Torsten Felstehausen - Multiples Behördenversagen bei Wilke-Wurstskandal

Multiples Behördenversagen bei Wilke-Wurstskandal

Torsten Felstehausen
Torsten FelstehausenDaten- und Verbraucherschutz

In seiner 26. Plenarsitzung am 10. Dezember 2019 diskutierte der Hessische Landtag zum zweiten mal über eine Neuordnung der Lebensmittelüberwachung. Mit Blick auf dem Wilke-Fleischskandal erlangte dies besondere Bedeutung. Dazu die Rede unseres verbraucherschutzpolitischen Sprechers Torsten Felstehausen:

Sandra Funken (CDU): Zur fortgeschrittenen Stunde schenke ich uns die restliche Redezeit. – Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Boris Rhein: Vielen Dank, Frau Kollegin Funken. Damit haben Sie sich überdies sehr beliebt gemacht, vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Felstehausen für die Fraktion DIE LINKE.

(Manfred Pentz (CDU): Vorbildlich, nehmen Sie sich mal ein Beispiel daran!)

Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Soll es Geschenke geben?

(Manfred Pentz (CDU): Ja!)

– Wir schauen mal, für wen es welche Geschenke gibt.

(Manfred Pentz (CDU): Geben Sie Ihre Rede zu Protokoll!)

Herr Präsident, es gab viele gute Ratschläge zu Anfang. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste! Es kam im Fall Wilke zu einem mehrfachen Behördenversagen. Davon betroffen waren das Umweltministerium, das Regierungspräsidium Kassel und der Landkreis. Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen können, weil er viel zu kurz greift. Er trägt in keiner Weise zu einer Verbesserung der Handhabe in Krisensituationen bei. Er gehört in die parlamentarische Altpapiertonne. Die Aufarbeitung des Falls Wilke ist noch lange nicht abgeschlossen. Dazu möchte ich im Folgenden einiges ausführen: Aus der Gammelwurst, aus den Listerien und dem Behördenskandal – alles zutreffend – hat die hessische Umweltministerin als zentralen Schluss gezogen, dass es in ihrem Haus an einer Entscheidungsgewalt mangele. Um durchgreifen zu können, wie es nötig gewesen wäre, hätte sie die nötigen Weisungsbefugnisse nicht gehabt, hat Frau Priska Hinz schon sehr früh zu ihrer Verteidigung vorgebracht. In der Anhörung, die zu einem Tribunal für die Ministerin geworden ist, haben sich sehr viele Experten dazu eingelassen, und nicht eine einzige Stellungnahme ist zu dem Schluss gekommen, dass die vorliegende Gesetzesänderung in Zukunft einen Fall wie Wilke verhindern würde. CDU und GRÜNE sind beratungsresistent und wollen diese Gesetzesänderung trozdem durchziehen. Der Landesverband der Amtstierärztinnen und -ärzte zieht in seiner Stellungnahme den Schluss:

Somit war es den Aufsichtsbehörden im Fall Wilke jederzeit möglich, dem zuständigen Landkreis Weisungen zu erteilen bzw. die Befugnisse auszuüben. So steht es im Gesetz, Frau Ministerin, und bei einer Krisengefahr – ich glaube, im Fall Wilke war nicht nur eine Krisengefahr gegeben, sondern sie war auch kreisübergreifend und von besonderer Bedeutung – hätte das hessische Umweltministerium als Fachaufsichtsbehörde alle Weisungsbefugnisseb gehabt.

(Zuruf: Sehr gut!)

Wenn jetzt behauptet wird, dass wir diese Gesetzesänderung brauchten, weil diese Weisungsbefugnisse gefehlt hätten, dann ist dies eine reine Schutzbehauptung.

(Beifall DIE LINKE)

Was im Umweltministerium gefehlt hat, war die Fähigkeit, eins und eins zusammenzuzählen und die drohende Krisengefahr zu erkennen. Da hat die Fachabteilung Ihres Ministeriums schlicht und ergreifend versagt, und das ist Teil der Verantwortung, die Sie, Frau Hinz, an dieser Stelle zu tragen haben.

Anfang März wird das hessische Umweltministerium vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit über eine Serie von Listeriose-Erkrankungen mit Todesfällen informiert, die einem bestimmten Typ – Sigma 1 – zugeordnet werden können. Das ist zweifelsohne ein außergewöhnliches Ereignis.

Im April informiert das Veterinäramt Balingen aus Baden- Württemberg die Firma Wilke, den Landkreis und das hessische Umweltministerium darüber, dass Listerien auf Produkten der Firma Wilke in einer sehr hohen Konzentration gefunden wurden. Drei Wochen vorher kam eine ähnliche Meldung aus Hamburg. Spätestens dann hätte im hessischen Umweltministerium der Verdacht aufkommen können, dass die Listeriose-Funde in hessischen Waren und diese Listeriose-Erkrankungen etwas miteinander zu tun haben könnten.

(Beifall DIE LINKE)

Das Robert Koch-Institut hat die Behörden zu Jahresbeginn um Unterstützung bei der Identifikation der Quellen gebeten. Alle Behörden hätten sensibilisiert sein sollen, so wie es Hamburg und Baden-Württemberg waren. Die Fachaufsicht im hessischen Umweltministerium hat die Gefahren jedoch nicht erkannt. Sie hat im April geschlafen, und sie hat in den darauffolgenden Monaten mehrfach falsche Entscheidungen getroffen.

(Heiterkeit Nancy Faeser (SPD))

Das ist der Punkt, den Frau Ministerin Hinz versucht zu kaschieren. Was macht die Fachaufsicht überhaupt, wenn sie Informationen über eine bundesweite Listeriose-Serie mit Todesfällen von März bis August – also über fünf Monate – nicht nachgeht und diese nicht weitergibt? Was macht die Fachaufsicht, wenn sie Meldungen aus Balingen, die die Firma Wilke als eine Quelle identifiziert haben, monatelang nicht überprüft und auch nicht auf die Idee kommt, nachzufragen, was denn da vor Ort passiert? Wäre im Umweltministerium auch nur der Verdacht aufgekommen, dass die Listeriose-Funde in Hessen und die Listeriose- Erkrankungen etwas miteinander zu tun haben könnten, dann hätte das Ministerium sofort handeln können und handeln müssen.

(Beifall DIE LINKE und Wiebke Knell (Freie Demokraten))

Ich will das sehr deutlich sagen: Da fehlen keine Durchgriffsrechte, wie die Ministerin uns klarmachen will, da fehlt Aufmerksamkeit, da fehlt Engagement, da fehlt Struktur, und da fehlt Personal, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Noch drastischer hat es der Verbraucherschutzminister Peter Hauk auf den Punkt gebracht, und da möchte ich wieder zitieren: Die Nichtreaktion der hessischen Behörden ist fahrlässig und hat Menschenleben aufs Spiel gesetzt. – Das geht an dieser Stelle allein auf die Kappe der Ministerin.

(Beifall DIE LINKE)

Nachgewiesen wurden bis jetzt 37 Krankheitsfälle, drei davon mit Todesfolge. Obwohl der Ministerin die große Tragweite des Falls klar sein müsste, kann von umfassender Aufklärung nicht die Rede sein. Wie kann es sein, dass Nachfragen im Umweltausschuss eine Absurdität nach der anderen ans Licht befördern, die die Ministerin bei der Aufklärung ausgespart hat oder denen sie nicht nachgegangen ist? Transparenz und Aufklärung sind es nicht, was wir im Ausschuss erlebt haben. Warum konnte im Ministerium denn nicht eins und eins zusammengezählt werden? Warum wurde der rechtzeitige Rückruf belasteter Wurst nicht angeordnet? Warum hat das Umweltministerium ein Veto gegen die Schließung der Firma Wilke eingelegt? Warum scheint es die Ministerin nicht zu interessieren, dass der im Landkreis bis vor Kurzem für die Lebensmittelkontrolle zuständige Dezernent, Friedrich Schäfer von der CDU, auch Landwirt ist und in der Zeit seiner Zuständigkeit Geschäftsbeziehungen zu der Firma Wilke hatte? – All diese Fragen werden mit dem vorgelegten Gesetzentwurf weder beantwortet oder gelöst noch in Zukunft verhindert.

Meine Damen und Herren, wir fragen uns natürlich schon, wie es dazu kommen konnte, dass die Firma Wilke eine Risikoklasse niedriger eingestuft worden ist und die Kontrolldichte
herabgesetzt wurde. Aus Versehen, war die erste Antwort des Landkreises. Als wir nachgefragt haben, wurde klar, dass dieses Versehen System hatte, spätestens seit 2014. Da fragen wir uns: Warum lässt sich die Umweltministerin als Fachaufsicht so auf der Nase herumtanzen? Warum hat sie, nachdem all das klar geworden ist oder hätte klar sein müssen, nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen? Die rechtlichen Möglichkeiten – das hat die Anhörung deutlich gezeigt – bestehen, bestanden und werden auch weiter fortbestehen, unabhängig von diesem Gesetz. Wir fordern in diesem Prozess sehr klar, dass zusätzliche Mittel für mehr und besser ausgestattetes Personal in der Lebensmittelüberwachung vor Ort eingesetzt werden. Wir fordern das Monitoring der kommunalen Lebensmittelaufsicht durch die Fachaufsicht. Das entsprechende Programm ist lange da, es muss nur genutzt werden. Wir fordern die komplette Neuorganisation der Lebensmittelüberwachung in Hessen und einen Neustart des Gesetzgebungsverfahrens im kommenden Jahr. Deshalb werden wir auch dem Antrag der FDP zustimmen, die das Gesetz auf ein Jahr befristen will. Damit können wir sofort im Januar an die Arbeit gehen, all die Missstände, die hier deutlich
geworden sind, dezidiert aufarbeiten und dann auch die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen. Das, was hier heute vorgelegt wurde, hilft nicht, solche Krisen zukünftig zu verhindern.

(Beifall DIE LINKE)

Wir fordern aber auch, dass sich das Land Hessen im Bundesrat dafür starkmacht, dass die Lebensmittelüberwachung durch den Bund nicht noch weiter zurückgeschraubt wird, so wie es derzeit Bundesministerin Julia Klöckner vorsieht. Und natürlich fordern wir eine komplette Aufarbeitung des hessischen Behördenversagens, das wir erlebt haben: 37 Erkrankte, drei davon verstorben. Ich glaube nicht, dass wir mit dem Hin- und Herschieben der Verantwortung, so wie wir es im Ausschuss erlebt haben – die Firma Wilke ist schuld, der einzelne Mitarbeiter ist schuld, der Landkreis ist schuld, das Regierungspräsidium ist schuld, die Ministerin ist schuld; alle zeigen mit dem Finger auf den jeweils anderen –, wei erkommen. Nach diesen Vorfällen muss mehr passieren, als nur die Schuld jeweils anderen zuzuweisen.

Deshalb: Lassen Sie uns dieses Gesetz befristen – wir brauchen ein Gesetz, das ist richtig – und dann tatsächlich die Chance nutzen, ein komplett neues Paket auf den Tisch zu legen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)