24. Prozesstag: Vernehmung des psychiatrischen Gutachters Prof. Berger

NSU 2.0

An diesem Tag wurde der forensisch-psychiatrische Gutachter Prof. Hartmut Berger vernommen. Er ist vom Gericht beauftragt worden, die Schuldfähigkeit des Angeklagten Alexander M. zu begutachten. Hierzu führte er ein Interview mit M. in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim.

Prof. Berger schildert zunächst seine Aktenlage. Ihm lagen insgesamt sechs psychiatrische Gutachten zu M. vor, die im Rahmen von Strafverfahren in den 1990er und 2000er Jahren, beziehungsweise während einer psychiatrischen Behandlung, erstellt wurden. In den Gutachten wurde der Lebensweg von M. nachgezeichnet, basierend auf seinen eigenen Aussagen. Demnach sei er unter anderem in einen „Jugendwerkhof” der DDR eingewiesen worden. Danach habe er bei einer Bank eine Lehre zur elektronischen Datenverarbeitung absolviert. Diese Stelle habe er aber nach der Wende verloren und keine neue Anstellung gefunden.

In den Gutachten wird M. als „sehr selbstbezogene Person” beschrieben, der anderen die Schuld für seine Probleme gebe. Ein Gutachten attestiert ihm einen hohen Intelligenzquotienten am Rande der Hochbegabung. In einem weiteren Gutachten stritt M. ab, pädophile Neigungen zu haben. Während eines Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik in Berlin wurde bei M. eine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Er erhielt Antipsychotika, um seine starken Stimmungsschwankungen abzumildern.

Danach schildert Prof. Berger die Ergebnisse seines eigenen Gutachtens. Er sagt, dass er ein gutes Gespräch mit M. geführt habe. M. habe ihm erzählt, dass er in West-Berlin geboren sei und seine Eltern sich trennten, als er zwei Jahre alt gewesen sei. Die Schuld daran habe M. seiner Mutter zugewiesen, die seinen Vater mit dessen NS-Vergangenheit zu einer Beziehung erpresst habe. Zugleich zahlte seine Mutter bis zu seiner Verhaftung seine Miete. Nach der Wende habe er keine Anstellung gefunden, weil seine Qualifikationen für „westliche Unternehmen” nicht ausgereicht hätten. Da er keine Anstellung fand, habe er Betrug begangen, um Geld zu verdienen. Wegen Betrugsdelikten musste M. eine Haftstrafe verbüßen. M. spiele in seiner Freizeit am liebsten Schach. Er habe mehrere Beziehungen zu Frauen gehabt, die letzte liege aber mehrere Jahre zurück. An Beziehungen habe er kein Interesse mehr. Er beschreibe sich selbst als rechts, aber nicht rechtsextrem. M. rauche 20 Zigaretten am Tag, trinke ein bis zwei Bier. Früher habe er Kokain konsumiert, aber sein Drogenlieferant sei verzogen. Zu Prozessen und Haftstrafen sei es wegen Betrugsdelikten, Körperverletzungen, Beamtenbeleidigung im Gefängnis, Beleidigung und ÖPNV-Fahrten ohne gültige Fahrkarte gekommen. M. wiederholte, dass er keine pädophilen Neigungen habe. Auffällig war, dass M. im Alltag wiederholt Frauen beleidigt und körperlich angegangen habe.

Prof. Berger beschreibt M. als „kaltschnäuzig”, er interessiere sich nur für sich selbst und nutzte andere, um seine Ziele zu erreichen. Er nennt ihn einen „Einzelgänger”, der versuche über ein „misslungenes Leben” hinwegzutäuschen. Prof. Berger sieht eine „Selbstwertproblematik” vorliegen. In Wahrheit sei er nicht einmal in der Lage, seinen Haushalt ordentlich zu führen. M. fehle eine gefestigte Persönlichkeit und er habe eine niedrige Frustrations- und Gewaltschwelle. Auf dieser Basis stellt Prof. Berger bei ihm eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu dissozialem Verhalten fest. Diese sei aber nicht gravierend, weshalb er schuldfähig sei.

Bei der anschließenden Befragung der Richterin fuhr M. Prof. Berger an und schlug seine Hände über den Kopf zusammen. Ihn ärgerte die Diagnose, dass er sich dissozial verhalte, schließlich habe er früher Beziehungen zu Frauen und andere Freunde gehabt. Zu seinen Freunden habe er nur nichts erzählt, weil sie Kriminelle seien, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen wollen. Prof. Berger stellte klar, dass er nur zu seiner Mutter eine soziale Beziehung habe. Die Nebeklageanwältin Antonia von der Behrens fragte, ob M. geschildert habe, was sein Vater während des Nazi-Regimes getan habe. Prof. Berger gab an, dass er laut M. in einem Konzentrationslager eingesetzt gewesen sei. Die NSU 2.0-Drohbriefe waren oft mit „Obersturmbannführer” unterzeichnet. Die Verteidigung konfrontierte Prof. Berger mit seinem Befund, wonach M. eine „Unfähigkeit zu Schuldbewusstsein” habe. Hier stellte der Gutachter klar, dass es darum gehe, dass M. keine kritische Selbstreflexion leisten könne. Stattdessen beharre er darauf, dass ihm Unrecht geschehe.

Schließlich stellte die Nebenklage zwei Beweisanträge. Einen für die Vorladung des in Berlin inhaftierten André Maaß, um ein Kennverhältnis zwischen dem Angeklagten und Maaß zu belegen. Maaß ist als Urheber der Drohschreibenserien „Nationalsozialistische Offensive” verurteilt worden, die Ähnlichkeiten zur NSU-Drohserie aufweist. Als Beweisgrundlage wird eine E-Mail angeführt, die von der „NSU-2.0“-Emailadresse an einen Verteidiger von Maaß verschickt wurde. Darin übernimmt der Absender „NSU 2.0“ die Schuld für die Drohschreibenserie „Nationalsozialistische Offensive”. Zudem wurde beantragt, die Journalistin Karoline Schwarz aus Berlin als Sachverständige zu vernehmen. Ihre Expertise könne zur Feststellung beitragen, dass die Drohschreibenserien eine gesamtgesellschaftliche Wirkung entfalten sollten, um Menschen dauerhaft einzuschüchtern. Hieraus sei eine besondere Schwere der Schuld für die Taten ableitbar.

Die vorsitzende Richterin gibt bekannt, dass die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage am 6. Oktober stattfinden und der Prozess in den zwei darauffolgenden Sitzungen abgeschlossen werden soll.

Der nächste Verhandlungstag findet am 8. September um 9:15 statt.