13. Prozesstag: Zeugenvernehmung des Polizeibeamten (LKA) Ü.

Der Prozesstag am 21.04.2022 im Verfahren gegen Alexander M. beginnt mit der Zeugenvernehmung des Polizeibeamten (LKA) Ü., welcher die Festnahme des Angeklagten koordinierte und leitete. Seine Spezialeinheit habe den Einsatz angenommen und sei für den Bereich der operativen Maßnahmen verantwortlich gewesen. Vor M.‘s Festnahme sei es in Berlin zur Aufklärung gekommen. Dazu wurde die Örtlichkeit angesehen und eine Langzeitkamera elf Tage lang vor seinem Haus platziert, da er lediglich zum Einkaufen das Haus verlassen habe. Der Zeuge Ü. spricht von einem „normalen Berliner Kiez mit anständigen Menschen“, der kein Milieuschwerpunkt sei.

Für die Festnahme von M., welche am 3.5.2021 vollzogen wurde, trainierte die Einheit Ü.‘s mehrere dutzend Male und habe sich anhand der Erkenntnisse über die Wohnverhältnisse des Verdächtigen gut vorbereiten können. Zudem sei abgewogen worden, ob dessen Tür gesprengt werden könne oder nicht, wogegen sich die Beamten entschieden. Der Zeuge spricht über seine Risikoeinschätzung bezüglich gefährlicher Momente während eines Zugriffs. Es habe während des Einsatzes nicht zum Schusswaffeneinsatz kommen sollen, da der Leiter des Einsatzes befürchtet habe, dass die Presse den Umstand, dass „der einzige Zeuge“ erschossen wurde, zerreißen würde. Weiter spricht er über den Ablauf der Festnahme, wie zuerst zwei Irritationskörper im Hof gezündet wurden und nachdem der tatverdächtige M. nicht darauf reagiert habe, indem er wie alle anderen Hausbewohner*innen an sein Fenster getreten sei, gab Ü. das Kommando zum Aufbrechen der Tür mit einem Rammbock. Nach der gewaltsamen Öffnung der Tür habe M. eine Schusswaffe auf die Beamten gerichtet. Dies sei die in den Vorbereitungen befürchtete sensible Situation gewesen: „Wenn wir das nicht hundertmal vorbereitet hätten, wäre das kein guter Moment gewesen“, so Ü. M. habe die Waffe beiseitegelegt und sei dann durch die Beamten am Boden fixiert worden. Insgesamt habe der Zugriff ungefähr 20 Sekunden gedauert. Währenddessen habe der Tatverdächtige laut gebrüllt, jedoch sei für alle Beteiligten nicht verständlich gewesen, was er schreit. Nach der Festnahme habe M. sich dagegen gesperrt, dass ihm seine Arme auf den Rücken gedreht werden. Zudem habe er nach seiner Festnahme mehrfach betont, dass er unschuldig sei. Anschließend sei er in eine Berliner Haftanstalt gebracht worden. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, warum M. nicht auf der Straße, beispielsweise nach dem Einkaufen, festgenommen wurde, erwidert Ü., dass dies zu viel Aufwand bedeutet hätte. Später gibt er an, dass der Sonderermittler Mener dies anordnete. Zudem sei er gezielt in seiner Wohnung festgenommen worden, da somit der Zugriff auf seinen angeschalteten Computer möglich war.

Der Staatsanwalt Akdogan fragt den Zeugen, ob es stimme, dass seine Beamten M. während der Festnahme mit „Na Herr Obersimulant“ angesprochen hätten – der Angeklagte hatte dies in seiner Einlassung behauptet. Dies weist Ü. von sich, seine Kräfte würden keine Beleidigungen aussprechen. M. habe Anzeige gegen seine Einheit gestellt und darin ebenfalls behauptet, seine Kräfte hätten einen Berliner Dialekt. Dies könne man von ihm nicht behaupten. Akdogan fragt weiter, ob es zur Schussabgabe bei der Festnahme hätte kommen können. Ü. entgegnet, einen solchen Ausdruck würde er nicht in den Mund nehmen – „sie hätten ihn handlungsunfähig“ machen können. Wenn ein fremdes Kommando eingesetzt gewesen wäre, hätte es auch anders ausgehen können. Danach entbricht ein Wortgefecht darüber, ob der Angeklagte Erklärungen oder Vorhalte abgeben dürfe. Zwischen der Vorsitzenden Richterin Distler und M. kommt es über mehrere Minuten zu Diskussionen, bis der Prozess für wenige Minuten unterbrochen wird. Nachdem der Zeuge unvereidigt entlassen wird, gibt der Angeklagte eine Erklärung zu seiner Festnahme ab und beschreibt seine Wahrnehmung der Festnahme; er wisse, nicht an welcher Stelle er Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten geleistet haben solle.

Die Zeugin Caroline Kebekus erscheint nicht, nachfolgend wird Sebastian Erb in den Zeugenstand gebeten. Der Journalist der Taz recherchiert zu den Themen Rechtsextremismus, unter anderem bei den Sicherheitsbehörden. Er habe sich mit den Anhaltspunkten zu den verdächtigen Polizisten vom ersten Revier in Frankfurt in der „NSU 2.0“-Drohserie beschäftigt. Zudem habe er zweimal über die Yandex Adresse mit den mutmaßlichen TäterInnen der Drohschreibenserie korrespondiert - um journalistischen Standards gerecht zu werden und mit „allen Personen in Kontakt zu treten, die etwas wissen könnten“. Damals stand der Verdacht im Raum, dass der Polizist Johannes S. für die Drohschreiben verantwortlich sei – wie es die Nebenklage in ihrem Antrag vor einigen Wochen auch für das 1. Drohschreiben formulierte.  Die erste Mail Erbs sei offener formuliert gewesen, um zu erfahren, ob jemand antworte. Die zweite Mail sei eine „formale Konfrontation“ gewesen – darin wurden der/die Empfänger darum gebeten, Fragen für die Recherche der Taz an den tatverdächtigen Polizisten Johannes S. weiterzugeben. Die jeweiligen Mails und Antworten wurden durch die Vorsitzende Richterin verlesen. Auf die Frage, ob S. hinter den Mails stehe, antwortete eine Person hinter der Yandex Adresse, dass Johannes weder ein Polizeikollege sei, noch dass die Hetze* über ihn zutreffen würde (*die vermeintliche Hetze bezieht sich auf die Presse). Weiter beantwortet die mailschreibende Person, dass die Daten von Seda Başay-Yıldız abgerufen worden seien, mit der Begründung, dass sie den Leibwächter von Osama Bin-Laden als Rechtsanwältin verteidigt habe. Weiter räumt der Verfasser ein, Drohmails bzw. SMS und Faxe über einen Onlinedienst versendet zu haben. Zudem gäbe es einen Austausch über die bedrohten Personen, Tag X Planungen würden auf Hochtouren laufen, so die letzte Antwort in der Mail.

Der nächste Zeuge ist der ehemalige Geschäftsführer der Taz, Andreas Buhl. Er habe im August 2018 einen Anruf erhalten, der sich als Polizist aus dem Wedding (Abschnitt 36) ausgab und die Telefonnummer von Hengameh Yaghoobifarah erhalten wollte. Dafür habe er den Vorwand angegeben, dass es Rückfragen zu einer von Yaghoobifarah gestellten Strafanzeige gäbe. Buhl habe den Anrufer an die Chefredakteurin Gottschalk weitergeleitet und nicht eine Minute mit ihm telefoniert. Ihm sei während des Telefonats nichts Besonderes aufgefallen und er vermutet, dass er sich die Telefonnummer des Anrufers notiert hätte, wäre sie auf dem Display erschienen. Die männliche Stimme beschreibt er als „ganz unverbindlich, behördlich“; sie habe keine besonderen Reflexe bei ihm ausgelöst. Er habe den Anrufer nicht gut verstanden, aber würde die Stimme auch nicht wiedererkennen.

Bei der darauffolgenden Zeugin handelt es sich um die Oberstaatsanwältin Tombrink aus Berlin. Sie sei in einem Drohschreiben genannt worden und bringt dies mit einem ihrer Verfahren gegen den Drohschreibenverfasser André M. zusammen. Während der Hauptverhandlung kam es zu einer Bombendrohung gegen das Gericht. Das Gebäude sei geräumt worden und zwei Stunden später habe die Verhandlung stattfinden können. Auf die Frage, was die bei der Staatsanwältin ausgelöst habe, antwortet sie, dass es eine „deutliche Herabwürdigung der beruflichen Position“ wäre, weshalb die Generalstaatsanwältin Strafanzeige gestellt habe.

Der letzte Zeuge ist der Beamte F. des LKA Hessen aus dem Bereich Kinder- und Jugendpornographie. Er berichtet von seiner Arbeitsweise, dass jedes Bild, bei dem eine mögliche Straftat vorliege, einzeln bewertet werde. Die Vorsitzende Richterin lässt das bei M. beschlagnahmte Material am Richtertisch durch die Verfahrensbeteiligten im Saal gemeinsam mit dem Zeugen sichten. Der Angeklagte M. besteht darauf, dass es sich bei den vorliegenden Bildern um „normale Pornografie“ handele: Auf „den Seiten stand, dass alle Darsteller älter als 18 Jahre sind“. Weiter gibt er zu, dass er das Material heruntergeladen habe. Der Zeuge beantwortet einige Fragen und verweist darauf, dass die Forensiker dafür zuständig seien zu prüfen, wann die Dateien auf M.‘s Computer gelangt sind.

Zuletzt stellt der Angeklagte M. einen Beweisantrag. Für ihn sei aufgrund vier erfolgreicher Logins im Yandex Postfach, welche laut ihm nicht aus Berlin erfolgt seien, widerlegt, dass er der alleinige Täter seien könne. Er habe durch die Sichtung der Akten auf einem Justizlaptop mehrere Ungereimtheiten aufdecken können und beantragt, dass das Gericht „sich mit den Lügen der hessischen Polizei“ auseinanderzusetzen habe. Der Prozess wird am 28. April 2022 fortgesetzt.