21. Prozesstag: Vernehmung des Polizisten Johannes S. und der Sachverständigen Constanze Niess

Am Freitag, den 1. Juli 2022, wurde im Verfahren gegen Alexander M. wegen der „NSU 2.0“-Drohschreiben als erstes der Polizist Johannes S. aus Kirtdorf als Zeuge gehört. Gegen S. wurde als Hauptverdächtiger für den Abruf der persönlichen Daten von Seda Başay-Yıldız und ihrer Familie am 2. August 2018 im 1. Frankfurter Polizeirevier und für das erste Drohfax an sie ermittelt.  Wegen der Teilnahme an einer internen Chatgruppe der Polizei, in der rassistische und nazistische Inhalte geteilt wurden, laufen zudem ein Strafverfahren und ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Seit dem Bekanntwerden des NSU 2.0 Skandals ist er von den Dienstgeschäften befreit, auch wenn er offiziell weiterhin Polizist ist.

Die Befragung des 33jährigen Johannes S., der in legerer Kleidung, mit Männerdutt, goldener Brille und ohne anwaltliche Begleitung den Gerichtssaal betrat, dauerte erwartungsgemäß nur wenige Momente: Nach der Abfrage seiner persönlichen Daten erklärte S., dass er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache und keine Fragen beantworten werde, da gegen ihn ein Verfahren laufe. Von allen Verfahrensbeteiligten gab es hierzu keinen Widerspruch, weswegen S. nach gut einer Minute den Zeugenstand wieder verließ.

Der Angeklagte Alexander M. kündigte im Anschluss an, bei Gericht einen Antrag auf Haftentlassung nach der Sitzung in der kommenden Woche zu stellen. So lange bleibe er noch hier, wie er spöttisch hinzufügte, was bei einigen Zuschauern und Verfahrensbeteiligten zu Gelächter führte.

Nach einer dreiviertelstündigen Pause trat die Sachverständige Dr. Constanze Niess in den Zeugenstand. Sie ist Fachärztin für Rechtsmedizin und war damit beauftragt, pornografische Bilder auf Computern und Speichermedien des Angeklagten zu sichten, um festzustellen, ob darunter kinder- oder jugendpornografische Inhalte seien. Alexander M. ist neben dem Versenden von Drohschreiben auch wegen dem Besitz solcher Inhalte angeklagt, da bei der Durchsuchung seiner Wohnung auch Inhalte gefunden wurden, bei denen dies im Raum steht.

Die Sachverständige führte aus, dass sie seit 25 Jahren forensische Altersdiagnostik betreibe und erläuterte eingangs, auf welche Weise sich das Alter von abgebildeten Personen feststellen ließe, wobei sie vor allem die Entwicklung der Schambehaarung als Merkmal hierfür erwähnte. Für ihr Gutachten seien ihr über 700 Bild und Videodateien von Speichermedien des Angeklagten zur Analyse gegeben worden. Im Ergebnis sei eine der auf den pornografischen Inhalten von Alexander M. abgebildeten Personen unter 14 Jahren und 25 weitere unter 18 Jahren.

Jedoch stellte sich bei ihrer Befragung heraus, dass die Sachverständige auch einen Computer des Angeklagten mit in ihre Analyse miteinbezogen hatte, der bereits einige Jahre zuvor von der Polizei in einem anderen Ermittlungsverfahren beschlagnahmt und in der derzeitigen Form dem Angeklagten wieder ausgehändigt worden war. Der Angeklagte habe diesen Computer seitdem nicht mehr genutzt, weswegen dessen Festplatte im aktuellen Verfahren nicht beachtet werde. Zudem unterschieden sich die Namen der Dateien, wie sie der Sachverständigen übergeben wurden, von der Benennung der Dateien in den Gerichtsakten. Daher entschloss sich das Gericht mit der Sachverständigen und den Verfahrensbeteiligten alle pornografischen Inhalte des Angeklagten an einem kleinen Bildschirm an der Richter:innenbank durchzugehen, damit die Sachverständige beurteilen konnte, welche der 26 von ihr für die Anklage als relevant benannten Bilder oder Videos von jenen Speichermedien stammen, die im Verfahren beachtet werden. Dies dauerte über eine Stunde. Im Ergebnis waren einige, jedoch nicht alle, der von Dr. Niess benannten Dateien auf jenen verfahrensrelevanten Festplatten und Speichermedien. Eine genaue Zahl nannte das Gericht jedoch am Ende nicht.

Nachdem die Sachverständige daraufhin als Zeugin entlassen wurde, gab der Angeklagte Alexander M. eine Erklärung ab, dass die gezeigten Inhalte von Studios oder Seiten stammten, die damit werben würden, dass alle Darsteller:innen mindestens 18 Jahre alt seien. Um dies zu belegen, wolle er eine Rückwärtssuche der Bilder im Internet beantragen, um auf die Quelle zu schließen. Zudem kündigt er an, die Einstellung dieses Anklagepunktes beantragen zu wollen.

Danach endete der Verhandlungstag. Die nächste Sitzung findet in der folgenden