematisiert. M. zeigt sich nach der Verlesung der Anklageschrift enthusiastisch. Gerne würde er direkt seine Einlassung verlesen, da er die vorgetragene Anklageschrift nicht so stehen lassen wolle. Sein Verteidiger Baumann sowie die vorsitzende Richterin bremsen ihn – M. wird am nächsten Prozesstag die Möglichkeit haben sich einzulassen.