8. Prozesstag: Aussagen von Prof. Frankenberg, Deniz Yücel, Christian Ehring, Starke

NSU 2.0Instagram

Am achten Prozesstag, dem 24.03.2022, wurden weitere Betroffene der rechten Drohschreibenserie „NSU 2.0“ angehört. Der erste Zeuge Frankenberg ist Professor für Rechtswissenschaften an der Frankfurter Goethe Universität. Er erhielt ein Drohschreiben über seine Uniadresse. Er stellte sich mit seiner Familie daraufhin die Frage, wie es sein kann, dass er einen Beruf ausübe, der solche Drohungen nach sich zieht. Dies habe ihn fragen lassen, ob er sich beruflich anderweitig, also nicht mit Rechtsradikalen und der neonazistischen Szene, beschäftigen solle. Es sei schwierig die Drohung dahingehend zu entschlüsseln, ob sie ihn oder seine Familie betreffe. Er habe zum Zeitpunkt des Drohschreibens davon ausgehen müssen, dass sie aus dem Umfeld der „Mordmaschine des NSU“ kommt. Für ihn stellte sich die Frage, wer die Täter sind und wer der Kreis der Bedrohten. Für den Zeugen seien dies keine „Naziwürstchen“, sondern eventuell jemand aus dem nicht aufgeklärten NSU Netzwerk – „der Typ ist nicht alleine“. Für ihn sei der Netzwerkcharakter das Hinterhältige: „Das kommt aus dem Dunkeln und bleibt da, wenn es nicht wie in diesem Fall aufgeklärt wird“.

Der Zeuge wird durch die Richterin gefragt, welchen Hintergrund er bei dem an ihn gerichteten Schreiben vermutet. Frankenberg wurde durch Seda Başay-Yıldız beauftragt, ein Gutachten zu verfassen. Dies bewertete die Möglichkeit des Schadensersatzes durch das Land Hessen für die Sicherheitsmaßnahmen der Anwältin. Diese musste die Betroffene eigenständig zahlen, da die Behörden keine Bedrohungslage sahen. Er habe dieses Schreiben verfasst, da er auch heute noch der Ansicht sei, dass die Betroffene ein Anrecht darauf habe. Für ihn sei es abstrus, dass das Innenministerium den Schadensersatz nicht direkt gezahlt habe. Er habe ansonsten noch nie solche Drohschreiben erhalten. Im NPD-Verbotsverfahren 2001-2003 war er ebenfalls als Anwalt tätig, er wurde damals informiert, dass er dort auf einer Feindesliste gestanden habe. Er erklärte, dass er sich gegen Rechtsextremismus engagiere und auch deshalb Jura studiere, weil er es für wichtig erachte. Deswegen sei er auch für die Opferfamilien des rechten Terroranschlags aus Hanau engagiert und im NPD-Verbotsverfahren tätig gewesen.

Anschließend tritt der Betroffene Deniz Yücel in den Zeugenstand. Der Journalist berichtet davon, dass er seit Jahren Drohungen von türkischen und deutschen Rechtsradikalen erhalte. Der Grund, weswegen er bezüglich des „NSU 2.0“-Drohschreibens gegen ihn an die Öffentlichkeit ging, war die Annahme, dass Polizeibeamte in diesen Komplex verstrickt seien. Er betont einen begründeten Verdacht, dass es Verbindungen zur hessischen Polizei geben könnte. „Das ist die bewaffnete Staatsgewalt. Wenn sich dort Rechtsterroristen eingenistet haben, ist das gefährlich. Der Mörder von Walter Lübcke hat keine Drohmails geschickt: Die einen drohen, die anderen schreiten zur Tat!“

Yücel habe gemeinsam mit seinem Verlag Sicherheitsvorkehrungen in Höhe von 10.000€ getroffen. Auf Emails des LKA habe Yücel nicht geantwortet. Deren Art der Kommunikation, die ein Ausdruck von Desinteresse oder Inkompetenz sei, habe er befremdlich gefunden. Er sei auch nicht durch das LKA vorgeladen gewesen. An das Gericht gibt Yücel zwei Drohschreiben mit zwei verschiedenen Absendern weiter, welche nicht Teil der Anklage sind. Yücel adressiert den Angeklagten M. in einer direkten Frage, ob er diese Emails geschrieben habe. Dieser entgegnet darauf: „Wenn ich könnte, würde ich ganz andere Dinge mit dir machen!“ Nach dieser tumultartigen Situation im Gerichtssaal, in der viele Beteiligte durcheinander sprechen, beantragt die Nebenklage die Protokollierung der Vielzahl an Beleidigungen und die Bedrohung, welche M. an Yücel richtet. Dies wird angenommen; die Protokollantin hält die Beschimpfungen fest: „Du Mistmade, Scheißfotze. Dutz mich nicht du Stück Scheiße. Mir ist aber schlecht, wenn ich den sehe“.

Dritter Zeuge ist der Komiker Christian Ehring. Er erhielt im August 2020 eine Drohung durch den „NSU 2.0“ welche u.a. auch an Anja Reschke ging. Diese Drohung bezog sich auf eine Extra3 Sendung in der rechte Beamt*innen in der deutschen Polizei thematisiert wurden. Diese Bedrohung sei schon ein ekliges Gefühl. „Man kann nicht mehr davon ausgehen, dass es eine Hemmschwelle zwischen Onlinehetze und dem echten Leben gibt, wie Walter Lübcke zeigte“. Der Zeuge erläutert, dass er im Jahr 2017 Opfer einer Doxxing Aktion eines Jugendlichen aus Hessen wurde. Dieser Doxx wurde 2018 durch die Presse bekannt, seitdem seien die Daten frei verfügbar gewesen. Ehring habe einen umfangreichen Datensatz gehabt. Er habe daraufhin mit seiner Familie und Nachbar*innen gesprochen, dass sie keine Informationen über ihn weitergeben sollten. Weiter betont er, dass es einige Kolleg*innen von ihm schlimmer getroffen hätte. Da bei ihm kein Polizeicomputer genutzt wurde, habe er nicht so ein schlimmes Gefühl gehabt. Die Informationen über ihn beziehe er auf den Hack aus dem Jahr 2017.

Als letzter Zeuge war Herr Starke, der Präsident des Landgerichts Neuruppin, geladen. Das Gericht erhielt ebenfalls eine Bombendrohung durch den „NSU 2.0“. Der Zeuge erläutert den Ablauf nach Erhalt des Schreibens, wie das Informieren der Polizei und eine Gefahreneinschätzung, beispielsweise die Abwägung das Gerichtsgebäude räumen zu lassen. Hintergründe des Schreibens erklärt sich der Zeuge mit einer wenige Tage zuvor veröffentlichten Pressemitteilung. Darin wurde der Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Sachsenhausen angekündigt. In diesem Zuge habe das Landgericht mehrere E-Mails mit Beschimpfungen und Bedrohungen bezüglich des angekündigten Prozesses erhalten – jedoch nicht in dem Ausmaß der Bombendrohung. Seine Mitarbeitenden habe der Präsident ungefähr eine Woche später über das Schreiben informiert, da zu diesem Zeitpunkt der Prozess gegen den Wachmann startete. Im Gericht Neuruppin habe es keine weiteren Einschränkungen oder Verzögerungen durch das Schreiben gegeben.

Zwei weitere geladene Zeug*innen konnten heute nicht erscheinen, der nächste Prozesstag findet am kommenden Montag, den 28. März statt.