26. Sitzung: Austausch der Sicherheitsbehörden mangelhaft / Ernst zuletzt 2013 in Rechtsextremismus-Datei abgefragt

In der 26. Sitzung am 09.03.2022 wurden zwei Zeugen des Staatsschutzes Kassel zu den Beweisthemen „Einschätzung zur besonderen Gefährlichkeit von Stephan Ernst und Markus H.“ sowie „Erkenntnisse über Teilnahme an Veranstaltungen der rechten Szene“ befragt. Ein dritter geladener Zeuge, M.K., erschien zum wiederholten Male nicht.

Jürgen B. – 2007-2021 Kriminalbeamter beim polizeilichen Staatsschutz Kassel, Bereich Rechtsextremismus

Jürgen B. berichtet zunächst, dass er aufgrund seiner 16 Jahre beim Staatsschutz nicht mehr alle Aufgabenbereiche rekonstruieren könne. Ähnlich verhält es sich während der Vernehmung mit den Erinnerungen zu Ernst und H. Er habe sie zwar durchaus gekannt, allerdings sei H. vor allem aufgrund seines Waffenbesitzes Thema gewesen und Ernst nicht als zentrale Figur der rechten Szene eingeschätzt worden. B. kann sich an diverse Demoteilnahmen von Ernst und H. erinnern, z.B. bei der NPD oder mit der Kameradschaft Freier Widerstand Kassel. Auch den Angriff auf eine DGB-Demo in Dortmund am 1.5.2009 hat der Zeuge im Gedächtnis, da das Handy von Mike S. beschlagnahmt worden sei. Von Ernsts Verurteilung wegen Landfriedensbruch habe er hingegen keine Kenntnis erlangt.

Weitere Demoteilnahmen seien bei ihnen durchaus registriert worden. Eine Information an das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sei aber meist nicht erfolgt, da es sich polizeilich gesehen nicht um einen relevanten Sachverhalt handle – weder sei ein Verbot missachtet, noch eine Straftat begangen worden. Auf diese Argumentation zieht sich der Zeuge häufig zurück und verweist auf die Verantwortung des LfV. Unserer Meinung nach zwar sachlich korrekt, aber nach allem, was wir über die Arbeit des LfV wissen, naiv.

B. wird zum Gruppenfoto der Sonnenwendfeier 2011 bei Heise befragt, welche in den Polizei-Akten mit namentlicher Zuordnung der Personen, auch Ernsts, vorliegt. Zur Identifikation, die bereits am 4.3. Thema war, berichtet B., dass er die Benennung der Personen auf dem Bild vorgenommen habe. Er sei sich aber nicht mehr sicher, wann er Ernst beschriftet habe. Einen Austausch mit dem LfV habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Tatsächlich könne er sich auch nicht erinnern, dass das LfV jemals bei ihm wegen der Identifikation von Personen angefragt habe.

Ein weiterer zentraler Aspekt der Vernehmung sind Abfragen zu Stephan E. in Datenbanken, der Rechtsextremismus-Datei (RED) sowie dem Polizei-Auskunftssystem (POLAS), die in 2013 und 2012 durchgeführt wurden. Zwar erfolgten solche Abfragen immer mit einem Anlass, an einen solchen kann sich der Zeuge für die POLAS-Abfrage allerdings nicht erinnern. Hinsichtlich der RED-Abfrage verweist er auf das LKA, das die Datei führe.

 

Jörn A. – seit 2018 Leiter des polizeilichen Staatsschutzes im PP Nordhessen

Der Zweite Zeuge konnte leider aufgrund der Zuständigkeit ab 2018 zu vielen Themenkomplexen nichts beitragen. Bis zum Mord seien ihm beide Personen unbekannt gewesen. Im Zeitraum ab 2018 habe er weder Kenntnis von der Teilnahme Ernst und H.s in Chemnitz 2018, noch von der Bedrohung Lübckes nach dem Re-Post von Erika Steinbach im Februar 2019, noch von beleidigenden und bedrohenden Verwendungszwecken bei GEZ-Überweisungen von Ernst 2016-2019 erlangt. Wenn überhaupt, habe er von den Teilnahmen aufgrund antifaschistischer Recherchen erfahren.

Auf Vorhalt eines Vermerkes, in dem die RED-Eintragung zu Ernst mit Verweis auf eine Rücksprache mit dem PP Nordhessen Ende 2018 gelöscht wurde, erwidert der Zeuge, den Vorgang nicht zu kennen. Das überrascht, da er zu diesem Zeitpunkt bereits in leitender Funktion tätig war.

Die Befragung blieb leider sowohl hinsichtlich Erkenntnissen zur Teilnahme an rechten Veranstaltungen als auch hinsichtlich einer Einschätzung der Gefährlichkeit von Ernst und H. unergiebig.

 

Zwischenfazit

Unser Eindruck nach der Sitzung ist, dass im Staatsschutz sehr minimalistisch zur rechten Szene gearbeitet wurde. Im Fokus waren bekannte oder straffällige Personen, allerdings ohne aktiv zu ihnen und ihrem Umfeld zu ermitteln. Aufgrund der Problematik, dass insbesondere die Einordnung von Straftaten als „politisch-motivierte Kriminalität - Rechts“ häufig unzureichend ist, entsteht ein großer blinder Fleck in der Bearbeitung rechtsmotivierter Täter:innen. Neben dem grundsätzlich unzureichenden Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden, verschärft diese definitorische Fehleinschätzung das Problem der Verharmlosung rechter Gewalt- und Straftaten.