Saadet Sönmez - Die drohende Abschaffung der Ausländerbeiräte muss verhindert werden

Saadet Sönmez
Saadet SönmezKommunalesMigration und Integration

In seiner 36. Plenarsitzung am 24. März 2020 diskutierte der Hessische Landtag über einen Gesetzesentwurf der Hessischen Landesregierung, der die kommunalen Ausländerbeiräte durch sogenannte Integrationskommissionen ersetzen soll. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Zuvor muss ich anmerken, dass es eigentlich unerhört ist, dass die Regierungskoalition trotz der momentanen Situation heute über ihr Gesetz debattieren will. Es mutet fast so an, als wollten Sie es ohne großes Aufsehen und ohne öffentliche Aufmerksamkeit durch das mit Krisenbewältigung beschäftigte Parlament durchjagen.

(Alexander Bauer (CDU): Weil es bald eine Kommunalwahl gibt!)

Es ist aber verständlich; denn etwas Neues haben Sie nicht zu sagen und bestreiten eigentlich all das, was in der Anhörung von Betroffenen, von Wohlfahrtsverbänden, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesagt wurde. Das haben Sie ausgeblendet und hier nicht erwähnt. Sie haben sich letztendlich nur auf eine einzige Aussage berufen und somit die ganze Kritik, die in Ihrem Gesetzentwurf geübt wurde, ignoriert. Das spricht eigentlich schon Bände in Bezug darauf, wie hoch Ihr Interesse an der politischen Beteiligung ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist.

(Beifall DIE LINKE und Turgut Yüksel (SPD))

Wie gesagt, in der Anhörung wurde mehrfach thematisiert – von Wohlfahrtsverbänden, von Ausländerbeiräten usw. –, dass Ihr Gesetzentwurf das Ziel der politischen Teilhabe ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht erreichen werde, ganz im Gegenteil.

An Frau Goldbach und auch Ihre Kolleginnen und Kollegen: Sie bestehen ja weiterhin darauf, dass Integrationskommissionen die politische Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund verbessern würden. Das aber geht komplett an der Realität vorbei. Sie können auch nicht erklären – es gibt dafür auch keine vernünftige Erklärung –, wie es denn gehen soll, dass eine durch Fremdbestimmung zusammengesetzte Kommission die migrantische Bevölkerung tatsächlich repräsentieren soll. Das müssen Sie uns erst einmal erklären.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, politische Teilhabe bedeutet, dass die ausländischen Einwohnerinnen und Einwohner auf die politischen Entscheidungsprozesse so direkt wie möglich Einfluss nehmen können. Die Lücke zwischen den in einer Kommune lebenden Menschen und den an den Entscheidungen beteiligten Menschen aber klafft immer weiter auseinander. Dieser Tatsache muss man auch entgegensehen. Hier muss dringend ein Umdenken stattfinden.

(Beifall DIE LINKE)

Wir alle wissen, dass tatsächliche Integration auf kommunaler Ebene beginnt. Das Erste, womit sich Mitglieder einer Gesellschaft identifizieren, sind nun einmal die Viertel, die Kommunen und die Gemeinden, in denen sie den Großteil ihres Lebens verbringen. Verwehrt man aber nun einem beachtlichen Teil der Gemeinden das politische Mitspracherecht, so ist dies mit Sicherheit ein Pflasterstein auf dem Weg ihrer Entfremdung von der Gesellschaft, in der sie leben.

(Beifall DIE LINKE)

Doch statt sich für echte Teilhabe einzusetzen – also für Wahlrecht für alle zu kämpfen – oder zumindest die Ausländerbeiräte wirklich zu stärken, was ja in Ihrer Macht stünde, kommen Sie jetzt zum zweiten Mal mit Ihrer Integrationskommission um die Ecke.

Das Erste, was aber gemacht werden müsste, ist, die Wahlen zu den Ausländerbeiräten mit viel mehr Ressourcen zu unterstützen.

(Beifall DIE LINKE)

Die lächerlichen 2.500 €, die Sie der agah zur Verfügung stellen, reichen vorne und hinten nicht aus, um ein vernünftiges Wahlprogramm auf die Beine zu stellen, meine Damen und Herren.

Zudem haben sehr viele Ausländerbeiräte noch nicht einmal einen eigenen Etat. Es fehlt ihnen an personellen Ressourcen, es fehlt ihnen an räumlichen Ressourcen und an der notwendigen Einbindung und Anerkennung innerhalb der Gemeindevertretung. Dem muss so schnell wie möglich entgegengewirkt werden, indem man Ausländerbeiräte vor Ort unterstützt.

(Beifall DIE LINKE)

Genau diejenigen Gemeinden, über deren geringe Teilnahme an Ausländerbeiratswahlen und über deren mangelnde Listenaufstellung Sie sich beklagen, würden diese Unterstützung dringend benötigen. Aber in diese Richtung wurde bei Ihrem Gesetzentwurf nicht gedacht, und das wollen Sie immer noch nicht tun.

Tatsächliche Partizipation kann aber nur gelingen, wenn Politik eben nicht nur für, sondern auch von Migranten gemacht wird. Es muss endlich Schluss damit sein, Menschen mit Migrationshintergrund zu Objekten der Politik zu machen und zu deklassieren. Sie müssen es endlich zulassen, dass diese Menschen mitgestaltende und mitbestimmende Subjekte innerhalb dieser Gesellschaft werden.

(Beifall DIE LINKE)

In den letzten Wochen und auch heute wurde immer wieder beteuert, ausländische Mitbürger seien Teil der Gesellschaft. Sie seien keine Fremden, sie seien hier zu Hause. – Ja, dann lassen Sie diesen Worten doch auch Taten folgen. Dann behandeln Sie diese Menschen nicht mehr als Fremde, und hören Sie vor allem endlich auf, sie dauernd zu bevormunden.

Meine Damen und Herren, wie viel Demokratie ein Land wagt, kann man auch an den politischen Partizipationsmöglichkeiten seiner ausländischen Bevölkerungsgruppen ablesen. Aber wir müssen feststellen: In unserem Land gibt es diesbezüglich leider nicht sehr viel zu lesen.

Ich will Ihnen aber noch eines mit auf den Weg geben. Ich will Ihnen nur noch sagen: Lassen Sie sich nicht täuschen. Die migrantische Bevölkerung wird sich mit Ihrem Gesetz auf gar keinen Fall abspeisen lassen, sondern sie wird jetzt umso vehementer für ihre Rechte und für das Wahlrecht kämpfen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Wir werden natürlich die dritte Lesung des Gesetzes beantragen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)