20. Prozesstag: Vernehmung von Miriam D., Polizeibeamter K.

Der 20. Prozesstag im „NSU 2.0“-Prozess gegen Alexander M. begann mit der Vernehmung der Polizeibeamtin Miriam D. vom ersten Polizeirevier. Die 37-jährige erschien in anwaltlicher Begleitung, die strikt klarmachte, dass die Zeugin aufgrund laufender Straf- bzw. Disziplinarverfahren nicht zu den Vorgängen rund um die Abfrage der Daten Seda Başay-Yıldız‘ am 02. 08.2019 aussagen werde. Gegen einige Mitglieder des ersten Reviers wurde vor einigen Wochen Anklage aufgrund einer Chatgruppe mit dem Namen „Itiotentreff“ erhoben, da dort rassistische Inhalte geteilt worden sein sollen. Nach der Angabe, dass Miriam D. auch zu der Anmeldung unter ihrem Login auf dem 1. Polizeirevier in Frankfurt, wovon die Abfrage getätigt wurde, nichts sagen werde, machte die Richterin Distler deutlich, dass sie die Vernehmung nun beende. Ihr liege es fern Spielchen zu betreiben und mit Fragen „herumzustochern“. Stattdessen würde D. erneut geladen und der Versuch unternommen, bei ihrem Arbeitgeber, dem Polizeipräsidium, eine Aussagegenehmigung einzuholen.

Anschließend stellte Alexander M. einen Beweisantrag zu einem Sachverständigengutachten eines IT-Forensikers. Unter anderem erfragte der Angeklagte, ob sogenannte Tor Knotenpunkte in Chemnitz (Sachsen) bekannt sei, da es darüber einen vermerkten Login in dem E-Mail Yandex Postfach gegeben habe.

Bei der zweiten Zeugin handelt es sich um eine Aktivistin aus Berlin, welche Anfang dieses Jahr postalisch durch das LKA darüber informiert wurde, dass sie im „NSU 2.0“-Komplex bedroht werde. Den ganzen Inhalt des Briefes kenne sie nicht, lediglich eine explizit genannte Beleidigung gegen sie. Hier zeigte sich eine Kontinuität der ermittelnden Behörden, Betroffene spät oder gar nicht über ihre Bedrohungslage zu informieren sowie die betreffenden Schreiben nicht zur Verfügung zu stellen. Ihr Anwalt habe Akteneinsicht beantragt, diese sei nicht bewilligt worden.

Auf Nachfrage erklärte die Zeugin, dass sie überrascht sei auf dem Radar von Rechten zu sein. „Ich habe mich daran erinnert gefühlt, dass Menschen mit ihrer faschistoiden, antisemitischen Naziideologie die Gesellschaft attackieren.“ Sie habe eine Manifestation dieser Ideologie gesehen und sich davon betroffen gefühlt. Ihrer Ansicht nach sei der beste Schutz vor Rechten und deren Bedrohung eine Auseinandersetzung mit ihnen und deren Gewaltakten.

Zuletzt erscheint der Zeuge K., der zu den Ermittlungen im ersten Polizeirevier um die illegale Datenabfrage von Seda Başay-Yıldız befragt wurde. Er berichtet, dass aufgrund der engen zeitlichen Verbindung zwischen der Abfrage der Daten Başay-Yıldız und dem Drohfax gegen sie bei den Ermittler*innen davon ausgegangen worden sei, dass die Abfrage mit dem Polizeirevier und nicht dem Bürgeramt Frankfurt zusammenhänge. Zudem sei die Angabe im Drohbrief „Geb.“ als Abkürzung für Geburtstag Behördensprache und daher verdächtig. Ihm sei keine Möglichkeit eingefallen, wie diese umfangreiche Datenabfrage vor einem realen Hintergrund habe stattfinden können. Für ihn sei die Aussage, dass mehrere Personen Zugriff auf den Dienstcomputer mit der Meldesoftware gehabt hätten, „leider plausibel“, da die Praxis zum damaligen Zeitpunkt gang und gäbe gewesen sei. Die Logbänder seien auf die zuvor geladene Polizistin Miriam D. zurückzuführen, weswegen sechs Wochen nach der Abfrage eine Durchsuchung auf dem Revier an der Konstablerwache und in ihrer Wohnung durchgeführt worden sei. Die Beschuldigte habe bestritten die Abfrage getätigt zu haben und könne sich nicht erinnern, wer an besagtem Tag welchen Platz auf der Wache eingenommen habe. Durch die Beschlagnahmung des Smartphones von D. hätten die Beamten einen Zufallsfund gemacht: Die rassistische Chatgruppe der Polizist*innen des ersten Reviers.

Der Zeuge wird zur Handyauswertung des Polizisten Johannes S. befragt, der als Hauptverdächtiger gehandelt wurde, das Drohfax abgeschickt zu haben. Die Auswertung sei ausgegliedert gewesen. Ihm werden Teile der Vernehmung von S. vorgehalten, in der dieser angab, dass der Klient von Başay-Yıldız, Sami A., auf der Wache Thema gewesen sei und dort die allgemeine Einschätzung geteilt wurde, dass Deutschland sich mit dem Verfahren um Sami A. lächerlich mache. Auch die Aussage Johannes S. zu der linken Webseite Indymedia wird durch den Zeugen thematisiert: Der verdächtige Polizist habe angegeben, dass er diese Webseite kenne, da aufgrund linker Demonstrationen, die stellenweise vor dem ersten Revier stattfanden, „man da mal [auf der Seite] nachguckt“. Am Abend des 02.8.2018 erschien ein Text auf Indymedia, der mit der falschen Angaben von Başay-Yıldız zu sein, erschien. Sie habe angegeben, dass sie nicht die Urheberin sei.  Auf Nachfrage des Gerichts, ob die Ermittelnden sich an Indymedia gewandt hätten, gab der Zeuge an, dass dies aus ermittlungstaktischen Gründen für sie nicht in Frage käme. Da es sich um eine linke Seite handele, würden die Betreiber*innen nicht mit der Polizei kooperieren und stattdessen die Anfrage veröffentlichen.  Zu dem Zeitpunkt der Ermittlungen seien lediglich vier Personen im Ermittlerkreis befindlich gewesen, um Querverbindungen zu anderen Kolleg*innen ausschließen zu können, so zu K. Zu diesem Zeitpunkt sei auch das LKA noch nicht über den Vorfall informiert gewesen. Auch die Betroffene Anwältin Başay-Yıldız sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht über den Verdacht bezüglich einiger Polizist*innen informiert gewesen, ihr sei lediglich der Name Miriam D. unterbreitet worden, jedoch nicht ihr beruflicher Hintergrund. Die Nebenklagevertreterin von der Behrens erklärt, dass es von Relevanz gewesen wäre ihre Mandantin sofort darüber zu informieren.

Bei der Befragung K.‘s zu den Ermittlungen bei Miriam D. erläutert dieser, dass die Verdächtige auf einem Revier separiert wurde, nachdem ihr der Durchsuchungsbeschluss eröffnet worden sei. Der anwesende Zeuge während der Durchsuchung sei ihr Lebensgefährte Herr K. gewesen, welcher im Dienst gewesen sei, da er als Zivilbeamter auf dem ersten Revier tätig sei. Er sei nie als Zeuge vernommen worden.

Nach der Entlassung des Zeugen wird eine Sommerpause von vier Wochen angekündigt. Darüber empört sich der Angeklagte M. und kündigt an, noch morgen einen Antrag auf Haftentlassung zu stellen. Der nächste Prozesstag findet am 01. Juli 2022 statt.