Christiane Böhm - Landesregierung ignoriert den Bedarf taubblinder Menschen

Landesregierung ignoriert den Bedarf taubblinder Menschen

Christiane Böhm
Christiane BöhmSoziales

In seiner 26. Plenarsitzung am 10. Dezember 2019 diskutierte der hessische Landtag zum zweiten Mal über eine Reform des Blindengeldgesetzes. Dazu die Rede unserer behindertenpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Wir haben heute das Dritte Gesetz zur Änderung des Landesblindengeldgesetzes zu beraten. Die UN-Behindertenrechtskonvention erlegt uns mit Art. 3, den Allgemeinen Grundsätzen, unter anderem auf, „die individuelle Autonomie“ der Menschen mit Behinderungen und „die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft“ sicherzustellen. Das ist der Auftrag, den wir bekommen haben. Diesem dient natürlich auch das Landesblindengeld. Es ist gut, dass es in Hessen ein solches Gesetz gibt. Ich spreche jetzt ganz besonders Schwarz-Grün an. Es ist allerdings nicht gut, dass Sie mit der aktuellen Gesetzesanpassung wiederum nur kleine, formale Korrekturen und Richtigstellungen vornehmen wollen. Sie haben die wesentlichen Forderungen der Verbände und der Initiativen der Betroffenen wieder einmal ignoriert. Damit verwehren Sie vielen den Anspruch auf Autonomie und das Recht auf Teilhabe.

(Beifall DIE LINKE)

Es wäre wirklich die Aufgabe der Landesregierung, diesen Anspruch zu realisieren. Das ist die Erwartung an Sie. Das ist der Auftrag, den Sie haben. Schon vor sieben Jahren hatte Herr Kollege Decker von der SPD-Fraktion – er ist jetzt gar nicht da, ich will ihn erwähnen; ach, da sitzt er ja, okay – nach einer gezielten Unterstützungsleistung für Taubblinde gefragt. Es ist schon eine längere Geschichte, die wir im Landtag nachzuvollziehen haben. Seit diesem Zeitpunkt gab es eine Vielzahl Gesetzesvorlagen, Anträge, Anhörungen usw., mit denen immer wieder das Taubblindengeld gefordert wurde. Aber die schwarz-grüne Mehrheit in diesem Haus hat die Expertise der Verbände ignoriert. Sie hat den Unterstützungsbedarf dieser zahlenmäßig sehr kleinen Gruppe, aber der sehr stark gehandicapten Menschen einfach weiterhin ignoriert. Frau Kollegin Alex hat geschildert, dass es da wirklich nicht um eine Addition der Behinderungen geht, sondern dass es eine Kumulation an Themen gibt, die damit verbunden sind. Ich frage mich wirklich: Warum ist es so schwer, das Taubblindengeld in dieses Gesetz aufzunehmen? Herr Kollege Pürsün hat vorhin gesagt, Sie wollten die Taubblinden zählen, also einmal feststellen, wie viele wir eigentlich haben. Wir wissen, dass es nicht riesige Massen sind. Bei vielen Vorlagen wissen Sie noch gar nicht, was uns das Gesetz kosten wird. Warum muss es bei diesem Gesetz so sein, dass Sie vorher genau wissen wollen, was auf Sie zukommt?

(Beifall DIE LINKE – Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Ist das Diskriminierung?)

– Ich habe das jetzt leider nicht verstanden. – Sie können doch darüber nachdenken, welche weiteren sinnvollen Maßnahmen notwendig sind. Es geht da auch um die Frage, wie Assistenzleistungen geplant werden können. Das findet in anderen Bundesländern schon längst statt. Wir könnten uns da die Expertise holen. Das erschließt sich mir überhaupt nicht. Es wurde vorhin schon darauf hingewiesen. Es wurde Rot-Rot-Grün in Thüringen gelobt. Dass das von einem FDP-Mitglied geschah, finde ich eine interessante Variante. Dort gibt es ein Sinnesbehindertengeld. Das ist eine gute Sache. Ich denke, das sollten wir uns als Vorbild nehmen und in diese Richtung schnellstens weiterarbeiten.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

In den Änderungsanträgen der Fraktionen DIE LINKE und der SPD finden Sie zwei fast identische Vorschläge. Nehmen Sie die Anzuhörenden ernst. Stimmen Sie in der Ausschusssitzung nachher einem der Änderungsanträge zu. Lassen Sie uns endlich das Taubblindengeld in Hessen einführen.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Unser Änderungsantrag geht aber deutlich darüber hinaus. Denn auch die bisherigen Regelungen sind alles andere als diskriminierungsfrei. Es bleibt für mich völlig unklar, warum
eine Person, die eine Freiheitsstrafe verbüßt oder zwangsweise untergebracht ist, den gesetzlichen Anspruch auf das Blindengeld verliert. Ein Aufenthalt im Knast macht nicht plötzlich sehend. Dort ist es noch viel schwieriger, eine Sehbehinderung auszugleichen. Das bringt noch viel mehr Nachteile. Das gilt es auszugleichen. Es darf keine Doppelbestrafung geben. Das steht ganz klar im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Uns erschließt sich genauso wenig, warum eine blinde Person, die unter 18 Jahre alt ist, einen geringeren Unterstützungsbedarf haben soll. Die Zahl der Minderjährigen mit Erblindung ist nicht so hoch. Gerade diese Personen stehen vor großen Herausforderungen in der Schule, der Ausbildung und der Freizeitgestaltung. Warum sollen sie eigentlich schlechtergestellt werden? Wir wollen ein einheitliches Blindengeld für alle Betroffenen, unabhängig vom Alter oder irgendwelchen anderen Statusfragen.

(Beifall DIE LINKE)

Was ich überhaupt nicht verstehe, ist Ihr Vorstoß, die Kosten für die augenärztliche Bescheinigung den Menschen mit Sehbehinderung aufzuerlegen. Was wollen Sie damit erreichen? Wollen Sie arme Menschen davon abhalten, das Landesblindengeld zu beantragen? Ich kann keinen anderen Sinn darin erkennen, als dass es eine Geldsparaktion sein könnte. Es wäre das Einfachste, auf vorhandene Merkzeichen zu verweisen und auf die augenärztliche Bescheinigung komplett zu verzichten, solange es geht. Das wäre auch eine Form der Entbürokratisierung. Ich denke, hier wollen wir genau so etwas auch mit unserem Änderungsantrag festschreiben. Zu guter Letzt: Die Befristung des Landesblindengeldgesetzes muss unbedingt aufgehoben werden. Sie ist genauso unsinnig wie die Befristung der meisten Gesetze in Hessen. In anderen Bundesländern werden Gesetze nur dann befristet, wenn es wirklich einen sachlichen Grund dafür gibt, und auch dort werden Gesetze regelmäßig überprüft und novelliert. Das hat nämlich eigentlich nichts miteinander zu tun.

Aber für die Menschen mit einer Sehbehinderung wäre es in diesem Fall besonders wichtig, somit klar erkennen zu können, dass es keine vorübergehende Sache ist, sondern eine dauerhafte, und dass nicht nach Kassenlage entschieden wird, ob das Landesblindengeld existiert oder nicht. Wenn Sie jetzt sagen, das sei doch unstrittig und klar, dass es weitergeführt würde, dann erinnere ich gerne noch einmal an die Kahlschlagpolitik von Roland Koch, Stichwort „düstere Zukunft“. Noch heute haben wir viele Einrichtungen, die darunter leiden und mit den Folgen zu kämpfen haben. Da wurden viele Dinge in Hessen abgeschafft. Es gab auch einmal eine CDU-Alleinregierung im Nachbarland Thüringen, die das Landesblindengeld komplett gestrichen hat. Die Ängste der Betroffenen sind schon durchaus nachvollziehbar und überhaupt nicht aus der Luft gegriffen. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie diesmal nachvollziehen könnten, dass Menschen existenziell davon betroffen sind, wie Sie Ihre Politik umsetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir werden ja auf Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD in eine dritte Lesung zu diesem Gesetzentwurf gehen. Somit bleibt Ihnen die Chance, im Rahmen der Ausschussberatung das Gesetz wirklich progressiv, fortschrittlich weiterzuschreiben. Nutzen Sie die Möglichkeit im Sinne der Menschen mit Sinnesbehinderungen, und vertrösten Sie sie nicht wieder. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)