22. Sitzung: Warum konnte Markus H. legal Waffen besitzen?

Lübcke-Mord

Am 13.01.2022 wurden im Lübcke-Untersuchungsausschuss drei Zeug:innen vernommen. Dabei ging es um die Frage, wie der behördenbekannte Neonazi Markus H. einen legalen Zugang zu Waffen und Sprengstoff erlangen konnte.

Markus H. beantragte in den Jahren 2007 und 2012 jeweils eine Waffenbesitzkarte bei der Waffenbehörde der Stadt Kassel. Daraufhin fragte die Waffenbehörde bei den Sicherheitsbehörden – Verfassungsschutz und Polizei – nach Informationen, die gegen eine Zuverlässigkeit H.s im Sinne des Waffenrechts sprächen. Dazu zählt die Unterstützung extremistischer Bestrebungen, weshalb die Waffenbehörde die Anträge ablehnen konnte. H. war nämlich 2006 für die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt worden und hatte 2008 und 2009 an rechten Aufmärschen teilgenommen. Außerdem lagen Erkenntnisse vor, dass er als „Stadtreiniger“ in Online-Foren rechte Hetze verbreitete (was den Behörden auch nur aufgrund einer antifaschistischen Recherche bekannt war).

Da Erkenntnisse nur gegen die Unzuverlässigkeit im Sinne des Waffenrechts sprechen, wenn sie maximal fünf Jahre alt sind, gab es quasi ein Verfallsdatum. H. legte in den Jahren nach 2012 Widersprüche ein bis es zum Prozess am Verwaltungsgericht kam, das ihm die Waffenbesitzkarte 2015 zugestand; alle dem Gericht vorliegenden Informationen über Hartmann waren inzwischen älter als fünf Jahre.

 

Michael W. – Mitarbeiter im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), bearbeitete Anfragen der Waffenbehörden

Der Zeuge wird damit konfrontiert, dass sich in den Akten des LfV weitere Erkenntnisse zu H. befunden hätten, die er nicht an die Waffenbehörde weitergeleitet habe. Dazu gehören Teilnahmen an NPD-Veranstaltungen in 2010 und ein Vermerk zu seinem rechtsextremen Youtube-Account aus 2011. Er erwidert zunächst, darauf keinen Zugriff gehabt zu haben. Später wird klar, dass er das zumindest theoretisch gehabt hätte. Er gibt an, nicht beurteilen zu können, ob sich die Vermerke auch in der Akte von H. befunden hätten, oder ob diese sinngemäß irgendwo rumflogen. Die darin enthaltene Information, dass Hartmann mit dem Neonazi Sawallich auf Flohmärkten verkehre – ein Ort, der häufig mit verbotenem Waffenhandel in Verbindung steht – war dem Zeugen unbekannt; und das obwohl er für Ermittlungen im Bereich Waffen zuständig war. Auch wusste der Zeuge nach eigener Aussage nicht, dass Hartmann ab ca. 2012 auf einer NSU-Umfeld-Liste der Behörden stand. Wieder einmal bestätigten die Ausführungen eines LfV-Mitarbeiters die chaotischen und unhaltbaren Zustände beim Verfassungsschutz.

Außerdem sehen wir uns in der Position bestätigt, dass das V-Leute-System schädlich ist. Erkenntnisse von V-Leuten – wie die zu NPD-Stammtischen aus 2010 – werden als geheim eingestuft und können deshalb nicht verwertet werden. Für die Ermittlungen zum Mord an Walter Lübcke  wurden die Vermerke gerichtsverwertbar heruntergestuft; um zu unterbinden, dass H. legal Waffen besitzen durfte, erfolgte dies nicht. Die Informationsgewinnung des LfV durch V-Leute ist folglich nutzlos und finanziert lediglich die extreme Rechte.

 

Hartmut B. – Mitarbeiter der Waffenbehörde der Stadt Kassel

Die Waffenbehörde hatte H.s Anträge auf Basis der dünnen Erkenntnislage zwei Mal abgelehnt. Es sei aus den Akten klar gewesen, dass es sich um einen Rechtsextremen handle, sagte der Zeuge. Dem Verfassungsschutz müsse die Waffenbehörde aber für Auskünfte hinterherlaufen. Trotz guter Vorsätze und Ideen nach dem Mord an Lübcke wäre es nicht leicht, Auskünfte vom LfV zu bekommen.

Die Zeugenvernehmung verdeutlicht, wie vehement und händeringend die Waffenbehörde bei den Sicherheitsbehörden nach Informationen anfragte – sogar nachdem sie den Prozess 2015 bereits verloren und H. eine Waffenbesitzkarte erlangt hatte. Vom LfV angekündigte, weitere Erkenntnisse wurden aber über ca. 5 Monate nicht mitgeteilt und stattdessen die Akte von H. gelöscht.

 

Gerda S. – Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht

Die Befragung der Richterin gestaltete sich wenig ergiebig, da sie aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit keine Aussagen zu ihrem Urteil treffen musste. Ob die Vermerke aus 2010 und 2011 etwas an ihrer Entscheidung hätten ändern können, bleibt unbeantwortet.